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       # taz.de -- Staatsumbau in Israel: Netanjahus Machtprobe
       
       > Das israelische Kabinett stimmt einem Misstrauensantrag gegen die
       > unbequeme Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara zu. Die Justiz wehrt
       > sich.
       
   IMG Bild: Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, hier auf einer Aufnahme von 2023
       
       Jerusalem taz | Es ist ein Machtkampf mit ungewissem Ausgang zwischen der
       Regierung und der Justiz in Israel: „Ich habe keine Wahl, als hier zu
       stehen, wenn ich eine Zukunft für mich und meine Familie will“, sagt Aviv
       Hail, eine von Tausenden Demonstrierenden vor dem israelischen Parlament in
       Jerusalem am Sonntag. Drinnen stimmt am Vormittag das Kabinett einstimmig
       einem Misstrauensantrag gegen die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara
       zu. Ein Widerspruch des Obersten Gerichtshofs gegen ihre Amtsenthebung ist
       wahrscheinlich.
       
       Dass das die Regierung beeindruckt, bezweifeln hingegen viele der
       Protestteilnehmer – insbesondere nachdem Regierungschef Benjamin Netanjahu
       am Freitag angedeutet hatte, einen Gerichtsentscheid gegen die Entlassung
       von Ronen Bar, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, nicht
       akzeptieren zu wollen. „Wenn die Regierung selbst das Recht bricht, dann
       darf sie nicht an der Macht bleiben“, sagt die 32-jährige Hail.
       
       Der Ernst der Lage wurde an den Massenprotesten gegen die Entlassungen –
       mit mehr als 100.000 Teilnehmern die größten seit Monaten – und der fast
       zeitgleichen Wiederaufnahme des Gazakriegs am Samstag deutlich. Wenig
       beruhigte auch die Versicherung von Netanjahu am Samstagabend, in Israel
       werde es „keinen Bürgerkrieg geben“. Davor hatten der ehemalige Präsident
       des Obersten Gerichts Aharon Barak sowie Oppositionsführer Jair Lapid
       angesichts der Regierungspläne gewarnt.
       
       Baharav-Miara selbst nahm an der Sitzung am Sonntag nicht teil. In einem
       Brief warf sie der Regierung vor, „über dem Gesetz“ stehen zu wollen. Die
       Minister würden von der Generalstaatsanwaltschaft erwarten, rechtswidrige
       Anordnungen mitzutragen. Ihre Entlassung sei Teil „einer umfassenden
       Anstrengung, die Judikative zu schwächen“.
       
       ## Zustimmung zur Entlassung ist nicht sicher
       
       Der Misstrauensantrag ist nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer
       Amtsenthebung. Als Nächstes muss ein fünfköpfiges Komitee über die
       Entlassung entscheiden. Eine Zustimmung ist keineswegs sicher. Die
       Regierung kann sich über eine Ablehnung zwar hinwegsetzen, der Oberste
       Gerichtshof dürfte das jedoch kaum akzeptieren. Alle Vorgänger von
       Baharav-Miara und die überwiegende Mehrzahl der früheren Justizminister
       haben sich gegen ihre Entlassung ausgesprochen. 19 ehemalige Präsidenten
       und Richter des Obersten Gerichts nannten diese „eine Gefahr für Israel als
       Rechtsstaat“.
       
       Justizminister Jariv Levin hingegen besteht in seiner 86 Seiten langen
       Begründung darauf, Baharav-Miara habe „als der verlängerte Arm der
       regierungskritischen Demonstranten“ agiert. Der weitgehend gewaltlosen
       Protestbewegung, die sich über weite Strecken maßgeblich gegen die von ihm
       selbst seit Anfang 2023 vorangetriebene Schwächung des Obersten Gerichts
       gerichtet hat, wirft er darin zudem den Einsatz von „Gewalt gegen
       Polizisten und unschuldige Zivilisten“ vor.
       
       Levin ist jedoch nicht der einzige Regierungspolitiker in einem
       Interessenkonflikt gegenüber Baharav-Miara. Netanjahu selbst nahm wegen
       Befangenheit nicht an der Kabinettssitzung teil, weil deren Behörde auch
       die Korruptionsprozesse übersieht, derentwegen Netanjahu derzeit vor
       Gericht steht.
       
       Schon die [1][Entlassung von Geheimdienstchef Bar am Freitag] warf Fragen
       auf: Der Schin Bet ermittelt derzeit gegen Mitarbeiter aus Netanjahus Büro
       wegen Verstößen gegen die nationale Sicherheit, der Weitergabe von geheimen
       Dokumenten an ausländische Medien wie die Bild sowie der Annahme
       finanzieller Zuwendungen aus Katar, in der Vergangenheit einer der
       wichtigsten Geldgeber der Hamas. Netanjahu bestritt am Samstag, dass Bars
       Entlassung mit den Ermittlungen zusammenhänge.
       
       Viele der Demonstranten gingen auch gegen die [2][Fortsetzung des Kriegs in
       Gaza] auf die Straße, wo die israelische Armee ihre Angriffe nach dem Bruch
       der Waffenruhe vor knapp einer Woche fortsetzt. In einem offenen Brief
       forderten 40 freigelassene Geiseln sowie 250 Angehörige der noch immer in
       Gaza gefangenen 59 Israelis, die Kämpfe zu beenden: „Kehren Sie an den
       Verhandlungstisch zurück, und schließen Sie eine Vereinbarung ab, die alle
       Geiseln zurückholt, auch um den Preis, den Krieg zu beenden.“
       
       ## Hamas-Politchef wohl getötet
       
       Am Samstag bestätigte die Hamas den Tod von Salah al-Bardawil, einem
       Mitglied des Politbüros der Gruppe, der zusammen mit seiner Frau in einem
       Zelt getötet worden sei. Seit Beginn der israelischen Angriffe vergangene
       Woche starben laut dem von der Hamas geleiteten Gesundheitsministerium in
       Gaza rund 700 Menschen, darunter mehr als 200 Kinder.
       
       Mit Blick auf die Zukunft des Gazastreifens beschloss das
       Sicherheitskabinett am Samstagabend die Einrichtung einer Behörde, die
       „freiwillige Transfers“ von ausreisewilligen Bewohnern organisieren soll.
       Verteidigungsminister Israel Katz drohte offen mit der Annexion von Teilen
       des Gebiets: „Je mehr die Hamas sich weigert, die Geiseln freizulassen,
       desto mehr Gebiet wird sie verlieren, das von Israel annektiert werden
       wird.“
       
       Auch im Libanon flog die israelische Luftwaffe die schwersten Angriffe seit
       vier Monaten, nachdem am Samstag sechs Raketen auf die nordisraelische
       Gemeinde Metula gefeuert wurden. Bei den Gegenschlägen starben laut den
       libanesischen Gesundheitsbehörden sieben Menschen.
       
       23 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR Felix Wellisch
       
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