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       # taz.de -- Autor über AfD-Tendenzen der CDU: „Das ist einfach nur saugefährlich“
       
       > Der Journalist Arne Semsrott hatte in einem Buch durchgespielt, was
       > passiert, wenn die AfD regiert. Nun kommt die Union seinen Prognosen
       > zuvor.
       
   IMG Bild: Löschzug der freiwilligen Feuerwehr der Demokratie, um die rechten Brandherde in der CDU-Zentrale in den Griff zu kriegen
       
       taz: Herr Semsrott, Sie haben im Buch „Machtübernahme“ den autoritären
       Umbau durchgespielt, zu dem es kommen könnte, wenn die AfD regiert. Im
       taz-Interview sagten sie damals, die Rechtsextremen an der Macht wären
       [1][wie „Seehofer auf Speed“]. Ist nun schon CDU-Chef Friedrich Merz auf
       Speed? 
       
       Arne Semsrott: Tatsächlich ist es so, dass die Union jetzt mindestens im
       Bereich Asyl und Migration, aber auch in anderen Bereichen, auf Seehofers
       Speedkurs ist und damit letztlich auch auf AfD-Kurs. Das ist grundsätzlich
       vielleicht nicht überraschend, aber die Geschwindigkeit, mit der das
       passiert, schon.
       
       taz: Sie wiesen zuletzt darauf hin, dass immer mehr Teile Ihres Buches
       bereits von der Union umgesetzt werden. Welche Bereiche sind besonders
       betroffen? 
       
       Semsrott: Überall dort, wo Rassismus und Klassismus auf unterschiedliche
       Arten in Erscheinung treten. Also Bereiche, in denen es darum geht, eine
       Unterscheidung zu treffen zwischen einer Normalbevölkerung und anderen
       Gruppen, die man als nicht zugehörig empfindet. Betroffen sind Menschen,
       die als nicht originär deutsch definiert werden, aber auch solche, die, aus
       welchen Gründen auch immer, erwerbslos sind.
       
       taz: Im Buch haben Sie geschrieben, dass der autoritäre Umbau in kleinen
       Etappen abläuft. Welche dieser Punkte hat die CDU denn konkret schon
       umgesetzt? 
       
       Semsrott: Der erste Punkt wurde schon von der Ampelkoalition umgesetzt: Ich
       hatte geschrieben, dass ein AfD-Innenminister der erste wäre, der wieder
       nach Afghanistan abschieben lässt. Das hat aber schon die Ampel getan. Von
       der CDU wiederum kommen jetzt Attacken auf die kritische Zivilgesellschaft,
       etwa durch [2][die kleine Anfrage mit 551 Fragen], die durchleuchten
       sollen, wo zum Beispiel die Omas gegen Rechts ihr Geld herbekommen. Die
       sind in ihrer Art leider fast eins zu eins das, was ich für die AfD
       prognostiziert habe: Zuerst versucht sie über Kleine Anfragen die
       Zivilgesellschaft einzuschüchtern und als Feinde zu markieren, um dann im
       nächsten Schritt die Förderungen wegzunehmen oder die Gemeinnützigkeit zu
       entziehen – und so eine Säule der kritischen Zivilgesellschaft
       wegzuschießen.
       
       taz: Welche Szenarien aus Ihrem Buch haben sich noch bewahrheitet? 
       
       Semsrott: Große Demos mit einigen tausend Menschen vor dem
       Konrad-Adenauer-Haus für die Brandmauer. Auch die groß angekündigte
       Rückabwicklung der Cannabis-Legalisierung passiert wohl nicht. Das
       überrascht mich nicht – jetzt nach der Legalisierung ist es ein
       Wirtschaftsfeld, mit dem Menschen aus dem Umfeld der Union Geld verdienen
       können. Vielleicht müssen wir weitere Felder finden, auf denen die Union
       mit menschenfreundlicher Politik Geld verdienen kann?!
       
       taz: Was sagt uns das alles, dass die CDU und davor die Ampel schon
       autoritäre Politik machen? 
       
       Semsrott: Es ist viel gefährlicher, wenn die Union AfD-Politik macht, als
       wenn die AfD in der Opposition selbst ihre Politik macht. Gegenüber den
       Forderungen der AfD gibt es immer noch viele Vorbehalte. Eine Brandmauer
       gegenüber CDU und SPD gibt es hingegen nicht. [3][Am Sondierungspapier]
       lässt sich sehen: Es gibt nur noch eine formelle und keine inhaltliche
       Brandmauer mehr. Das bedeutet, dass wir uns rekalibrieren müssen, sodass
       klar ist: Wir protestieren nicht gegen formelle Bündnisse, sondern gegen
       menschenfeindliche Inhalte – egal von wem sie kommen.
       
       taz: Zumal ein Normalisierungs- und Verschärfungskreislauf entsteht: Die
       AfD hat im letzten Jahr ihre migrationspolitischen Forderungen
       nachgeschärft, auch weil Union und Ampelparteien ihre Positionen verschärft
       hatten … 
       
       Semsrott: Und der nächste Schritt findet sich im Sondierungspapier in der
       Forderung, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft unter Umständen den
       Pass zu entziehen. Das macht einen Unterschied zwischen „echten Deutschen“
       und dem, was die AfD Passdeutsche nennt. So machen CDU und SPD klar: Dem
       einen kann der Pass entzogen werden, dem anderen nicht. Das ist klassisches
       neurechtes und antidemokratisches Gedankengut. Das ist einfach nur
       saugefährlich, verfassungswidrig und sollte in der Bundesrepublik nichts zu
       suchen haben.
       
       taz: Im Sondierungspapier steht, entsprechende Maßnahmen sollen
       verfassungsrechtlich geprüft werden – was vermutlich ein Zugeständnis der
       SPD an die CDU war. Eventuell in der Hoffnung, dass es juristisch am Ende
       nicht machbar ist. 
       
       Semsrott: Das zeigt die Verantwortungslosigkeit der SPD: Diese Frage auf
       einen späteren Zeitpunkt zu legen und es dem Bundesverfassungsgericht zu
       übergeben, statt selbst für die Verfassung einzustehen. Das kann man ganz
       einfach nicht machen – Grundrechte müssen die rote Linie sein. Wenn man da
       mitmacht und sagt, das wird dann schon gerichtlich einkassiert, hat das mit
       demokratischer Politik nichts zu tun.
       
       taz: Wie bekommen wir den verrutschten Diskurs wieder auf Höhe unserer
       demokratischen Grundwerte? 
       
       Semsrott: Es gibt viele kleine Antworten darauf. Es ist absolut richtig,
       jetzt bei den Omas gegen Rechts einzutreten. Es ist auch wirklich effektiv,
       gegen die Politik von SPD und Union zu demonstrieren und auf die Straße zu
       gehen und klarzumachen, dass man dagegen ist. Das zeigt ja die Kleine
       Anfrage: Es ist denen nicht egal, sondern hat einen Effekt, weil es auch im
       eigenen Bekanntenkreis wirkt. Besonders wichtig ist es jetzt, auf Leute in
       der Union einzuwirken, weil es natürlich innerhalb der Union eine enorme
       Spaltung gibt – zwischen denen, die den Merz-Kurs mittragen, und den
       Christdemokraten. Deren Arbeitskreis ist deutlich geschrumpft in den
       letzten Jahren, aber diese zu aktivieren und notfalls zum
       öffentlichkeitswirksamen Austritt zu bewegen, das ist ein wichtiger
       Baustein.
       
       13 Mar 2025
       
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