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       # taz.de -- Brandmauer gegen rechts hält durchaus: Beschleunigung mit der AfD
       
       > Die Brandmauer zur AfD ist besser als ihr Ruf, das zeigt eine Studie.
       > Wenn sie fällt, geht's oft um lokale Anliegen, wie neulich in Magdeburg.
       
   IMG Bild: Was tun, wenn es brennt? Ein Feuerlöscher auf dem AfD-Bundesparteitag in Magdeburg, 2023
       
       Berlin/Leipzig taz | Von der AfD halte er nichts, sagt Tim Rohne. Der
       Vorsitzende der CDU/FDP-Fraktion im Magdeburger Stadtrat kennt genug
       menschenverachtende Sätze von AfD-Mitgliedern. Darum stimme sich seine
       Fraktion nicht inhaltlich mit der AfD über Anträge ab. Es gebe keine
       Zusammenarbeit, das verstehe er unter „Brandmauer“, sagt Rohne. Trotzdem
       hat seine Fraktion am Montag einem Antrag zugestimmt, den die AfD
       eingebracht hat.
       
       Es ging um verkehrsberuhigende Schwellen – sogenannte Berliner Kissen – am
       Magdeburger Hasselbachplatz. Die AfD forderte in ihrem Antrag, diese
       abzubauen. Mit den Stimmen der CDU/FDP-Fraktion ist das nun beschlossen.
       Der Autoverkehr rollt wieder ungebremst.
       
       „Das war eins zu eins unsere Politik“, erklärt Tim Rohne. Er spricht
       schnell am Telefon, klingt etwas aufgebracht. „Wir machen uns lächerlich,
       wenn wir da plötzlich eine Wende machen. Das kann ich auf der Straße
       niemandem erklären.“
       
       Rohne sagt, er verstehe das Argument, dass mit den Stimmen für die [1][AfD
       eine Normalisierung einhergehe]. In Sachsen-Anhalt stuft der
       Verfassungsschutz die Partei als gesichert rechtsextrem ein. „Aber wir sind
       nicht im Bundes- oder Landtag“, verteidigt Rohne die Zustimmung. „Es ging
       um Berliner Kissen, nicht um eine Grundsatzentscheidung.“ In dieser
       Sitzungsperiode war es das erste Mal, dass die AfD im Magdeburger Stadtrat
       einen Antrag durchbringen konnte. Doch es ist nur das jüngste Beispiel in
       Deutschland.
       
       ## Brandmauer unter Druck
       
       Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, WZB, hat untersucht,
       ob die „Brandmauer“ hält, also die Strategie, die
       autoritär-nationalradikale AfD politisch zu isolieren. Es ist die erste
       bundesweite Analyse, nachdem dasselbe Team im letzten Jahr gezielt in die
       ostdeutschen Länder geschaut hat. Damals zog sie [2][das überwiegend
       positive Fazit], die „Brandmauer“ sei „stabiler als vielfach vermutet“. Der
       neue Befund macht nun einige Abstriche.
       
       Vor allem CDU-Chef Friedrich Merz habe mit der Inkaufnahme von AfD-Stimmen
       im Bundestag Ende Januar dafür gesorgt, dass eine erste Schicht der
       Brandmauer, die der indirekten Kooperationen, durchbrochen worden sei. Die
       Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, Daniel Ziblatt („Wie Demokratien
       sterben“) und Florian Borchert haben in ihrer bundesweiten Analyse nun vor
       allem die zweite Schicht in den Blick genommen: die direkte Zustimmung zu
       einem AfD-Antrag. Ihre Prognose ist skeptisch: Weil Merz die erste
       Brandmauer bereits durchbrochen habe, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit
       direkter Kooperationen – oder wie die Forscher schreiben: „Die Büchse der
       Pandora ist geöffnet!“
       
       Denn auch auf der kommunalen Ebene bröckelt es vielerorts: Im Zeitraum von
       fünf Jahren hat das Forschungsteam in 347 Landkreisen 990 [3][Kooperationen
       anderer Parteien mit der AfD] festgestellt. In mehr als 300 dieser Fälle
       waren es nicht nur versprengte Einzelabgeordnete, die für einen AfD-Antrag
       stimmten, sondern sogar „starke Kooperation“ mit mindestens 10 Prozent der
       Abgeordneten aus anderen Fraktionen. Für die Analyse hat das Team zwischen
       2019 und 2024 mehr als 11.053 Sitzungen von gewählten
       Volkvertreter:innen in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien
       Städten untersucht.
       
       Dabei bestehe „kein großer Unterschied zwischen ost- und westdeutschen
       Kreisen“. Allerdings seien vor allem ostdeutsche Landkreise „Vorreiter bei
       der Kooperation mit der AfD“.
       
       ## Wo die Brandmauer herkommt
       
       Parteipolitisch ließen sich die Kooperationen in der Untersuchung nicht
       immer zuordnen. Lediglich in 372 von 990 Fällen ist klar, welche Parteien
       mit der AfD kooperiert haben. Vor allem fraktionslose und regionale
       Parteien wie Freie Wähler arbeiteten am häufigsten mit der AfD zusammen,
       gefolgt von FDP und CDU. Aber auch SPD, Grüne und die Linke kooperierten
       auf lokaler Ebene mit der AfD. Keine der etablierten Parteien schaffe es,
       die Brandmauer in allen Kreisen „grundsätzlich und damit ohne Abweichungen,
       aufrechtzuerhalten“, hält die Studie fest.
       
       Interessant ist auch ein Abschnitt zur Genese der Brandmauer. Darin heißt
       es, dass diese auch eine historische Erfahrung aus Deutschland und Italien
       der 1920er und 1930er Jahre sei. Feinde der liberalen Demokratie seien
       nicht von oben über den Zentralstaat an die Macht gekommen, „sondern von
       unten, also durch ihre Arbeit in den Kommunen“. Historische Erfahrungen
       zeigten, „wie sehr Kooperationen von etablierten Parteien mit radikalen
       Parteien die Demokratie gefährden können“. Eine Kooperation und damit
       Normalisierung und Legitimation von radikalen Kräften könne dazu führen,
       dass eine Beteiligung schnell zur „Machtübernahme“ werden könne.
       
       Entsprechend warnen die Forscher davor, [4][die kommunale Ebene zu
       depolitisieren], weil auch Wohnungs- und Verkehrsfragen hochpolitisch
       seien. Ein AfD-Kooperations-Verbot nur in „gesetzgebenden Körperschaften“
       wie Landtagen und dem Bundestag ignoriere „die Bedeutung der
       Kommunalpolitik für die Normalisierung autoritärer Bewegungen und
       Parteien“.
       
       Die Forscher warnen jedoch: Würde sich die Häufigkeit von direkten
       Kooperationen mit der AfD auf lokaler Ebene weiter erhöhen, sei dies „sehr
       bedenklich“ – „denn jegliche Form der Kooperation kann zu einer
       Normalisierung und Legitimierung der radikalen Kräfte führen“.
       
       Immerhin blieb in 81 Prozent der Fälle eine Zusammenarbeit aus. Das Fazit
       der Forscher ist also nicht durchweg negativ: „Obwohl die Brandmauer also
       zu bröckeln beginnt, ist sie entgegen vielfacher Darstellung auf kommunaler
       Ebene noch lange nicht vollständig eingerissen.“
       
       21 Mar 2025
       
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