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       # taz.de -- Ausstellung „Mis(s)treated“ in Bremen: Sehen, was übersehen wird
       
       > In der Bremer Kunsthalle konzentriert sich das Jugendkuratorium „New
       > Perceptions“ auf die Werke von Frauen und hinterfragt Schönheitsbegriffe.
       
   IMG Bild: „Das erste Mahl“: Das Kollektiv Maternal Fantasies paart realistische Situationen mit Kunstgeschichte
       
       In Museen haben sie vor allem eine Rolle: Seit Jahrhunderten sind Frauen
       die schönen Körper auf Leinwänden oder aus Marmor im Raum. Sie sind die
       zarten Musen, [1][die kunstvoll inszenierten Objekte der Begierde].
       
       Ferner sind Werke von Künstlerinnen in Museen viel seltener zu sehen als
       die von Männern. Die Kunsthalle Bremen hat sie jetzt ins Rampenlicht
       gerückt. Zum Beispiel mit dem Wallpaper des queerfeministischen Kollektivs
       Maternal Fantasies. Das hat Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“ neu
       gedacht und es in „The First Supper“, das erste Mahl, umgedreht. Hier
       sitzen nun Frauen, Raben und Kinder am langen Tisch.
       
       Die Ausstellung „Mis(s)treated. Mehr als Deine Muse!“ der Kunsthalle Bremen
       rückt feministische Perspektiven ins Zentrum. Sie zeigt auf, was übersehen
       wird. Das sind vor allem die Künstlerinnen selbst und ihre Werke.
       Präsentiert werden Themen wie Geschlechterrollen, Sorgearbeit und
       sexualisierte Gewalt. Viele der Darstellungen erheben [2][Einspruch gegen
       gängige Schönheitsideale]. Mutterschaft, queere Identitäten und kulturelle
       Prägungen rücken in den Vordergrund.
       
       Die Ausstellung macht dabei auch die Geschichte der Emanzipation von
       Künstlerinnen seit dem 19. Jahrhundert sichtbar. Die meisten Werke
       entstammen der Sammlung der Kunsthalle. Viele von ihnen wurden aber bisher
       selten gezeigt. Zeitgenössische Leihgaben ergänzen neue Sichtweisen.
       
       Der Blick aufs erste Werk der Ausstellung irritiert: ein bronzefarbener
       Kopf, das Abbild eines Mannes. Geht es hier nicht um feministische
       Perspektiven? Ein Blick hinter die Entstehung klärt auf. [3][Die Künstlerin
       Camille Claudel] hat in diesem Werk von 1885 ihren Lehrer, Liebhaber und
       Kollegen Auguste Rodin abgebildet, in dessen Schatten sie ihr Leben lang
       stand. Das macht ihr Schicksal exemplarisch.
       
       Viele Jahre später hat sich in Sachen Gleichberechtigung zwar einiges
       getan. Trotzdem ist Kunst von Frauen noch immer die Ausnahme. „I can’t
       believe I still have to protest this shit!“, bringt eine Projektion von
       Razan Sabbagh diesen frustrierenden Befund schimmernd auf den Punkt.
       
       Noch stärker unterrepräsentiert sind queere Künstlerinnen und Künstlerinnen
       of Color. Die Ausstellung füllt diese Leerstelle. Postmigrantische
       Perspektiven werden zum Beispiel durch Kunst von Fatma Özay eingebracht.
       In ihrem auf einer Fotografie basierenden Werk sind ihre Großmutter und
       Schwester zu sehen, die die traditionelle Tarhana-Suppe zubereiten. In
       ihren Arbeiten thematisiert sie die Geschichte ihrer Familie und muslimisch
       geprägtes Leben in Deutschland. Elif Çeliks Acrylgemälde von 2023 zeigt
       eine Frau mit Kopftuch, rauchend mit einer Zigarette im Mund. Sie macht auf
       die Stereotypisierung von Verschleierung aufmerksam.
       
       Was die Ausstellung besonders macht, sind auch ihre Kurator:innen. Denn
       New Perceptions, [4][so heißt das Team, ist das Jugendkuratorium der
       Kunsthalle]. Die Idee ist, die Perspektiven junger Menschen auf die
       Kunstschätze sichtbar zu machen. Die erste große Ausstellung des
       Jugendkuratoriums „Generation* – Jugend trotz(t) Krise“ [5][war 2023
       gezeigt worden]. Die Resonanz war groß, auch weil diese praktische und, wie
       alles Geniale, naheliegende Jugendarbeit in anderen großen deutschen
       Kunstmuseen so gut wie nicht stattfindet.
       
       ## Auch im Audioguide erheben die Jugendlichen ihre Stimme
       
       Zusammen mit Kustod:innen der Kunsthalle hat das New-Perceptions-Team nun
       auch die gegenwärtige Ausstellung entwickelt. Diesmal erheben die
       Jugendlichen auch im begleitenden Audioguide ihre Stimme und teilen ihre
       Gedanken zu den Werken. Das verleiht dem Besuch eine besondere Dynamik und
       schafft einen vielstimmigen Austausch.
       
       Dadurch wird auch der letzte Raum erträglicher. Bis zu diesem Punkt hatte
       der Gang durch die Ausstellung den Eindruck eines emanzipatorischen und
       empowernden Prozesses vermittelt. Hier macht sich nun Unbehagen breit.
       
       Unterstützt wird das von einem lauten Rauschen, das schon in den vorherigen
       Räumen zu hören war, doch erst hier zur Bedrohung wird. Ein durchlässiger
       weißer Vorhang trennt den Raum. Das hat zwei Funktionen: Er dient als
       Triggerwarnung. Und er symbolisiert die Verborgenheit der hinterm Vorhang
       thematisierten sexualisierten Gewalt.
       
       Auf deren Verharmlosung in den Medien macht Ulrike Rosenbachs
       Videoskulptur, zu der das Rauschen gehört, aufmerksam: Auf einem Bildschirm
       sind Gewaltszenen aus Comics italienischer Pornomagazine zu sehen. Auf den
       vier um ihn herum gruppierten Monitoren läuft die immer gleiche Sequenz der
       Künstlerin, die ihren Kopf hin und her wirft.
       
       Die Ausstellung macht deutlich: Künstlerinnen existieren genug. Was fehlt,
       ist ihre Sichtbarkeit. Spannend wird es dabei genau dort, wo Kunstwerke,
       wie hier, Kunst als System und Betrieb kritisieren.
       
       Die Ausstellung lädt Besucher:innen ein, mitzudenken und sich zu
       vernetzen: Was wünscht ihr euch von Kulturinstitutionen? Welche
       Perspektiven fehlen? Sie erinnert daran, dass Museen keine neutralen Orte
       sind, sondern Institutionen mit Macht. Wer wird gezeigt? Wer wird
       vergessen? Der junge, kritische Blick verschont auch die Kunsthalle selbst
       nicht.
       
       8 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Franka Ferlemann
       
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