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       # taz.de -- Abgesagte Reise nach Istanbul: Istanbul kämpft ohne Kai Wegner
       
       > Nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters hat Berlins
       > Regierungschef seine Reise abgesagt. War das richtig? Die Berliner CHP
       > meint: Nein.
       
   IMG Bild: Ekrem İmamoğlu und Kai Wegner beim Festakt der Städtepartnerschaft im Roten Rathaus
       
       Berlin taz | Während die Bundespolitik herumdruckst, setzt Berlins
       Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ein Zeichen. So jedenfalls ist
       die [1][Presseerklärung zu lesen, die die Senatskanzlei am Mittwoch
       verschickt hat]. „Angesichts der andauernden Inhaftierung meines
       Amtskollegen werde ich meine für Anfang April geplante Reise absagen“,
       kündigte Wegner an. Die Erklärung endet: „Solidarität mit Ekrem İmamoğlu“.
       
       Ursprünglich wollte Wegner vom 7. bis zum 10. April mit einer
       Wirtschaftsdelegation nach Istanbul reisen. [2][Mit der Metropole am
       Bosporus verbindet Berlin seit 1989 eine Städtepartnerschaft]. Der
       vergangene Woche inhaftierte und kurz darauf abgesetzte Bürgermeister Ekrem
       İmamoğlu von der oppositionellen CHP hatte Berlin zuletzt im November
       besucht. Zuvor hatte er sich im Juni 2024 ins Goldene Buch der Stadt im
       Roten Rathaus eingetragen. Anlass war das 35-jährige Bestehen der
       Städtepartnerschaft.
       
       Dem Festakt war ein Neustart in den Beziehungen vorausgegangen. Denn in den
       Jahren vor İmamoğlu, als in Istanbul noch die AKP regierte, war die
       offizielle Partnerschaft fast eingeschlafen. „İmamoğlu aber hat sich von
       Anfang an um ein gutes Verhältnis zu seiner Geschwisterstadt Berlin,
       gekümmert“, sagt Christiane Zieger.
       
       Zieger ist die Vorsitzende des Städtepartnervereins „Kadıköy e.V.“ und
       organisiert seit 1998 Begegnungen zwischen den Partnerbezirken
       Friedrichshain-Kreuzberg und dem auf der asiatischen Seite des Bosporus
       gelegenen [3][Stadtteil Kadıköy] in Istanbul. Eine ähnliche Partnerschaft
       unterhält Friedrichshain-Kreuzberg mit Stettin und dem Kyjiwer Stadtteil
       Darnyzja am linken Ufer des Dnipro.
       
       ## Istanbul bleibt in CHP Hand
       
       Aber ist die Absage politisch richtig? Am selben Tag, an dem das Rote
       Rathaus die Reise storniert hat, [4][wählte der 314-köpfige Stadtrat von
       Istanbul einen Interimsbürgermeister]. Als Sieger ging mit 177 Stimmen der
       CHP-Politiker Nuri Aslan hervor. Mit der Wahl wollte der Stadtrat der
       Gefahr einer Zwangsverwaltung durch die AKP zuvorkommen. In Städten im
       Osten der Türkei hat der türkische Präsident Erdoğan bereits mehrere
       gewählte Bürgermeister durch eigene Leute ersetzen lassen.
       
       Eine Anfrage der taz zu dieser neuen Sachlage ließ das Rote Rathaus bis
       Redaktionsschluss unbeantwortet.
       
       Christiane Zieger will die Absage der Reise dennoch nicht bewerten. Anders
       sieht das die Berliner CHP: „Mein Verein und ich erwarten von Kai Wegner,
       dass er sich seine Reisepläne noch einmal überlegt“, sagt Ziya Akçetin vom
       Verein [5][„CHP Bund in Berlin“]. Wegner habe sich bei İmamoğlus Besuch im
       letzten Jahr „äußerst gastfreundlich und kollegial“ gezeigt.
       
       „Dass die Solidarität bei einer Presserklärung bleibt, ist nicht okay“,
       sagt Akçetin der taz. In der Türkei müsse gezeigt werden, dass Europa
       angesichts der Diktatur nicht schweigt. Dafür hätte Wegner auf seiner Reise
       ein Zeichen setzen können.
       
       Ähnlich kritisch äußert sich Kenan Kolat. „Ob mit oder ohne
       Wirtschaftsdelegation, Kai Wegner hätte nach Istanbul fahren sollen“, sagt
       der ehemalige Vorsitzende des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. Dort
       hätte man mit den Vertretern der CHP, der Opposition und der Regierung
       sprechen können. „Wir brauchen mehr klare Bekenntnisse von der deutschen
       Politik“, sagt Kolat. Ein weiteres Zeichen der Solidarität könne die
       Anstrahlung des Brandenburger Tors sein: „Freiheit für Ekrem İmamoğlu“
       solle dort stehen. „Auch ein Besuch İmamoğlus im Gefängnis wäre ein starkes
       Signal gewesen“, so Kolat.
       
       Am Donnerstag hat sich auch das Abgeordnetenhaus mit den Vorgängen in
       Berlins Partnerstadt beschäftigt. Zu Beginn des Plenums forderte
       Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld (CDU) die sofortige Freilassung von
       Ekrem İmamoğlu. Seine Verhaftung erschüttere sie zutiefst. „Für mich ist
       ganz klar, Herr Ekrem İmamoğlu hat unsere volle Solidarität verdient.“
       
       Als Parlamentspräsidentin wollte Seibeld Kai Wegner bei seiner Reise nach
       Istanbul begleiten. Die Absage der Reise begründete sie auch persönlich:
       „Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, die Städtepartnerschaft zu
       begehen, während der oberste demokratisch gewählte Repräsentant der Stadt
       wenige Kilometer entfernt in Haft sitzt“, so die Parlamentspräsidentin.
       „Ich hoffe aber inständig, dass dieses Treffen alsbald nachgeholt werden
       kann.“
       
       Am Abend wollte das Parlament eine Resolution verabschieden. „Das Berliner
       Abgeordnetenhaus fordert eine umfassende und rechtsstaatliche Überprüfung
       der Anschuldigungen sowie der gesamten Vorgehensweise der türkischen
       Behörden“, heißt es darin. Grüne und Linke, die in einem eigenen Antrag
       zunächst die „Freilassung“ İmamoğlus gefordert haben, haben sich dem Antrag
       der Regierungsfraktionen CDU und SPD angeschlossen.
       
       Dennoch will der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, Carsten
       Schatz, mehr Druck machen. „Die Absage der Reise ist zwar richtig“, sagt
       Schatz. „Aber genauso wichtig ist es, die Kontakte mit der nach wie vor
       demokratisch gewählten Stadtregierung und der Zivilgesellschaft zu
       intensivieren.“
       
       Auch Schatz fordert: „Eine Delegation aus Berlin kann İmamoğlu auch im
       Knast besuchen.“
       
       27 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.berlin.de/aktuelles/9564985-958090-wegner-sagt-istanbulreise-ab.html
   DIR [2] https://www.berlin.de/rbmskzl/politik/senatskanzlei/internationales/staedtepartnerschaften/staedtepartnerschaft-istanbul-1377279.php
   DIR [3] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/beauftragte/entwicklungspolitik-und-nachhaltigkeit/internationale-entwicklungs-zusammenarbeit/artikel.1510373.php
   DIR [4] /Proteste-in-der-Tuerkei/!6075045
   DIR [5] http://chpberlin.de/site_multi/index.php/tr-tr/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klarissa Krause
   DIR Uwe Rada
       
       ## TAGS
       
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