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       # taz.de -- Dekoder: der Krieg und seine Opfer: „Das ‚Faschisten‘-Narrativ stellt die Ukraine als Feind dar“
       
       > Das Dekoder-Projekt würdigt vergessene Opfer des Zweiten Weltkriegs. Es
       > zeigt, wie historische Narrative heute politisch instrumentalisiert
       > werden.
       
       Der postsowjetische Raum ist ein Schwerpunkt der [1][taz Panter Stiftung].
       Diese Podcastfolge ist ein Kooperationsprojekt mit Dekoder im Rahmen von
       [2][„Der Krieg und seine Opfer“]. Im Gespräch mit dem taz-Redakteur Martin
       Krauss sind Tanja Penter, Historikerin und Professorin für osteuropäische
       Geschichte an der Universität Heidelberg sowie Sprecherin des
       DFG-Graduiertenkollegs „Ambivalent Enmity“, und Leonid A. Klimov,
       promovierter Kultur- und Literaturwissenschaftler. Penter forscht zu
       zivilen Opfern der deutschen Besatzungsverbrechen in der Ukraine sowie zur
       Nachkriegsgeschichte der juristischen (Nicht-)Aufarbeitung dieser
       Verbrechen. Klimov studierte in St. Petersburg und Hamburg. Er ist
       Wissenschaftsredakteur bei Dekoder und koordiniert das Projekt „Der Krieg
       und seine Opfer“.
       
       In diesem Beitrag können Sie den Link zur Podcastfolge oben finden.
       Parallel hat Moritz Martin ein Interview mit Leonid A. Klimov geführt, das
       Sie hier lesen können:
       
       taz: Herr Klimov, „Der Krieg und seine Opfer“ von Dekoder war für den
       Online-Grimme-Preis 2024 nominiert. Was hat Sie zu diesem Projekt bewegt? 
       
       Leonid A. Klimov: Der erste Impuls lag in einer auffälligen Lücke der
       deutschen Erinnerungskultur. Während der Holocaust und Auschwitz als
       zentrale Symbole für die NS-Verbrechen stehen, bleibt eine andere Dimension
       oft im Hintergrund: Noch bevor die Gaskammern in Auschwitz industriell in
       Betrieb genommen wurden, wurden in Osteuropa bereits bis zu zwei Millionen
       jüdische Menschen erschossen. Der Vernichtungskrieg Deutschlands gegen die
       Sowjetunion kostete insgesamt mindestens 14 Millionen Zivilist:innen
       das Leben. Diese oft vergessenen Opfer wollten wir mit unserem Projekt
       würdigen.
       
       taz: Neben klassischen Texten werden die Kriegsgeschehnisse mithilfe
       anschaulicher Illustrationen und interaktiver Karten aufgearbeitet. Welche
       Herausforderungen gab es bei der Umsetzung? 
       
       Klimov: Uns war wichtig, sowohl journalistisch als auch wissenschaftlich
       fundiert vorzugehen. Eine besondere Herausforderung war die mangelnde
       digitale Infrastruktur: Viele historische Karten sind zwar gescannt, aber
       nicht für interaktive digitale Projekte aufbereitet. Wir haben hier Schritt
       für Schritt neue Wege der digitalen Erinnerungskultur entwickelt.
       
       taz: Wie unterschiedlich wird die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in
       Russland und Deutschland verstanden? 
       
       Klimov: Im Gegensatz zur deutschen Erinnerungskultur, die stark von der
       Täter-Opfer-Perspektive geprägt ist, dominiert in Russland das Narrativ des
       siegreichen Widerstands gegen Nazideutschland. Dabei wird der Sieg bewusst
       Russland und nicht der gesamten Sowjetunion zugeschrieben – eine
       Interpretation, die für die heutige politische Agenda instrumentalisiert
       wird.
       
       taz: Mit seiner Rhetorik der „Entnazifizierung“ stellt Putin auch den
       Ukraine-Krieg in direkten Bezug zum Zweiten Weltkrieg. Welche Rolle spielt
       diese Geschichtsinterpretation im russischen Angriffskrieg? 
       
       Es wird ein direkter, wenn auch absurder Zusammenhang zwischen dem heutigen
       Konflikt und dem Zweiten Weltkrieg konstruiert. Dabei werden sowjetische
       Kriegsnarrative reaktiviert: die Bezeichnung des Gegners als „Faschisten“
       und das Narrativ einer angeblichen ukrainischen Nazi-Kollaboration. Diese
       Erzählung dient dazu, die Ukraine als „inneren Feind“ darzustellen, der
       eine vermeintliche Einheit gefährde.
       
       taz: Wie werden diese Erzählungen verbreitet und wie begegnet Dekoder
       dieser Geschichtsverzerrung? 
       
       Russische Staatsmedien und Social-Media-Kanäle verbinden gezielt aktuelle
       Kampforte wie Bachmut oder Donezk mit Ereignissen des Zweiten Weltkriegs.
       Dekoder setzt dieser vereinfachenden Propaganda eine differenzierte
       Betrachtung entgegen. Wir bewahren die Komplexität des historischen
       Diskurses und bieten eine wissenschaftlich fundierte Tiefenanalyse, die
       hilft, aktuelle Entwicklungen besser einzuordnen.
       
       Texte aus der Dekoder-Sonderbeilage „Östlich der Erinnerung“, die am 24.
       Januar 2025 erschienen ist, könnten unter dem [3][Osteuropa-Schwerpunkt der
       taz Panter Stiftung] gelesen werden.
       
       5 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /stiftung
   DIR [2] https://war.dekoder.org/
   DIR [3] /stiftung/osteuropa
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Moritz Martin
   DIR Martin Krauss
       
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