URI: 
       # taz.de -- Nachruf auf Francisco Wichter: Die Erinnerung wach halten
       
       > Francisco Wichter war der letzte Überlebende von der Liste des
       > NS-Unternehmers Oskar Schindler. Nun ist er mit 98 Jahren in Argentinien
       > gestorben.
       
   IMG Bild: Das Portrait von Francisco Wichter (mittlere Reihe, rechts) im Schindler-Fabrik Museum in Krakau
       
       Buenos Aires taz | Er war der letzte Überlebende von Schindlers Liste:
       Francisco Wichter. Jetzt ist er im Alter von 98 Jahren in Buenos Aires
       gestorben. Der gebürtige Pole wurde während des Holocausts von Oskar
       Schindler gerettet. Wichter arbeitete in Schindlers Fabrik und war der 371.
       Arbeiter auf der berühmten Liste. Nach dem Krieg emigrierte er mit seiner
       Frau nach Argentinien.
       
       [1][Der US-amerikanische Spielfilm aus dem Jahr 1993 von Steven Spielberg]
       erzählt die Geschichte des deutschen Unternehmers und NSDAP-Mitglieds Oskar
       Schindler (1908-1974), der mit Unterstützung seiner Frau Emilie während des
       Zweiten Weltkriegs über 1.000 Juden in seinen Fabriken beschäftigte, um sie
       vor der Ermordung in den Vernichtungslagern der Nazis zu bewahren. Ihre
       Namen wurden in eine Liste eingetragen.
       
       Wichter wurde als Feiwel Wichter am 25. Juli 1926 in Polen als Sohn einer
       jüdischen Familie mit sechs Kindern geboren. Als die Nazis 1939
       einmarschierten, waren sie gezwungen zu fliehen. 1943 wurde sein Vater von
       der polnischen Polizei ermordet und die Familie getrennt. Während er und
       seine Schwester Hanka sich eine Zeit lang verstecken konnten, wurden die
       anderen deportiert.
       
       Wichter sah seine Mutter und Geschwister nie wieder. Später wurde auch er
       gefangen genommen und in verschiedene Konzentrationslager verbracht. Im
       Oktober 1944 wurde Wichter in die Liste von [2][Oscar Schindler]
       aufgenommen und kam in die Fabrik nach Brünnlitz, dem heutigen Brněnec in
       Tschechien.
       
       ## Menschlich behandelt
       
       „Die Bedingungen dort waren die gleichen wie für alle Juden zu dieser Zeit:
       Zwangsarbeit und unbezahlte Arbeit. Aber das Verhalten von Oskar Schindler
       und seiner Frau Emilie war menschlich“, beschrieb er die Umstände. Sie
       hatten keinen Namen und keine eigene Kleidung, aber sie mussten nicht
       hungern und wurden gut behandelt. „Wir hatten immer Heizung und warmes
       Wasser, sogar in den Gemeinschaftsräumen, in denen wir schliefen. Emilie
       schaffte es, Medikamente für die Kranken zu besorgen“, so Feiwel Wichter.
       
       Im Mai 1945 verkündete Schindler die Freilassung der Arbeiter. „Er gab den
       Befehl, das Radio einzuschalten. Wir standen um die Lautsprecher herum. Aus
       dem Schindler-Radio hörten wir die Stimme von Winston Churchill:
       Deutschland hatte bedingungslos kapituliert. Der Zweite Weltkrieg war zu
       Ende“, erinnerte sich Wichter.
       
       Er wurde mit nur wenigen Habseligkeiten entlassen und ging zunächst nach
       Krakau, dann weiter nach Rom, wo er seine zukünftige Frau Hinda
       kennenlernte, ebenfalls eine Holocaust-Überlebende. Gemeinsam emigrierten
       sie 1947 nach Argentinien. Dort änderte er seinen Vornamen in Francisco und
       schwieg jahrzehntelang über seine traumatischen Erlebnisse.
       
       Erst als der Film „Schindlers Liste“ in die Kinos kam, beschloss er, seine
       Geschichte zunächst mit seinem Sohn Enrique zu teilen. Es sei eben ein Film
       und keine Dokumentation, weshalb vieles unerzählt bleibt, so der Vater. Er
       gab Enrique den Roman „Schindlers Arche“ von Thomas Keneally zu lesen, in
       dem er einige Passagen unterstrichen hatte samt des Hinweises: „Das waren
       die Orte, an denen ich war“. Später erzählte Francisco Wichter seine
       Geschichte in seinem 1998 erschienenen Buch „Elftes Gebot: Zeugnis des
       argentinischen Überlebenden von Schindlers Liste“.
       
       „Ich gebe meine Erinnerung an andere weiter. Vor allem möchte ich jungen
       Menschen ein Zeugnis hinterlassen und die inbrünstige Bitte, dass sie, wenn
       sie es lesen, es sich zur Aufgabe machen, eine bessere Welt zu schaffen, in
       der solche Ereignisse nie wieder geschehen“, schreibt er. Francisco Wichter
       starb am 26. Februar in seinem Haus in Buenos Aires.
       
       7 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wiederauffuehrung-von-Schindlers-Liste/!5565088
   DIR [2] /Plaene-fuer-eine-Gedenkstaette/!5329773
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Zwangsarbeit
   DIR Argentinien
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Erinnerungskultur
   DIR Hans Georg Calmeyer
   DIR Holocaust
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Museumspädagoge über Zwangsarbeit: „Ein Täter wurde getötet “
       
       Jan Tönnies macht eine Führung zu sowjetischen Zwangsarbeitern im
       Osnabrücker Steinbruch Piesberg. Das Wissen dazu haben Schüler erarbeitet.
       
   DIR Kinofilme über den Holocaust: Filme für sechs Millionen
       
       Durch „The Zone of Interest“ wird die Debatte über die Darstellung des
       Holocaust neu geführt. Das belebt den Diskurs über Erinnerungskultur.
       
   DIR NS-Bürokrat und Lebensretter: Held oder keiner
       
       Osnabrücks Oskar Schindler? Als Bürokrat in den besetzten Niederlanden
       rettete Hans Calmeyer Tausende Juden – aber das ist nicht die ganze
       Geschichte.
       
   DIR Wiederaufführung von „Schindlers Liste“: Die Würde des Menschen
       
       Unser Autor schrieb über Steven Spielbergs Holocaust-Film vor 25 Jahren in
       der taz. Nun, zum Jubiläum, denkt er noch einmal über ihn nach.