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       # taz.de -- Sicherheitslage in Europa: Wettrüsten verhindern
       
       > Dass Deutschland und die EU aufrüsten wollen, ist verständlich. Doch sie
       > nicht mit Rüstungskontrolle zu verbinden, könnte gefährlich werden.
       
   IMG Bild: Drohnen über Moskau, das Foto wurde vom russischen Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt. Zeigen was man hat!
       
       Deutschland und [1][Europa rüsten massiv auf]. Das ist angesichts der
       Verschlechterung der Sicherheitslage in Europa durch den russischen
       Angriffskrieg gegen die Ukraine und der erratischen Politik der
       Trump-Administration nachvollziehbar. Zwar geben die europäischen
       Nato-Mitglieder auch ohne die USA bereits jetzt schon mehr Geld fürs
       Militär aus als Russland.
       
       Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass sie deshalb auch alle Fähigkeiten
       besitzen, um Russland effektiv abzuschrecken. Bei Aufklärung,
       Kommunikation, Luftabwehr und noch einigen weiteren Bereichen gibt es,
       trotz des vielen Geldes, das seit Jahren ins Militär gesteckt wird,
       Schwachstellen.
       
       Wer jedoch denkt, dass mehr Rüstung automatisch auch mehr Sicherheit
       bringt, unterliegt einem Trugschluss. Denn Aufrüstung kostet nicht nur
       Ressourcen, die anderswo fehlen. Die Gegenseite, in diesem Fall Russland,
       rüstet ja auch weiter auf, und so entsteht ein gefährliches Wettrüsten.
       Gefährlich deshalb, weil ungebremste Aufrüstung die Stabilität der
       Abschreckung untergraben kann.
       
       ## Im Kalten Krieg bewährt
       
       Wenn etwa ein technologischer Durchbruch durch ein neues Waffensystem einer
       Seite entscheidende Vorteile verschaffen kann, entstehen Anreize für die
       andere Seite, den Konflikt militärisch zu eskalieren, bevor diese Vorteile
       wirksam werden.
       
       Außerdem wächst das Schadenspotenzial auf allen Seiten durch die
       quantitative und qualitative Hochrüstung – und damit auch das Leid und die
       Zerstörung im Falle eines Versagens der Abschreckung. So ist es
       naheliegend, dass das bereits jetzt konventionell unterlegene Russland auf
       die konventionelle Aufrüstung der europäischen Nato-Staaten mit noch mehr
       nuklearer Rüstung reagieren wird.
       
       Doch nun die gute Nachricht: Mit dem Konzept der Rüstungskontrolle gibt es
       ein bewährtes Mittel, um diese Risiken einzuhegen. Rüstungskontrolle ist
       nicht gleich Abrüstung. Die Beteiligten verständigen sich auf
       wechselseitige Begrenzungen im Hinblick auf Qualität und/oder Quantität von
       Waffensystemen, um ungewollte Eskalation zu vermeiden, Zerstörungskraft zu
       reduzieren und Kosten zu senken.
       
       Im Kalten Krieg konnten die USA und die Sowjetunion diese drei Ziele
       mithilfe von [2][Rüstungskontrollabkommen erreichen]; beispielsweise bei
       Nuklearwaffen und der Raketenabwehr. Nach einer letzten Hochphase in den
       1990er Jahren, unter anderem mit der Einigung auf Obergrenzen für die
       Anzahl schwerer Waffensysteme in Europa, sind viele Rüstungskontrollregime
       zusammengebrochen.
       
       ## Vertrauen ist keine Voraussetzung
       
       Die Befürworter unbegrenzter Aufrüstung werden einwenden, dass
       Rüstungskontrolle mit Putin nicht funktioniert. Wie soll man jemandem
       vertrauen, der das Völkerrecht derart mit Füßen tritt? Aber
       Rüstungskontrolle ist nicht das Ergebnis von Verhandlungen mit einem
       Partner, dem man vertraut, oder gar eine Garantie gegen Vertragsbruch.
       
       Rüstungskontrolle ist ein Instrument, das Grenzen für bestimmte Waffen
       definiert und durch Verifikationsmechanismen (zum Beispiel Inspektionen)
       hilft zu überprüfen, ob sich alle daran halten. Vertragsverletzungen können
       so leichter entdeckt werden und es besteht jederzeit die Möglichkeit, mit
       eigenen Rüstungsanstrengungen zu reagieren.
       
       Das Risiko, von unerwarteten Rüstungsentwicklungen überrumpelt zu werden,
       sinkt durch bessere Informationen. Im besten Fall kann sogar
       verlorengegangenes Vertrauen langsam und schrittweise wieder aufgebaut
       werden.
       
       Das ist keine graue Theorie. Genau so hat Rüstungskontrolle im Kalten Krieg
       funktioniert. Auch dort haben mit den USA und der Sowjetunion keine
       Freunde, sondern misstrauische Gegner Rüstungskontrollvereinbarungen
       geschlossen, um ihre Sicherheitsbeziehung zu stabilisieren. Denn sie hatten
       nicht nur konfligierende, sondern auch gemeinsame Interessen; allen voran
       die Verhinderung eines Nuklearkriegs.
       
       ## Heutige Sicherheitslage komplzierter als im Kalten Krieg
       
       Das kann man nicht eins zu eins auf heute übertragen. Die globale
       Machtkonstellation ist mit dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung des
       Kalten Krieges und dem sich vor unseren Augen vollziehenden teilweisen
       Rückzugs der USA aus Europa komplizierter geworden. Was, wenn Russland gar
       kein Interesse an einer Begrenzung der eigenen Rüstungsbemühungen hat, weil
       es plant, nach einer für Russland vorteilhaften Beendigung des Kriegs in
       der Ukraine als nächstes die baltischen Staaten anzugreifen?
       
       Ob das tatsächlich so ist, wissen wir nicht. Aber wir sollten diese
       Befürchtung ernst nehmen. Sollte Russland ganz bewusst den Krieg gegen
       Nato- und EU-Mitgliedstaaten suchen, gäbe es in der Tat keine gemeinsame
       Interessenbasis für Rüstungskontrolle. In einer Situation der Unklarheit
       bezüglich der russischen Intentionen ist es ratsam, zunächst auf
       Abschreckung zu setzen.
       
       Und gleichzeitig spricht genau diese Unklarheit dafür, die Abschreckung mit
       einer passenden Strategie der Rüstungskontrolle zu flankieren. So lassen
       sich nicht nur die Rüstungsrisiken einhegen, sondern gleichzeitig auch
       Russlands Intentionen prüfen.
       
       Ein guter Einstieg wäre ein Angebot für ein Rüstungskontrollabkommen für
       [3][Mittelstreckenraketen in Europa], gekoppelt mit einer Begrenzung
       konventioneller Waffensysteme. Das könnte die Krisenstabilität in Europa
       erhöhen und alle sicherer machen.
       
       Rüstungskontrolle ist also weder naiv noch ein Einknicken vor Putin. Wenn
       wir es richtig angehen, ist sie ein Instrument kluger Politik im Angesicht
       von Ungewissheit. Wir sollten die alten Rüstungskontrollkonzepte aus der
       Mottenkiste holen, sie entstauben und an die neue sicherheitspolitische
       Situation anpassen. Auf konzeptioneller Ebene ist das primär Aufgabe der
       Wissenschaft (sowohl der Friedens- und Konfliktforschung, als auch der
       Strategic Studies). Für die Politik bedeutet es, Bereitschaft zu
       signalisieren, Aufrüstung durch Rüstungskontrolle zu ergänzen.
       
       28 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /EU-will-Aufruesten/!6076894
   DIR [2] https://sicherheitspolitik.bpb.de/de/m7/articles/m7-09
   DIR [3] /Stationierung-von-Mittelstreckenwaffen/!6023611
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Max Mutschler
       
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