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       # taz.de -- Schulpolitik in Niedersachsen: Die Kultusministerin hat jetzt eine Dauerwerbesendung
       
       > Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) ist unter
       > die Podcaster gegangen. Die Frage ist nur: Wer soll sich das anhören?
       
   IMG Bild: Wo sind denn die verflixten Hausaufgaben geblieben? Wer wissen will, wie die Ministerin so tickt, kann sich ihren Podcast anhören
       
       Hannover taz | Auch das noch, denkt man als Journalist*in unwillkürlich,
       wenn man hört, dass die niedersächsische [1][Kultusministerin Julia Willie
       Hamburg (Grüne)] jetzt auch noch unter die Podcaster gegangen ist.
       
       Man ist in diesem Bereich ja schon einiges gewohnt, weil es seit Jahren zum
       Politiker-Handwerk gehört, sich auf diversen Social-Media-Kanälen in der
       direkten Kommunikation mit dem Wahlvolk zu versuchen: Kommunalpolitiker auf
       Facebook, Spitzenbeamte auf Instagram, der Ministerpräsident auf Youtube –
       alles schon gesehen.
       
       Meist geht es dabei darum zu erklären, dass man ja schon viel mehr gut und
       richtig macht, als der Wähler gemeinhin denkt – vor allem, wenn der seine
       Informationen nur aus dieser kritischen Presse bezieht, die immer doofe
       Fragen stellt und an allem bloß herumnörgelt.
       
       Ein Großteil dieser Inhalte ist sturzlangweilig und „versendet sich“, wie
       das früher unter Radio- und Fernsehmachern so hieß, sorgt aber immerhin für
       einen beeindruckenden Stellenzuwachs in den Pressestellen.
       
       Podcasts sind aufwandsmäßig noch mal eine ganz andere Hausnummer, wenn man
       bedenkt, was so ein einstündiges Geplauder an Vorbereitung und
       Nachbearbeitung braucht. Dafür bieten sie aber mehr Tiefe und Nähe.
       
       ## Mit Aladin El-Mafaalani kann man nichts falsch machen
       
       Da wird nicht nur dran vorbeigescrollt, das kann man sich – die meisten
       Hörer benutzen ja Kopfhörer – so richtig tief in die Gehörgänge bohren. So
       nah kommen einem sonst fast nur die Stimmen von Menschen, mit denen man das
       Kopfkissen teilt. Im Wahlkampf spielten Podcast-Auftritte der diversen
       Kanzlerkandidaten schon eine große Rolle – das hat man sich aus den USA
       abgeschaut, obwohl das da nicht gut ausging.
       
       Ein eigener Podcast hat außerdem den Vorteil, dass man sich nicht den
       Fragen anderer Leute aussetzen muss, also auch nicht Gefahr läuft, sich um
       Kopf und Kragen zu reden.
       
       Die Kultusministerin hat sich also, so sieht es jedenfalls in der ersten
       Folge [2][ihres Podcasts „Bildung. Klar.“] aus, für ein klassisch
       risikoarmes Format entschieden: Man setzt sich hin und redet mal mit
       Leuten, die man eh gut findet.
       
       In der ersten Folge ist das der [3][Bildungssoziologe Prof. Dr. Aladin
       El-Mafaalani], mit dem man praktisch sowieso nichts falsch machen kann. Der
       ist einfach ein Supertyp: Kind syrischer Akademiker, im Ruhrpott
       aufgewachsen, war mal Schlagzeuger in einer Punk-Band und
       Berufsschullehrer, bevor er in die Forschung ging und mit Bestsellern wie
       „Das Integrationsparadox“, „Mythos Bildung“ und „Wozu Rassismus?“ auf sich
       aufmerksam machte.
       
       Der sagt – egal, wo man ihn hinsetzt – todsicher immer sehr viele kluge
       Dinge, darunter auch solche, die Grüne gern hören. Manchmal schafft er es
       aber auch bei anderen, damit zu landen.
       
       Das liegt unter anderem daran, dass er sich selten mit den Dingen aufhält,
       die bildungspolitische Debatten sonst gern lahmlegen: ermüdende
       Grundsatzdebatten zum Beispiel oder das große „Blame-Game“, in dem sich
       alles darum dreht, ob nun die Eltern, die Lehrer, die Gesellschaft oder das
       Schulsystem insgesamt Schuld daran sind, dass früher alles besser war.
       
       Außerdem zaubert er immer, wenn der Befund zu deprimierend wird, irgendein
       Pilotprojekt aus dem Hut, das sagt: Sieh mal, es bewegt sich doch was.
       
       ## Eine Ministerin als Stichwortgeberin
       
       Die Kultusministerin muss sich also eigentlich nur darauf beschränken, ihm
       die richtigen Stichwörter zu liefern. Und kann dann ab und zu einfließen
       lassen, dass Niedersachsen sich hier oder da ja „auch schon auf den Weg
       gemacht hat“.
       
       Das garniert sie ganz charmant mit ein paar Schulvokabeln: Setzt eine
       „Verfügungsstunde“ an, packt ein „Freundebuch“ aus, lässt sich
       „Hausaufgaben“ geben.
       
       Bleibt die Frage, wer – außer Fans grüner Bildungspolitik – sich das eine
       Stunde lang anhören soll. Die Antwort deutet Hamburg in ihrer Einleitung
       an: „Viele Schulen fragen sich ja, wie sie sich für die Zukunft besser
       aufstellen können“, behauptet sie da.
       
       Dafür ist das also: Damit Schulleitungen lernen, wie die Chefin so tickt.
       Und mit welchen Floskeln sie die nächsten Fördermittel-Anträge garnieren
       müssen, um erfolgreich zu sein.
       
       22 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gruene-Spitzenkandidatin-in-Niedersachsen/!5884863
   DIR [2] https://www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/niedersachsens-kultusministerin-startet-video-podcast-bildung-klar-der-podcast-von-julia-willie-hamburg-er-ist-ab-sofort-auf-allen-bekannten-plattformen-verfugbar-240387.html
   DIR [3] /Bildungsforscher-ueber-Zukunft-der-Kinder/!6069643
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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