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       # taz.de -- Tod und Terror im Nahen Osten: Schweigen ist nicht neutral
       
       > Die Bundesrepublik unterstützt den Staat Israel im Gazakrieg. Dabei
       > missachtet sie internationales Völkerrecht und unterdrückt Kritik.
       
   IMG Bild: Wieder auf der Flucht vor israelischen Luftangriffen am Mittwoch im nördlichen Gazastreifen
       
       Die seit Mitte Januar in Gaza geltende Waffenruhe ist vorbei. In der Nacht
       von Montag auf Dienstag kamen bei heftigen Angriffen der israelischen
       Luftwaffe auf den gesamten Küstenstreifen mehrere hundert Menschen ums
       Leben.
       
       Die humanitäre Lage ist aufgrund der weitgehenden Zerstörung katastrophal.
       Seit Anfang März blockiert Israel trotz formaler Waffenruhe die Einfuhr
       humanitärer Güter; Menschen (ver-)hungern und es sind mindestens sieben
       Babys erfroren. Israel stellte zudem die Stromversorgung einer der letzten
       Trinkwasserentsalzungsanlagen ab und bereitet die Umsetzung von Donald
       Trumps völkerrechtswidrigem Plan der Umsiedlung der Palästinenser vor.
       
       Gleichzeitig intensivierte Israel die Vernichtung und Vertreibung im
       Westjordanland. [1][Mehr als 40.000 Menschen wurden bislang vertrieben],
       lebenswichtige Infrastruktur wurde zerstört. Äußerungen israelischer
       Politiker legen nahe, dass Israel im Westjordanland zunehmend [2][wie in
       Gaza vorgeht].
       
       In Deutschland wurde unterdessen Kritik an Israel seit Oktober 2023
       verstärkt unterdrückt und als Antisemitismus diffamiert sowie sanktioniert.
       Die Parteien der sogenannten Mitte missachteten grundlegende Rechte und
       übernahmen vermehrt Elemente rechter Politik. Dies und die Polizeigewalt
       gegen Demonstranten, die sich für die Einhaltung internationalen Rechts
       einsetzen und auf israelische Menschenrechtsverletzungen hinweisen, sind
       beängstigend, schien jedoch viele hierzulande nicht zu stören.
       
       Erst als diese Dynamik im Fall der „Brandmauer“ Ende Januar 2025 gipfelte,
       gingen in vielen Städten Zehntausende auf die Straßen. Dennoch fehlt
       weiterhin ein Bewusstsein dafür, dass die verstärkte Übernahme rechter
       Politik durch die Parteien der sogenannten Mitte eng mit Deutschlands
       Unterstützung von Israels Völkerrechtsverbrechen zusammenhängt.
       
       ## Israel nutzt Hunger als Kriegswaffe
       
       In Deutschland muss es möglich sein, das Handeln eines anderen Staates zu
       kritisieren, zu verurteilen und Rechenschaft einzufordern. Dass es sich bei
       Israels Vorgehen in Gaza nicht um „Selbstverteidigung“ handelt, wurde
       bereits in den ersten sechs Tagen der Offensive deutlich. Israel gab an,
       6.000 Bomben auf Gaza abgeworfen zu haben.
       
       Mehr als 1.400 Menschen wurden getötet. Den genozidalen Äußerungen
       israelischer Politiker folgten unmittelbar Taten. So setzte Israel direkt
       zu Beginn Hunger als Kriegswaffe ein. Gut dokumentiert sind israelische
       Völkerrechtsverbrechen auch dank der Videos, die israelische Soldaten in
       den sozialen Medien verbreiteten.
       
       Bereits am 15. Oktober 2023 [3][warnten rund 800 internationale Experten
       und Wissenschaftler vor einem Völkermord] an den Palästinensern. Im
       November 2023 forderten UN-Experten die internationale Gemeinschaft auf,
       einen Völkermord zu verhindern, und [4][im Dezember stufte das
       Lemkin-Institut Israels Vorgehen in Gaza als Genozid ein]. Zahlreiche
       Berichte und Analysen stützen seitdem dieses Ergebnis.
       
       Die Bundesregierung entschied sich dennoch, nationales und internationales
       Recht zu missachten und Israel politisch, militärisch und rechtlich zu
       unterstützen. Waffenexporte nach Israel stiegen in den ersten Monaten von
       Israels Offensive drastisch an, die Faktenlage wurde verharmlost oder
       ignoriert und Völkerrechtsverbrechen nicht benannt und verurteilt.
       
       Ein weiterer Schockmoment war die Reaktion der Bundesregierung auf die
       [5][Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) im Januar 2024],
       der ein plausibles Risiko für einen Völkermord an den Palästinensern durch
       Israel feststellte. Denn es wurde klar: Auch die internationalen
       Institutionen waren nicht in der Lage, die deutsche Politik auf den
       richtigen Kurs zu bringen.
       
       ## Deutschlands Entscheidung hat einen Bumerangeffekt
       
       Die Entscheidung des IGH bedeutete, dass Drittstaaten nun in der Pflicht
       waren, Maßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern.
       Stattdessen verkündete die Bundesregierung, der „Vorwurf entbehrt jeder
       Grundlage“. Der Delegitimierung des IGH folgte bald darauf auch die
       Delegitimierung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH); dieser
       stellte [6][internationale Haftbefehle gegen Netanjahu und
       Verteidigungsminister Yoav Gallant aufgrund von Kriegsverbrechen und
       Verbrechen gegen die Menschlichkeit] aus.
       
       Das Ergebnis der Politik Deutschlands sowie der USA und anderer westlicher
       Staaten ist die systematische Zerstörung palästinensischen Lebens. [7][Nach
       offiziellen Angaben liegt die Zahl der Todesopfer bei 48.577]; nach
       Schätzungen von Experten ist die Zahl der direkten und indirekten
       Todesopfer [8][um ein Vielfaches höher] und sie wird aufgrund der
       katastrophalen humanitären Lage und der weitgehend zerstörten zivilen
       Infrastruktur weiter steigen.
       
       Deutschlands Entscheidung, gegen die Prinzipien des Völkerrechts zu
       verstoßen und Israel auch weiterhin massiv zu unterstützen, hat zudem einen
       Bumerangeffekt. Denn diese Unterstützung war nur möglich, indem die eigenen
       verfassungsmäßigen Verpflichtungen infrage gestellt wurden und zunehmend
       repressiv gegen kritische Stimmen hierzulande vorgegangen wurde.
       
       Deutschland muss sich jedoch mindestens an seine eigene Verfassung halten
       und als Vertragsstaat der UN-Völkermordkonvention und des Römischen Statuts
       Maßnahmen wie Sanktionen und ein vollständiges Waffenembargo gegen Israel
       ergreifen.
       
       Deutschland muss darauf hinwirken, dass Israel die gesamte Besatzung in
       Gaza und im Westjordanland einschließlich Ostjerusalem, die [9][laut
       IGH-Gutachten] vom Juli 2024 rechtswidrig ist, umgehend beendet. Die Medien
       müssen ihrer Rolle als vierte Gewalt gerecht werden, und gesellschaftliche
       Akteure müssen sich gegen Repression und die Missachtung grundlegender
       Rechte wie Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit stellen. Wer tatenlos
       zusieht, wenn Rechte missachtet werden, normalisiert diese Missachtung.
       Schweigen ist nicht neutral.
       
       21 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.972mag.com/west-bank-refugee-camps-israel-iron-wall/?utm_source=972+Magazine+Newsletter&utm_campaign=36ec582b9a-EMAIL_CAMPAIGN_9_12_2022_11_20_COPY_01&utm_medium=email&utm_term=0_f1fe821d25-36ec582b9a-320830489
   DIR [2] https://www.ft.com/content/8e2b53ab-1de1-466e-b759-501cc8a0ce58
   DIR [3] https://twailr.com/public-statement-scholars-warn-of-potential-genocide-in-gaza/
   DIR [4] https://www.lemkininstitute.com/statements-new-page/statement-on-why-we-call-the-israeli-attack-on-gaza-genocide
   DIR [5] https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20240126-sum-01-00-en.pdf
   DIR [6] https://www.icc-cpi.int/news/situation-state-palestine-icc-pre-trial-chamber-i-rejects-state-israels-challenges
   DIR [7] https://www.ochaopt.org/content/reported-impact-snapshot-gaza-strip-18-march-2025
   DIR [8] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)01169-3/fulltext?ref=readthecatch.ca
   DIR [9] https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/186/186-20240719-adv-01-00-en.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christine Binzel
   DIR Hanna Kienzler
   DIR Michael Barenboim
       
       ## TAGS
       
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