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       # taz.de -- Parlamentswahl in Grönland: Eine Insel stimmt über ihre Zukunft ab
       
       > Die geopolitisch begehrte Insel wählt am Dienstag ein neues Parlament.
       > Zentral im Wahlkampf ist die Frage der grönländischen Unabhängigkeit.
       
   IMG Bild: Weiter unter dänischer Flagge? Grönland diskutiert über seine Eigenständigkeit
       
       HÄRNÖSAND taz | Die Zukunft Grönlands wird in Grönland entschieden: Das ist
       die Antwort von Regierungschef Múte B. Egede, seit US-Präsident Donald
       Trump mit seinen Besitzansprüche auf Grönland hausieren geht. Am Dienstag
       wählt die Bevölkerung der geopolitisch begehrten Rieseninsel ein neues
       Parlament. 31 Sitze sind zu vergeben in der Volksvertretung. Insgesamt
       57.000 Menschen leben auf Grönland.
       
       Die wichtigste Wahl aller Zeiten, heißt es nicht zuletzt in Dänemark. Die
       Frage der grönländischen Unabhängigkeit war schon zentral, bevor Trump
       anfing, verbal nach der Insel zu greifen. Nun steht dieses Thema noch mal
       in einem neuen Licht.
       
       Eine Schicksalswahl nannte es am Montag auch Egede. Und nicht nur das: So
       deutlich wie bisher noch nicht wies er Trumps Avancen zurück. Der
       US-Präsident sei unberechenbar und schaffe Verunsicherung. Er behandle die
       Grönländer nicht mit dem Respekt, den sie verdienten, sagte Egede im
       Dänischen Radio P1.
       
       Der Noch-Regierungschef plädiert angesichts des Drucks von außen für eine
       breite Koalition nach der Wahl, die gemeinsam einen „robusten“ Plan für den
       Weg in die Unabhängigkeit entwickeln soll.
       
       Ministerpräsidentin Mette Frederiksen wirbt derweil in betont respektvollem
       Ton für den Verbleib der einstigen Kolonie im Königreich. Man werde die
       Reichsgemeinschaft permanent verbessern und modernisieren, gegründet auf
       Gleichwertigkeit und Respekt, beteuerte sie kürzlich etwa im Sender TV2.
       
       Ein Beispiel für das belastete dänisch-grönländische Verhältnis war mitten
       im Wahlkampf der Skandal um einen dänischen Dokumentarfilm. Er handelte von
       den Profiten, die Dänemark mehr als 130 Jahre mit Kryolith aus Grönland
       machte – und setzte dabei Umsätze und Gewinne gleich. Dänemark diskutierte
       wochenlang über einen journalistischen Handwerksfehler. In Grönland
       interessierte die Menschen aber viel mehr, wie sie ausgenutzt wurden.
       
       Zur Unabhängigkeitsfrage sind zwei Pole im Angebot: die
       liberal-konservativen Atassut, die als Einzige für den Verbleib im
       dänischen Königreich ist, und die antidänischen Naleraq, die den Bund mit
       Dänemark schnell verlassen wollen. Die Partei will derzeit auch als Einzige
       eine stärkere Zusammenarbeit mit den USA.
       
       Dazwischen liegen vier Parteien, die alle Grönlands Selbstständigkeit
       anstreben – wie eben Egedes linke Partei Inuit Ataqatigiit (IA) und ihr
       derzeitiger Koalitionspartner, die sozialdemokratische Siumut. Die Betonung
       liegt bei ihnen aber auf einem schrittweisen Prozess mit gründlicher
       Vorbereitung, gerade in der aktuellen Weltlage.
       
       Im Herbst 2024 beauftragte die Regierung eine Kommission damit, die genauen
       Bedingungen zur Aktivierung von Paragraf 21 zu untersuchen. Dieser Paragraf
       des Selbstverwaltungsgesetzes von 2009 regelt den Prozess der
       Selbstständigkeit – von der offiziellen Absichtserklärung über die
       Verhandlungen mit Dänemark bis zur Volksabstimmung in Grönland und der
       Anerkennung durch das dänische Parlament.
       
       Zunächst hatte es geheißen, eine Volksabstimmung solle schon in der
       kommenden Legislaturperiode stattfinden. Doch inzwischen klingt es
       zurückhaltender: Man wolle nach Abschluss der Voruntersuchungen in zwei
       Jahren entscheiden, ob Paragraf 21 aktiviert werde.
       
       Das Thema Selbstständigkeit spiele überall mit rein, sagt Mikaela Engell,
       die lange Vertreterin der dänischen Regierung in Grönland war. Was die
       Menschen aber konkret beschäftige, seien die Dinge in ihrer unmittelbare
       Nähe. „Es geht bei allem, worüber verhandelt wird, um die Frage, wie man
       weiterkommt von dem Punkt, an dem man jetzt ist,“ so Engell im Gespräch mit
       P1. Mängel im Gesundheitssystem, hohe Lebensmittelpreise,
       renovierungsbedürftige Mietshäuser: Es hakt an vielen Stellen.
       
       Eine zentrale Frage ist natürlich, wie Grönland sich als eigenständiges
       Land finanzieren soll. Der Zuschuss aus Dänemark lag 2024 bei 4 Milliarden
       Kronen (etwa 530 Millionen Euro). Laut dem dänischen Export- und
       Investitionsinstitut Eifo ist das etwa die Hälfte des grönländischen
       Gesamtbudgets. Um die Wirtschaft stärker auf eigene Beine zu stellen und
       nicht alles auf Fischfang setzen zu müssen, werden unter anderem mehr
       Bergbau und mehr Tourismus diskutiert.
       
       Grönland regelt unter anderem die Bereiche Schule, Sozialwesen,
       Arbeitsmarkt, Umwelt, Infrastruktur, Post, Energie und Rohstoffe selbst. Zu
       den dänischen Hoheitsgebieten gehören Polizei, Außenpolitik, Verteidigung,
       Rechtswesen und Geldpolitik.
       
       ## Häme im US-Kongress
       
       Grönland hätte also allein mit Dänemark schon viel zu besprechen, nun muss
       es sich auch noch zu Trump verhalten. Egede bezog sich in seiner Kritik an
       dessen fehlendem Respekt nicht zuletzt auf Trumps jüngste Rede vor dem
       US-Kongress. In Grönland fiel vor allem das höhnische Gelächter im Saal
       auf, als Trump dort in üblicher Manier sagte, man werde Grönland auf die
       eine oder andere Weise bekommen.
       
       Dieses Lachen zeuge von grundlegendem Mangel an Respekt, schrieb etwa die
       grönländische Wirtschafts-, Rohstoff- und Gleichstellungsministerin Naaja
       Nathanielsen danach auf Facebook. Und Regierungschef Egede wiederholte:
       Grönland entscheide selbst über seine Zukunft.
       
       Laut einer Umfrage im Auftrag der Zeitungen Berlingske und Sermitsiaq haben
       85 Prozent der Menschen dort kein Interesse daran, Teil der USA zu werden.
       Gut die Hälfte der im Januar Befragten gab zugleich an, sie würden für die
       Selbstständigkeit Grönlands stimmen, wenn jetzt Volksabstimmung wäre. Bis
       es dazu kommt, dürften allerdings noch einige Jahre vergehen.
       
       11 Mar 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Diekhoff
       
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