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       # taz.de -- Feministischer Buchladen in Mailand: Wo Männer nur eine Fußnote sind
       
       > Die Libreria delle donne gilt als ältester Frauenbuchladen Italiens.
       > Dieses Jahr wird er 50. Besuch an einem Ort, der den Feminismus bis heute
       > prägt.
       
   IMG Bild: Wurde in den 70er und 80ern zu einem Zentrum des Differenzfeminismus: Libreria delle donne in Mailand
       
       Mailand taz | In der Libreria delle donne ist es gerade ruhig. Eine Kundin
       stöbert in den Regalen, drei Studentinnen unterhalten sich mit der Dame
       hinter der Kasse. Sie sind mehr als 200 Kilometer gefahren, um den
       [1][ältesten Frauenbuchladen] Italiens zu besuchen. Traudel Sattler
       empfängt im Circolo della rosa (auf Deutsch etwa „Kreis der Rose“), dem
       Veranstaltungsraum gleich hinter dem Buchladen, wo eine Stunde später das
       Projekt einer Enzyklopädie der Frau vorgestellt werden soll.
       
       In den 80er Jahren ist Sattler von Heidelberg nach Mailand gezogen, hat die
       Libreria kennengelernt und ist ihr immer noch verbunden. Im Laufe des
       Gesprächs mit der taz füllen sich die vielen Sessel und Sofas im Saal,
       immer wieder schließt sich eine Gesprächsteilnehmerin an. Man merkt
       schnell: An diesem Ort ist die Diskussion zu Hause. Es wird viel Wert auf
       Beziehungen gelegt.
       
       Die Veranstaltung an diesem Samstagnachmittag Ende Februar ist die erste im
       Rahmen des 50. Jubiläums des Buchladens. Die Libreria delle donne wurde
       1975 von einem Dutzend Aktivistinnen gegründet, als die Frauenbewegung in
       vollem Schwung war.
       
       Damals fehlten weiterhin Orte jenseits der Privatwohnungen, [2][wo
       Feministinnen] sich treffen konnten – und wo sie jene Bücher besorgen
       konnten, die nicht per Mausklick zu bestellen waren.
       
       Als Inspiration diente die Librairie des femmes in Paris, die 1974 eröffnet
       worden war. Anders als die Französinnen entschied sich die Mailänder
       Gruppe, nur Bücher von Frauen zu verkaufen. Inzwischen ist der Buchladen
       wegen einer Mieterhöhung einmal umgezogen und ausgewählte Männerbücher
       stehen unter dem Label „Frauenfreunde“ doch in den Regalen (unter ihnen
       „Das Manifest der Kommunistischen Partei“).
       
       Die Mehrheit der Bücher ist von weiblichen Autorinnen: von der
       Theoretikerin Carla Lonzi, die zu den wichtigsten Vordenkerinnen des
       italienischen Feminismus zählt, bis hin zur deutschen Schriftstellerin
       Jenny Erpenbeck.
       
       ## Eine Art Genossenschaft
       
       Es ist nicht der einzige Frauenbuchladen, der während der sogenannten
       zweiten Welle der Frauenbewegung entstanden ist. Und wie in den anderen
       wurde auch hier viel diskutiert, geschrieben, geliebt.
       
       Doch die Geschichte der Libreria ist besonders: Während viele Läden zu
       normalen Unternehmen geworden sind oder schließen musste, wie der Münchner
       Lillemor’s Frauenbuchladen, ebenfalls 1975 gegründet (am gleichen Ort hat
       inzwischen der queerfeministische Buchladen Glitch eröffnet), bleibt die
       Libreria eine Cooperativa, eine Art Genossenschaft.
       
       „Wir sind noch da“, sagt lächelnd Mitgründerin Lia Cigarini, die inzwischen
       für die Veranstaltung eingetroffen ist. Angestellte Buchhändlerinnen gibt
       es nicht. Hinter der Kasse sitzen nur Ehrenamtliche.
       
       Perspektivisch könnte es ein Problem sein: Jüngere Frauen haben es schwer,
       ihre langen Arbeitszeiten mit Familie und Schichten im Buchladen zu
       kombinieren, sagt Laura Colombo. Sie ist Informatikerin und engagiert sich
       seit Jahren hier.
       
       Die Zeit für das gesellschaftliche und politische Engagement wird weniger,
       das könnte Folgen haben. Aber noch funktioniert es“, sagt sie. Zusammen mit
       der Philosophinnengemeinschaft Diotima aus Verona um Luisa Muraro, die zu
       den Gründerinnen des Ladens gehört – und die an diesem Nachmittag auch im
       Publikum sitzt –, entwickelte sich die Libreria in den 70er und 80er Jahren
       zu einem der Zentren des Differenzfeminismus.
       
       Diese Theorie war in Italien, anders als in Deutschland, sehr einflussreich
       und ist es bis heute. Die feministische Strömung stellt den Unterschied
       zwischen Männern und Frauen in den Vordergrund. Statt um Anerkennung
       innerhalb eines männlichen Systems zu kämpfen, zelebriert sie traditionell
       weiblich definierte Tätigkeiten und Eigenschaften, zum Beispiel
       Fürsorgearbeit oder Muttergefühle.
       
       ## Praxis des Anvertrauens
       
       Wichtig dabei ist die politische Praxis des Anvertrauens („Affidamento“),
       einer direkten Beziehung oder Allianz zwischen Frauen über Generationen
       hinweg, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, ohne sich den
       männlichen Hierarchien anpassen zu müssen. Von anderen feministischen
       Gruppen wird der Differenzfeminismus kritisiert. Diese Theorie würde
       existierende Geschlechterstereotype und binäre Ansätze auf Männlichkeit und
       Weiblichkeit zementieren und die Vielfalt der Lebensrealitäten nicht
       beachten.
       
       Auch Streitigkeiten über Themen wie Leihmutterschaft sind unausweichlich.
       In der Libreria gibt man sich offen und will keine intergenerationellen
       Barrikaden hochziehen, im Gegenteil. Giordana Masotto, eine der
       Gründerinnen, sagt, der große Altersunterschied zwischen den Aktivistinnen
       sei „phantastisch“. Denn er ermögliche unterschiedliche Perspektiven.
       
       Sie spüre vor allem „Dankbarkeit“ – gegenüber den Frauen, mit denen sie
       vieles angestoßen habe, und gegenüber den 20- und 30-Jährigen, die
       neugierig seien und Lust haben, das Erbe zu pflegen und weiterzumachen.
       
       „Ohne uns auf einen Sockel zu stellen, sondern mit ihren eigenen Ideen“,
       sagt sie. Immer noch wird die „Libreria“ von vielen Frauen besucht, die die
       zweite feministische Welle erlebt haben, aber im Publikum – wie auch an
       diesem Nachmittag – sitzen auch junge Frauen (und Männer).
       
       Die jüngeren Generationen haben keinen einfachen Weg vor sich: Laut dem
       [3][Global Gender Gap Report 2023], einem Bericht des
       Weltwirtschaftsforums, der die Kluft der Geschlechter analysiert, liegt
       Italien auf Platz 79 von 146 Ländern (Deutschland belegt den 6. Platz).
       Obwohl Frauen in Italien durchschnittlich besser ausgebildet sind als
       Männer, liegt ihre Beschäftigungsquote rund 18 Prozentpunkte niedriger (52
       Prozent bzw. 70 Prozent).
       
       Sexismus und genderspezifische Gewalt sind noch sehr verbreitet, 2024
       wurden mindestens [4][97 Feminizide] gemeldet. Und zudem sind Frauen in der
       Politik stark unterrepräsentiert. Hinzu kommen die Außenbedingungen: Die
       Klimakrise, internationale Konflikte wie in der Ukraine und im Nahen Osten,
       in denen die Position der Frau von verschiedenen Seiten instrumentalisiert
       wird.
       
       So wurde nach dem 7. Oktober Teilen der Linken vorgeworfen, aus
       ideologischen Gründen zur Gewalt der Hamas gegen Jüdinnen geschwiegen zu
       haben. Und nicht zuletzt ist da ein politisches Klima, das weltweit immer
       konservativer wird.
       
       18 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Frauenbuchladen-Lillemors-in-Muenchen/!5959481
   DIR [2] /Ziviler-Widerstand-in-Italien/!5974690
   DIR [3] https://www.weforum.org/publications/global-gender-gap-report-2023/
   DIR [4] /Femizide-als-Straftat/!6071549
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Francesca Polistina
       
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