URI: 
       # taz.de -- Herkunftsbestimmung versklavter Menschen: Pflanzen bringen Aufschluss
       
       > Eine Studie zeigt, wie sich die Herkunft von Toten auf Sklavenfriedhöfen
       > bestimmen lässt. Mitgearbeitet hat die Botanikerin Thea Lautenschläger.
       
   IMG Bild: Ein möglicher Ort, um etwas über die Biographien versklavter Menschen zu erfahren: Der Old Plateau Cemetary in Alabama
       
       Osnabrück taz | Bei BotanikerInnen, denkt man ja, geht es meist ziemlich
       geruhsam zu, idyllisch, harmlos. Man streift durch die Landschaft, pflückt
       hier und da eine Pflanze, klassifiziert sie, schreibt eine gelehrte
       Abhandlung drüber, bewahrt sie getrocknet und gepresst in einem Herbarium
       auf, fertig.
       
       Aber das täuscht. Das Forschen an Pflanzen hält auch Härten bereit, denn
       unsere Welt ist keine Idylle. Botanikerin Thea Lautenschläger,
       wissenschaftliche Leiterin des Loki-Schmidt-Gartens, des Botanischen
       Gartens der Universität Hamburg, drückt das gegenüber der taz so aus:
       „Botanikerin zu sein macht eigentlich keinen Spaß. Man dokumentiert
       Zerstörungen, erlebt den Verlust der Artenvielfalt.“
       
       Manche Forschungsthemen sind besonders düster: Lautenschläger ist eine der
       über 65 Autorinnen der Ende 2024 in der Fachzeitschrift Nature
       Communications erschienenen internationalen Studie „Strontium isoscape of
       sub-Saharan Africa allows tracing origins of victims of the transatlantic
       slave trade“. Pflanzenproben, die helfen, die Herkunft von Toten aus
       Sklavenfriedhöfen der Neuen Welt zu deuten? Das ist harter Stoff.
       
       Über 12,5 Millionen AfrikanerInnen wurden Opfer des [1][transatlantischen
       Sklavenhandels] des 16. bis 19. Jahrhunderts. Die Studie, geleitet von der
       Anthropologie-Professorin Vicky Oelze, University of California, Santa
       Cruz, USA, gibt manchen von ihnen nun ein Gesicht.
       
       „Sicher, ich war nicht Zeugin der Transporte, habe nicht gesehen, dass
       Menschen in den Schiffsbäuchen liegen, angekettet, in ihren eigenen
       Fäkalien“, sagt Lautenschläger. „Ich war auch nicht selbst auf den
       Friedhöfen, und das Geschehen liegt schon lange zurück. Aber das ergreift
       natürlich trotzdem.“
       
       Knochen- und Zahnüberreste aus dem African Burial Ground in Charleston,
       USA, und dem Slave Cemetery Pretos Novos in Rio de Janeiro, Brasilien,
       wurden für die Studie mit den Pflanzenproben verglichen. Ziel war es, die
       geografische Herkunft der Toten herauszufinden.
       
       Das geht durch die Analyse von Strontium-Isotopen. Die Verhältnisse der
       Strontium-Isotope 87Sr/86Sr in Pflanzen zeigen, wo diese gewachsen sind.
       Grundgestein verwittert, Pflanzen nehmen Bodenbestandteile auf, Tiere
       fressen diese Pflanzen, Menschen essen diese Tiere, diese Pflanzen. Ein
       Fußabdruck wird weitergegeben, eine Signatur.
       
       Das funktioniert natürlich nur, wenn die hauptsächlichen Nahrungsmittel aus
       der Herkunftsregion kommen. Beim modernen Menschen, dessen Nahrung von
       überall aus der Welt stammt, liegt die Sache anders.
       
       Lautenschläger hat Hunderte Proben aus Angola beigesteuert, einem
       Hauptschauplatz des Sklavenhandels; rund 3,5 Millionen Menschen wurden von
       dort aus verschleppt. Sie kennt das Land gut – über ein Dutzend Male hat
       sie es bereist. Ihre Proben stammen aus diesen Feldforschungen.
       
       „Davon haben wir Material zur Verfügung gestellt, einzelne Blätter,
       Sprossachsen“, sagt Lautenschläger. „Dass wir es jetzt auch für diese
       Studie einsetzen konnten, liefert natürlich eine gute Begründung für
       Feldforschung generell. Das zeigt ja: Man kann auch im Nachhinein viel
       Spannendes aus alter Forschung rausholen.“
       
       Lautenschlägers Proben sind in eine Karte der
       Strontium-Isotopenverhältnisse des subsaharischen Afrika eingeflossen. Dass
       sie weiße Flecken hat, ist eine Herausforderung: „Wir bemühen uns
       natürlich, das zu ergänzen“, sagt Lautenschläger. „Aber das ist immer
       Beiwerk von anderen Projekten, sonst kann das ja niemand bezahlen.“ Das
       Ganze sei eine „Mammutaufgabe“.
       
       Die Isotopen-Analyse gibt nicht nur Aufschluss über die
       Migrationsgeschichte verschleppter AfrikanerInnen, die in Nord- und
       Südamerika als SklavInnen starben. Sie kann die Herkunft gehandelter
       Wildtiere transparent machen, illegal geschlagenen Holzes. Dies ermögliche
       es der Strafverfolgung, so die Studie, „to pinpoint hotspots of illegal
       activity“.
       
       Sie ermöglicht zudem, die Mobilität wandernder Tierarten nachzuvollziehen.
       Und vor dem Hintergrund [2][gegenwärtiger Flucht- und
       Migrationsbewegungen], auch des modernen Sklavenhandels, kann sie helfen,
       die geografische Herkunft afrikanischer MigrantInnen zu identifizieren,
       denen die [3][Reise nach Norden, über das Mittelmeer], das Leben kostet.
       
       [4][Botanik] kann also vielem dienen – auch der [5][Forensik]. Wir lernen:
       Sollte Mark Twain jemals wirklich gesagt haben, Botanik sei „die Kunst,
       Blumen mit lateinischen Schimpfnamen zu belegen“, hat er stark verkürzt.
       
       1 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erinnerung-an-die-Sklaverei/!6005282
   DIR [2] /Schwerpunkt-Flucht/!t5201005
   DIR [3] /Neuer-Fluchtbericht-von-UNHCR-und-IOM/!6021728
   DIR [4] /Botanik/!t5660605
   DIR [5] /Forensik/!t5011855
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
       ## TAGS
       
   DIR Wissenschaft
   DIR Botanik
   DIR US-Sklaverei-Geschichte
   DIR Sklaverei
   DIR Hamburg
   DIR Studie
   DIR Afrika
   DIR Forensik
   DIR Social-Auswahl
   DIR Umweltforschung
   DIR Kiel
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neues Forschungsergebnis: Pflanzen reagieren auf das Summen von Bienen mit mehr Nektar
       
       Die Flora ist aufmerksamer als bisher bekannt. Forschungsergebnisse zeigen,
       dass Blumen das Summen ihrer Bestäuber zum Überleben nutzen.
       
   DIR Forschung an Nord- und Ostsee: Gischt klärt den Blick
       
       Wenn man Gischt-Effekte herausrechnet, lassen sich archäologische Funde
       exakter datieren. Wie das gehen könnte, wird in Kiel erforscht.
       
   DIR Forschung zum Anthropozän: In welchem Zeitalter wir leben
       
       Hat der Mensch die Erde so verändert, dass wir eine neue Epoche ausrufen
       müssen? Forschende haben nun einen Referenzpunkt benannt.
       
   DIR Neue rechtsmedizinische Methode: Spargel, Fleisch und Leichen
       
       Rechtsmediziner können mit einer Isotopenanalyse die Herkunft unbekannter
       Toter ermitteln. Jetzt soll das Verfahren helfen, die Mutter eines
       getöteten Babys zu finden.