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       # taz.de -- Autorin Ira Peter über Russlanddeutsche: „Wir werden oft mit Putins Krieg in Verbindung gebracht“
       
       > Aussiedler:innen aus der früheren Sowjetunion haben mit vielen
       > Vorurteilen zu kämpfen. Autorin Ira Peter über Diskriminierung und
       > Wissenslücken.
       
   IMG Bild: Leben mit russlanddeutschem Migrationshintergrund: Spezialitätengeschäft in Ludwigsburg im Jahr 2017
       
       taz: Frau Peter, warum wollen Sie über Russlanddeutsche sprechen?
       
       Ira Peter: Weil wir eine der größten eingewanderten Gruppen in Deutschland
       sind. Seit den 1990ern leben die meisten hier, und trotzdem existieren
       viele Wissenslücken. Es wurde oft über uns gesprochen, aber selten mit uns.
       
       taz: Mit welchen Vorurteilen hatten Sie zu kämpfen? 
       
       Peter: [1][Da gibt es viele, oft rassistisch motivierte.] In meiner Jugend
       hieß es: „Du kommst doch aus Russland, du verträgst bestimmt viel Wodka.“
       Viele wissen nicht, dass die Sowjetunion nicht nur aus Russland bestand –
       ich komme aus Kasachstan. Ein anderes Gerücht hält sich hartnäckig:
       Russlanddeutsche hätten bei der Einwanderung hohe Geldsummen bekommen. In
       Wahrheit gab es Eingliederungshilfen, vor allem für Menschen, die unter
       Stalins Deportationen gelitten hatten. Aber 90 Prozent der
       Russlanddeutschen haben diese großen staatlichen Hilfen nie erhalten.
       
       taz: Haben Sie neben Alltagsrassismus auch strukturelle Diskriminierung
       erlebt? 
       
       Peter: Ja. Ich sehe mich nicht als Opfer, aber strukturelle Benachteiligung
       existiert. 90 Prozent der Russlanddeutschen erhielten keine Anerkennung
       ihrer Berufsabschlüsse. Das hat Folgen: Jeder zweite ist im Rentenalter
       armutsgefährdet. Viele arbeiteten schwarz, als Reinigungskräfte oder auf
       dem Bau, obwohl sie Ärzt:innen, Ingenieur:innen oder Lehrer:innen
       waren. Hätte man ihre Abschlüsse anerkannt, hätten sie ihre Fähigkeiten
       nutzen können.
       
       taz: Warum wählen so viele die AfD?
       
       Peter: Früher wählten sie mehrheitlich die CDU, aus Dankbarkeit gegenüber
       Helmut Kohl, der sich für Einwanderung von Russlanddeutschen ausgesprochen
       hatte. Seit Jahren ist die AfD die Partei, die sich [2][besonders um
       Russlanddeutsche bemüht] – leider mit aggressiver Propaganda. Sie schürt
       gezielt Ängste vor Migration und Konkurrenz um soziale Ressourcen. Dieses
       „Ich war zuerst hier“-Denken gibt es auch bei anderen Einwanderergruppen.
       2017 haben 15 Prozent der Russlanddeutschen AfD gewählt, der
       Bundesdurchschnitt lag bei 12,8 Prozent. Heute sind es 20 bis 25 Prozent.
       
       taz: Gibt es stereotype Annahmen über Russlanddeutsche, die teilweise
       zutreffen? 
       
       Peter: Jedes Klischee hat wahrscheinlich einen wahren Kern. Die Wahrnehmung
       der Russlanddeutschen als verschlossene Gruppe stimmt schon teilweise.
       Viele Ältere sind misstrauisch, weil sie in der Sowjetunion als Bürger
       zweiter Klasse behandelt wurden. Politische Teilhabe ist für viele kein
       Thema. Die wirtschaftliche Integration lief gut, aber auf emotionaler Ebene
       gibt es noch Defizite in puncto Zugehörigkeit.
       
       taz: Sind [3][Russlanddeutsche] anfällig für russische Einflussnahme? 
       
       Peter: Die Forschung geht davon aus, dass etwa 20 Prozent der
       Russlanddeutschen eine positive Haltung gegenüber Russland haben – ähnlich
       wie in der Gesamtgesellschaft. Trotzdem werden wir in der medialen
       Darstellung oft mit Putins Krieg in Verbindung gebracht. Das erzeugt einen
       Rechtfertigungsdruck. Ich frage mich: Warum muss ich mich erklären? Frau
       oder Herr Müller ohne Einwanderungsbiografie müssen das doch auch nicht.
       
       taz: Viele Menschen mit Migrationshintergrund erleben diesen
       Rechtfertigungsdruck. 
       
       Peter: Absolut. Eingewanderte werden oft als Sündenböcke herangezogen.
       Ähnlich ergeht es den Ostdeutschen, die pauschal für die AfD-Ergebnisse
       verantwortlich gemacht werden. Bei Russlanddeutschen geschieht das Gleiche
       wie mit anderen migrantischen Bevölkerungsteilen, die sich für politische
       Vorgänge aus ihrem Herkunftsland verantworten sollen.
       
       taz: Haben Sie persönlich eine Identitätskrise zwischen den Kulturen
       erlebt?
       
       Peter: Nein. Ich war neun, als ich herkam und habe mich sofort assimiliert,
       wollte nur deutsch sein. Für Ältere war das schwieriger, etwa für meine
       Schwester, die mit 16 kam. Sie hatte mehr Bezug zur russischen Sprache,
       lebte anfangs in einer Parallelgesellschaft. Die Forschung zeigt, dass sich
       die meisten Russlanddeutschen zugehörig fühlen. Eine Rückkehr nach Russland
       oder Kasachstan ist für fast niemanden eine Option.
       
       29 Mar 2025
       
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