# taz.de -- Die Wahrheit: Der Untergang Gums
> Um es gleichmal mit John Lennon zu sagen: „Everything will be okay in the
> end, if it's not okay, it's not the end.“ Alles weitere? Hier im
> Folgenden.
Es war still im Café Gum und die Stimmung trübe wie ein nebliger
Novembermorgen. Selbst Petris, Wirt und als solcher notorisch schweigsam,
ließ das Handtuch, mit dem er Gläser polierte, sinken und seufzte. Er ging
zur Anlage hinüber und legte die todtraurige letzte Platte von Bowie auf.
„Mann!“, motzte Theo: „Was soll noch alles passieren? Putin, Erdoğan,
Trump, jetzt auch noch Musk und immer wieder Erfolge der AfD. Langsam halte
ich es nicht mehr aus.“ – „Beruhige dich“, sagte Luis, „irgendwann muss es
wieder besser werden.“ – „‚Muss‘? Wieso ‚muss‘?“ Bevor Luis antworten
konnte, schaltete Raimund sich ein: „Everything will be okay in the end“,
grinste er, „if it’s not okay, it’s not the end.“
Theo taumelte. Er hasste solche Kalendersprüche und wäre vor Abscheu fast
vom Barhocker gekippt. Luis klopfte ihm auf die Schulter. „Reiß dich
zusammen“, sagte er. „Außerdem: So verkehrt ist das ja nicht. Kalli hat
auch gesagt, dass die Geschichte ein Happy End nehmen wird.“ – „Kalli?“,
brummte Theo: „Wer ist das jetzt wieder? Ein Autor für chinesische
Glückskekse?“ – „China ist gar nicht so falsch“, sagte Luis. „Ich rede von
Kalli Marx.“ – „Ach, du Scheiße“, schnaufte Theo. „Wenn gar nichts mehr
geht, wird dieser untote Weihnachtsmann mit seiner Gespenstergeschichte zum
Kronzeugen angerufen. Außerdem hat er das nie gesagt.“ – „Klar hat er das!“
– „Vulgärmarxist!“ – „Depp!“
## Ein neuer Gesprächsanlauf
Luis schmollte einen Augenblick, dann nahm er einen neuen Anlauf. „Kuck dir
doch an, was wir in den letzten vierzig Jahren erreicht haben“, sagte er.
„Weißt du noch, wie dumpf und stumpf es in den Achtzigern war? Damals war
Schwulsein noch ein Verbrechen, und es wäre völlig undenkbar gewesen, dass
ein Kind türkischer Eltern in Deutschland Minister oder eine Frau
Bundeskanzlerin wird.“
„Phh!“, fauchte Theo: „Nichts, was man nicht wieder rückgängig machen
könnte.“ – „Quatsch“, meinte Luis. „Das schaffen die nicht. Und wenn, dann
rücken wir das wieder zurecht, sobald die Trumps und Putins und Weidels in
die siebte Hölle zurückgekehrt sind. Die paar Jahre bis dahin halten wir
locker aus. Wir nageln die Gum-Tür von innen zu, vertreiben uns die Zeit
mit Biertrinken und Geschichten aus unseren wilden Jahren und warten
einfach ab, bis alles vorbei ist. So wie die Truppe in Boccaccios
‚Decamerone‘.“
Theo starrte ihm eindringlich in die Augen. „Und was“, zischte er, „wenn es
noch mal so kommt wie damals beim Untergang Roms? Meinst du Seneca & Co
konnten sich vorstellen, dass auf ihre lichte antike Kulturwelt tausend
Jahre finsterstes Mittelalter folgen würden?“ Er machte eine Kunstpause.
„Ich fürchte“, fuhr er fort, „in tausend Jahren werden hier nur noch ein
paar Gerippe mit halbvollen Biergläsern sitzen.“
„Aber dann“, kicherte Raimund, „wird alles okay sein. Denn besser als mit
einem halbvollen Bierglas an dieser Theke kann man es als Gerippe in der
Ewigkeit nicht haben.“
27 Mar 2025
## AUTOREN
DIR Joachim Schulz
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