# taz.de -- Vinyl Release des Albums „intimate yell“: Ein Bett aus Stimmen
> Ein Chor, viele Assoziationen und trockener Humor: der Vinyl Release von
> DJ Courtesys Album will Öffnung zwischen den Künsten sein.
IMG Bild: Eine Verschränkung aus Party und Performance im Schinkel Pavillon
Helle Töne legen sich zaghaft übereinander. Dazu sinkt Yves B Goldens
dunkle Sprechstimme ins Mikrofon. Sätze werden angefangen, abgebrochen.
Manche Worte kommen an, immer wieder scheint „touch“ in der langsamen
Rezitation durch. Aber im Grunde sind die konkreten Worte egal, wenn die
Stimmen halbtraumartig ins Gehirn und zu einem weichen Klangbett
zusammenfließen. Man möchte, mitten im menschengefüllten, oktaedrischen,
grellen Raum des Schinkel Pavillons, die Augen schließen.
Zwischen den Tönen scheint Susan Sontag durchzuzwinkern. Ihr Essay
[1][„Against Interpretation“] für eine erfahrungsfokussierte
Interpretationspraxis gab dem Künstler:innenkollektiv „Against
Interpretation Club“ seinen Namen. Am Montagabend co-hostet es den Vinyl
Release von DJ Courtesys zweitem Studioalbum „intimate yell“, eine
Verschränkung aus Party und Performances.
In „Gossip II“ spielen Ronja, Yves B Golden, Hannah Endrulat, Klō, und Olga
Hohmann „Stille Post“ mit dem Album, das Deep House, 2-Step, 90s-IDM,
Experimental und Ambient vereint. Die tanzbaren Originalversionen der vier
Songs kann man nur erahnen, in der sphärischen Mehrstimmigkeit kommt die
Fragilität der Lyrics stärker hervor.
„Je change, please don’t look back.“ Sie handeln von der Zerbrechlichkeit
nachtlebiger Beziehungen, Freundschaften, spielen mit der Mehrbedeutung von
„crush“. Manchmal klingen an den Rändern der Klänge andere Worte an.
„Baby“, singen sie, es könnte auch „maybe“ heißen, „Baby, I think!“ Auf
einem hellen Ton endet die Stimme, man weiß nicht, ob als Ausruf oder
Frage. Dann wird das Bett aus Stimmen abgelöst von einem kreischenden
Applaus. Die Künstler:innen fallen sich in die Arme, gratulieren
einander.
## Das Unheimliche im Vertrauten
Die heutige Veranstaltung basiere auf Freundschaft, so leitete die
Künstlerin [2][Olga Hohmann] ihre vorausgehende Performance ein. Der
größtenteils englische Text, den sie teils sprechend, teils singend
vorträgt, sei eine Antwort auf Courtesys Album. Er nimmt die Lyrics auf und
spinnt sie weiter: „Gossip“ wird einziger Weg der Informationsbeschaffung,
„mixed feelings“ werden die einzig realen Gefühle, und im Zentrum steht
„the uncanny“.
Klar benennt sie ihr Vorhaben, „das Unheimliche“ als Schnittpunkt zwischen
„heimlich“ und „heimelig“ zu verhandeln. Damit durchkreuzt sie – „against
interpretation“ – die Projekte übereifriger Interpret:innen, Intentionen
hinter Worten hervorzuschälen. Im vertrauten Alltag, lauert es: in Form von
ausgerissenen Haaren, dem Kind, das blutet in der Nacht, der Großmutter,
die immer einen Essensrest vom Vortag in den nächsten Tag mischt.
Spinnenkörper zerteilen sich in ihrem Netz, menschliche in Staub.
Unheimlich ist es, weil sie Wirklichkeiten nicht verzerrt, sondern ihre
Groteske enthüllt. Schneewittchen steht als neue Person auf, Aschenputtel
durchläuft eine schmerzhafte Fuß-OP. Ohne Umschweife reiht sie Assoziation
an Assoziation, und benennt jede Quelle, [3][René Pollesch,] Harry Houdini,
Freund:innen. So wie die ausgerissenen Haare sich in der ganzen Wohnung
verteilen, quillt der Topf an Bildern über.
Dazu gesellt sich trockener Humor. „Which tea is hard to swallow? –
Reali-tea“, liest sie, viele grinsen, einige lachen auf. Aber am Ende
überwiegt der Trost: „If you don’t know where you're going, you can't be
lost.“ Eine Zuschauerin hat Tränen in den Augen.
Später füllt sich der Raum in der ersten Etage zu den DJ-Sets von Courtesy
und Klō mit zaghaft wippenden Körpern. Auf sommerliche Breakbeats folgen
angriffslustige Basslines, man kann zwischen vielen Layers entscheiden.
Erst spät wird der erste Track von „intimate yell“ aufgelegt, die Menge
jubelt zu „My Dazed Friend“. Die Kritik schließen, in Körper aufgehen –
versuchen kann man es.
17 Mar 2025
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## AUTOREN
DIR Yi Ling Pan
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