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       # taz.de -- Greenpeace-Chef zur 660-Millionen-Strafe: „Wir wussten, dass uns kein gerechter Prozess erwartet“
       
       > Ein US-Gericht hat Greenpeace dazu verurteilt, einer Ölfirma hunderte
       > Millionen US-Dollar zu zahlen. Greenpeace-Chef Mads Christensen wehrt
       > sich.
       
   IMG Bild: Protestierende gegen die Pipeline: kurz vor der Räumung durch die Polizei, 2017 in North Dakota
       
       taz: Herr Christensen, ein US-Gericht im Bundesstaat North Dakota hat Ihre
       NGO Greenpeace [1][am Mittwoch zu Schadensersatzzahlungen in Höhe von 660
       Millionen US-Dollar verurteilt]. Sie soll in den Jahren 2016 und 2017
       Proteste gegen den Bau der Dakota Access Pipeline (DAP) organisiert und
       deren Betreiber, der Ölfirma Energy Transfer, so erheblichen
       wirtschaftlichen und Rufschaden zugefügt haben. Wie bewerten Sie das
       Urteil? 
       
       Mads Christensen: Dass wir das organisiert haben sollen, ist großer Unfug.
       Die indigenen Gemeinschaften haben die Proteste angeführt und mutig [2][ihr
       Land, ihr Wasser und ihre Rechte verteidigt]. Sie wollten verhindern, dass
       die Pipeline durch das angestammte Land der Standing Rock Sioux verläuft.
       Wir von Greenpeace waren stolz, ihrem Aufruf für Solidarität zu folgen.
       
       taz: Die Bilder davon gingen um die Welt, Tausende Menschen kamen aus allen
       Landesteilen der USA, um sich den Bauarbeiten in den Weg zu stellen. Dabei
       gab es auch Sabotageakte. Welche Rolle hat Greenpeace dabei gespielt? 
       
       Christensen: Von April bis August 2016 wuchsen die Proteste von Hunderten
       auf Zehntausende Menschen an. Bis auf ein paar Ausnahmen verliefen sie
       friedlich. Umgekehrt aber waren die Aktivist*innen enormer Brutalität
       der Polizei und privater Sicherheitsdienste ausgesetzt.
       
       Unsere indigenen Verbündeten haben uns in dieser Situation gebeten, unsere
       Erfahrung in der Organisation friedlicher Protestaktionen einzubringen.
       Greenpeace USA stellte daraufhin für einige Monate sechs
       Mitarbeiter*innen ab, die gewaltfreie Aktionstrainings veranstalteten.
       Und wir haben einen Lastwagen mit Solarpanels aufgestellt, der das
       Protestcamp mit Strom versorgt hat.
       
       taz: Konnte das Gericht Ihren Leuten nachweisen, dass sie sich an
       Sabotageaktionen beteiligten oder dazu aufriefen? 
       
       Christensen: Nein. Dafür hat das Gericht keine Beweise. Die Kolleg*innen
       von Greenpeace USA waren dort, um zu deeskalieren.
       
       taz: Und was hat Greenpeace International gemacht? 
       
       Christensen: Wir haben zwei Briefe geschrieben: einen, um Unterschriften zu
       sammeln. Und einen zweiten gemeinsam mit 500 anderen Organisationen,
       adressiert an eine Reihe von Banken, die an der Finanzierung der Pipeline
       beteiligt waren. Aber dieser Brief war nicht einmal Gegenstand des
       Prozesses.
       
       taz: Warum urteilte das Gericht dann gegen Sie? 
       
       Christensen: North Dakota ist sehr abhängig von fossilen Brennstoffen. Als
       ich dort war, habe ich jede Stunde Kohlezüge vor meinem Fenster gesehen.
       Die größte Ölraffinerie des Landes ist gleich um die Ecke. Die Auswahl der
       Geschworenen spiegelte diese Abhängigkeit wider. Die Mitglieder der Jury
       waren von der fossilen Industrie abhängig, wurden von ihr bezahlt oder
       waren anderweitig an ihr beteiligt. Wir wussten von Anfang an, dass wir
       keinen gerechten Prozess erwarten können. Traurigerweise hat sich das
       bestätigt.
       
       taz: Ihr Anwalt sagte, das Ganze sei ein sogenanntes Slapp gewesen, also
       ein strategischer Gerichtsprozess mit dem Ziel, Ihre NGO einzuschüchtern
       und vom Aktivismus für die Umwelt abzuhalten. 
       
       Christensen: Zweifelsfrei war das ein Slapp. Aber als Greenpeace sind wir
       darin nur ein willkürliches Ziel, weil wir eine große Strahlkraft haben.
       Die Klage soll die gesamte Bewegung für Umweltschutz und die Rechte
       indigener Gemeinschaften einschüchtern. Sie ist ein Angriff auf die
       Meinungsfreiheit.
       
       taz: Sie arbeiten seit mehr als 30 Jahren für Greenpeace. Haben Sie solche
       Klagen schon mal erlebt? 
       
       Christensen: Ja. Greenpeace war in den letzten Jahren häufiger Ziel solcher
       Klagen: eine in Großbritannien von Shell, einige auch von der italienischen
       Ölfirma Eni. Meistens wehren wir diese ab. In Europa haben wir [3][dank
       zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen] mittlerweile eine
       ziemlich starke Anti-Slapp-Gesetzgebung.
       
       taz: In North Dakota gibt es solche Gesetze, anders als in anderen
       US-Bundesstaaten, nicht. Und dieser Fall hatte eine andere Dimension.
       
       Christensen: Das ist bei Weitem die größte Schadensersatzforderung gegen
       uns und sicherlich auch das absurdeste Urteil. Seit Jahrzehnten betreiben
       Ölfirmen Desinformationskampagnen, um zu vertuschen, dass sie unser Klima
       und unsere Umwelt zerstören. Doch in den letzten Jahren sind sie
       aggressiver geworden. Sie versuchen immer vehementer, die Opposition durch
       Slapp zum Schweigen zu bringen.
       
       taz: Wie stehen die Chancen für Sie, das Urteil abzuwehren? 
       
       Christensen: Das ist ungewiss. Wir haben einen langen juristischen Kampf
       vor uns.
       
       taz: Welche Bedeutung hat der aktuell laufende Staatsumbau unter der neuen
       Trump-Regierung in den USA für Ihre Aussichten, das Verfahren in einer
       höheren Instanz zu gewinnen? 
       
       Christensen: Der Fall ist bereits politisch. Der Eigentümer des
       Unternehmens Energy Transfer, Kelcy Warren, ist Multimilliardär und war
       über viele Jahre einer der größten Trump-Unterstützer. Auch das
       Rechtssystem in den USA ist durch die Trump-Administration auf verschiedene
       Weise unter Druck geraten.
       
       Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump den Obersten Gerichtshof mit sehr
       konservativen Richtern besetzt. Wie genau sich das auf unseren Fall
       auswirken wird, ist schwer zu sagen, auch weil wir noch nicht genau wissen,
       wie wir in Berufung gehen werden. Wir sind noch dabei, das Urteil zu
       analysieren und die verschiedenen Optionen zu prüfen, die uns zur Verfügung
       stehen.
       
       taz: Wie wirkt sich dieser Rechtsstreit auf Ihr Kerngeschäft aus? Können
       Sie sich weiter für Umwelt und Klima engagieren? 
       
       Christensen: Greenpeace ist eine große globale Organisation, aber wir sind
       nicht so groß, dass wir 660 Millionen US-Dollar Strafe zahlen werden
       können. Für Greenpeace USA stellt die Klage also ein existenzielles Risiko
       dar. Wir werden uns wehren. Wir sind gut versichert und können die
       Millionen an Kosten stemmen, die das Verfahren bisher schon gekostet hat
       und weiter kosten wird.
       
       Was das am Ende für Greenpeace USA bedeutet, ist eine offene Frage. Erst
       mal machen wir ganz normal weiter. Wir haben eine starke Kampagnenarbeit in
       den USA, die werden wir fortführen. Für den Rest der Greenpeace-Welt sehe
       ich keine großen Risiken. Besonders hier [4][in Europa haben wir das Glück
       einer starken Anti-Slapp-Gesetzgebung], die auch Greenpeace International
       und die übrigen Greenpeace-Organisationen schützen kann.
       
       taz: Sie sagen, das Urteil soll auch andere Akteure der Bewegung für
       Umweltschutz und indigene Rechte einschüchtern. Denken Sie, das Urteil hat
       Signalwirkung? 
       
       Christensen: Ich hoffe, es hat den umgekehrten Effekt und ruft alle in der
       Zivilgesellschaft auf, sich nicht wegzuducken. Wir müssen unsere
       grundlegenden Rechte verteidigen und ein starkes Gegengewicht zu den
       kurzfristigen Unternehmens- und Finanzinteressen auf diesem Planeten
       bilden, die unseren Planeten derzeit verwüsten. Wir müssen für das
       eintreten, was wir für richtig halten und weiter kämpfen. Das ist jetzt
       wichtiger denn je.
       
       20 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Bachmann
       
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