URI: 
       # taz.de -- Pride-Verbot in Ungarn: Wenn Sichtbarkeit strafbar wird
       
       > Die Orbán-Regierung verbietet den CSD – auch um Kinder zu „schützen“.
       > Doch eher geht es um Einschüchterung und das Unsichtbarmachen queerer
       > Menschen.
       
   IMG Bild: Künftig in Ungarn verboten: queere Sichtbarkeit, hier die Budapest Pride 2023
       
       Das ungarische Parlament unter Ministerpräsident Viktor Orbán hat am
       Dienstagnachmittag den Christopher Street Day (CSD) und andere
       Pride-Veranstaltungen in Ungarn verboten. Die Begründung für die Änderung
       des Versammlungsrechts, man wolle Kinder schützen, ist so alt wie
       Queerfeindlichkeit selbst. Neu hingegen sind die Methoden, mit denen die
       Teilnehmer*innen „überführt“ werden sollen. Pride-Paraden sind seit
       jeher ein Kampf für die politische und gesellschaftliche Anerkennung und
       Sichtbarkeit queerer Menschen.
       
       Wie jeder Einsatz für Menschenrechte ist die Teilnahme an einem CSD die
       Entscheidung zwischen der langfristigen Freiheit und der kurzfristigen
       Sicherheit. Schon die [1][Stonewall Riots] – die für die Pride-Märsche
       namensgebenden Aufstände in der New Yorker Christopher Street – endeten mit
       den Festnahmen von 13 Aktivist*innen, denen das Ausleben ihrer Wahrheit
       wichtiger war als ihre körperliche Unversehrtheit.
       
       [2][Festnahmen sind in Ungarn bisher nicht angekündigt, Strafen aber
       schon.] Trotz einer geplanten Geldbuße von umgerechnet rund 500 Euro für
       Organisator*innen und Teilnehmer*innen postete der links-grüne
       [3][Bürgermeister Budapests Gergely Karácsony auf Facebook], dass es einen
       Pride-Marsch geben würde – vielleicht den größten bisher.
       
       Leichter gesagt als getan, denn es droht nicht nur die Geldbuße in Höhe
       eines durchschnittlichen Monatslohns in Budapest. Die Teilnehmer*innen
       sollen mithilfe von Gesichtserkennungssoftware festgestellt werden. Einer
       Zuschreibung des Bilds einer Person mit ihrer sexuellen Orientierung, ihrer
       Geschlechtsidentität oder damit, dass sie sich ganz einfach für eine freie
       Gesellschaft einsetzt, steht dann nichts mehr im Weg.
       
       ## Keine Anonymität mehr
       
       Eigentlich bieten Großdemonstrationen wie Pride-Märsche eine gewisse
       Sicherheit – eine Person von vielen zu sein schafft Gemeinschaft wie
       Anonymität. In Budapest, wo seit 1997 CSDs stattfinden, wird das wohl bald
       nicht mehr der Fall sein.
       
       Die Begründung, „Schützt doch einer mal die Kinder“, ist nicht neu. Das war
       sie auch 2023 nicht, als in den USA öffentliche Drag-Shows verboten werden
       sollten. Oder 2021, als Ungarn den Zugang zu queer-inklusiven Medien für
       Kinder und Jugendliche verbot. Oder 2020, als der angehende deutsche
       Kanzler Friedrich Merz auf die Frage zu einem schwulen Bundeskanzler
       antwortete: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es
       nicht Kinder betrifft.“
       
       ## Solidarität wichtig
       
       Kinderschutz als Grundstock für Queerfeindlichkeit überrascht wirklich
       niemanden mehr – doch dass diese Angstmacherei immer und immer wieder so
       gut funktioniert, bleibt schockierend. Besonders, da das neue Gesetz die
       Existenz all jener Kinder negiert, die vielleicht in zehn oder zwanzig
       Jahren selbst für ihre Queerness auf die Straße gehen werden.
       
       Wenn sich also laut der Fidesz-Partei Kinder und Jugendliche ganz
       schrecklich vor queeren Menschen fürchten sollten und sich queere Menschen
       mehr und mehr vor der Orbán-Regierung fürchten müssen, wer kann dann noch
       Zuversicht schaffen?
       
       Neben Karácsony protestieren auch oppositionelle Abgeordnete und zündeten
       während der Abstimmung Rauchbomben im Plenarsaal. Die
       [4][Veranstalter*innen von Budapest Pride] kündigten an, die unter dem
       Motto „Wir sind (zu Hause)“ geplante Demo stattfinden zu lassen: „Sie haben
       unzählige Male versucht, unseren Marsch zu verbieten – und sind
       gescheitert. Sie werden auch jetzt keinen Erfolg haben.“ Dabei ist es im
       Falle Einzelner natürlich denkbar – ja, auch verständlich –, dass sie ihre
       Teilnahme am CSD dieses Jahr aussetzen. Umso wichtiger, dass weiter nach
       Ungarn geschaut und sich solidarisiert wird. [5][Vienna Pride hat bereits
       eine Solidarisierungsdemo angekündigt].
       
       18 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/509879/die-stonewall-unruhen-vom-28-6-1969-geburtsstunde-des-gay-pride/
   DIR [2] /Ungarn-auf-Abwegen/!6076711
   DIR [3] https://www.facebook.com/photo/?fbid=1233352878153381&set=a.447302586758418&locale=de_DE
   DIR [4] https://budapestpride.hu/en/news/we-will-not-let-hungarys-largest-regular-human-rights-demonstration-be-banned/
   DIR [5] https://www.facebook.com/photo/?fbid=1058712782948057&set=a.454851263334215&locale=de_DE
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonathan Gerbig
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt LGBTQIA
   DIR Ungarn
   DIR Pride Parade
   DIR Verbot
   DIR Social-Auswahl
   DIR Queer
   DIR Kolumne Diskurspogo
   DIR Ungarn
   DIR Großbritannien
   DIR Ungarn
   DIR Slowakei
   DIR Queer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Konversionsbehandlungen in Deutschland: Gewalt im Namen Gottes
       
       Queere Menschen suchen Schutz – und erleben Zwang. In kirchlicher Obhut
       oder Therapie sollen sie vermeintlich geheilt werden. Der Glaube daran lebt
       bis heute fort.
       
   DIR Sichtbarkeit beim Disability Pride Month: Sei laut, sei sichtbar – gerade jetzt
       
       Wer nicht der Norm entspricht, soll sich wieder ducken: queer, fett, nicht
       christlich, behindert, migrantisch. Das kommt nicht infrage!
       
   DIR Demokratieabbau in Ungarn: Tiefschlag gegen Orbán-Kritik
       
       Die ungarische Regierung will auslandsfinanzierte NGOs massiv einschränken
       und überwachen. Das Vorhaben erinnert an das russische „Agentengesetz“.
       
   DIR Anti-trans* Urteil in Großbritannien: Sieg der TERFs
       
       Der britische Oberste Gerichtshof definiert Mann und Frau biologisch. Der
       Sieg pseudo-feministischer Stimmen ist ein harter Schlag für trans*
       Personen.
       
   DIR Ungarn auf Abwegen: Ungarisches Parlament stimmt für Pride-Verbot
       
       Mit dem Verbot dürfte Orbán die Opposition diskreditieren und von anderen
       Themen ablenken wollen. Budapests Bürgermeister kündigt Widerstand an.
       
   DIR Meinungsfreiheit in der Slowakei: Ungarn als Vorbild
       
       Seit Tagen gehen Tausende in der Slowakei auf die Straße. Im Zentrum der
       Proteste: die rechte Kulturministerin Martina Šimkovičová.
       
   DIR Christliche „Konversionstherapie“: Wer braucht hier Heilung?
       
       Queers von ihrem Begehren abbringen war Ziel einer internationalen
       Konferenz in Warschau. Undercover zwischen Nonnen, Erzieherinnen und
       Psychologen.