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       # taz.de -- Nachruf auf Peggy Parnass: Eine herzensgrantige Botschafterin des anderen Hamburg
       
       > Kompromisslose Antifaschistin und Ikone der linken Szenen: Die
       > Publizistin und Schauspielerin Peggy Parnass ist mit 97 Jahren gestorben.
       
   IMG Bild: Museum der Vollgestelltheit mit tannengrünen Wänden: Peggy Parnass 2019 in ihrem Refugium in St. Georg
       
       Hamburg taz | Es war wohl vor fünf Jahren, da war sie damit einverstanden,
       dass es nicht mehr geht. Dass ein Leben in ihrer Wohnung in einem St.
       Georger Hinterhof an der Langen Reihe nicht mehr zu bewältigen ist. Ihre
       Zimmer, ihre Küche: ein Museum der Vollgestelltheit, akkurat auf ihre Art
       gehalten, überall Fotografien von Menschen, denen sie im Laufe ihres Lebens
       begegnet ist, viel Prominenz dabei.
       
       Männer wie [1][Udo Lindenberg] zuvörderst, auch die Beatles, denen sie in
       den frühen Sechzigern in der Großen Freiheit begegnete, der Dichter Peter
       Rühmkorf und viele andere, die zur linken Zeitgenossenschaft zählten, sind
       zu sehen. Die Wohnung höhlig, die Wände in dunkelstem Tannengrün, in der
       Mitte ein großes Bett, Diwan, Schlafstatt und Sofa in einem.
       
       Peggy Parnass lebte in diesem, in ihrem Refugium seit den frühen
       Siebzigerjahren. Es lag im damals noch gar nicht so ehrenhaften St. Georg,
       aber hier war ihre Szene, ihr Catwalk, hier lagen ihre Bordsteine, die sie
       beschritt wie eine sich ihrer selbst bewusste Königin ihrer Zeit,
       wenigstens in Hamburg. Sie war eine der ersten Gästinnen des Café Gnosa,
       der Tageskulturstätte der schwulen (und später queeren) Community, dort saß
       sie an einem der ersten Tische gleich nach dem Eingang.
       
       Peggy Parnass, buchstäblich gebrechlich geworden, angewiesen auf einen
       Rollator, musste 2019 in ein Pflegeheim umziehen, ebenfalls in St. Georg.
       Freunde und Förderer ermöglichten ihr diese letzte Station in einem langen
       Leben. Nun ist sie am 12. März 2025 im Kreise ihrer Engsten gestorben, wie
       es heißt.
       
       ## Eine Künstlerin, auch in eigener Sache
       
       Sie war buchstäblich eine Ikone der linken und antifaschistischen Szenen in
       Hamburg, eine Künstlerin, auch in eigener Sache, Schauspielerin in vielen
       NDR-Produktionen schon in den frühen Sechzigern, eine Bekannte Hubert
       Fichtes noch, als der sich in der „Palette“ herumtrieb und seine kiezigen
       Geschichten zu Literatur montierte. Sie war Journalistin, die mit ihren
       Gerichtsreportagen für die Zeitschrift Konkret bekannt wurde, eine
       Schreibende wider Ungerechtigkeit, die immer auf Seiten der Schwächeren
       sich positionierte, ausnahmslos.
       
       Ihre Lebensgeschichte nobilitierte ihr Engagement auf das glaubwürdigste.
       1927 in Hamburg geboren, ihre jüdischen Eltern eingewandert aus Polen, mit
       Beginn der Nazizeit erheblichen Schikanen ausgesetzt, schließlich in den
       frühen Vierzigerjahren in Vernichtungslagern des Regimes in Osteuropa
       ermordet. Die Kinder, Peggy und Gady, vermochten beide 1939 noch auf einen
       sogenannten Kindertransport nach Schweden zu schicken – und damit zu
       retten.
       
       In Stockholm indes, davon zeugt auch die Biografie Peggy Parnass’, ging es
       beiden auch nicht gut. Mehrmals musste sie die Pflegefamilien wechseln,
       wurde getrennt von ihrem kleinen Bruder. In den frühen Fünfzigern kam sie
       in die Bundesrepublik zurück, durchaus nicht abgeneigt, [2][Rache an jenen
       zu nehmen], die für die Drangsalierung und Ermordung ihrer Eltern
       verantwortlich waren. Ihr blieb, zumal als Mutter eines Sohnes seit 1951,
       ein unbedingter Wille, sich nichts mehr gefallen zu lassen. Unterordnung
       und Gefügigkeit? Ohne sie.
       
       Sie wurde über die Jahre eine immer bekanntere Medienfigur, eine
       öffentliche Person, die sich für die Mühseligen und Beladenen einsetzte.
       Antifa – das war ihr Credo, ihr Eintreten gegen alles, was sich irgendwie
       nazi- oder kriegsverharmlosend zeigte. Sie war keine deutsche Patriotin,
       sondern verstand sich als Frau, die für Gerechtigkeit kämpfte, schreibend,
       sprechend und demonstrierend. Auf Demos war sie zu sehen mit ihrer ganz
       eigenen Schönheit, flammend rothaarig, körperlich so schmal wie
       unzerbrechlich.
       
       ## „Frauen können alles, und das schon immer“
       
       Die alternativen Bewegungen, die in den Siebzigerjahren erwuchsen, waren
       ihre Sache nicht so sehr. Ein feministisches Engagement im Besonderen war
       ihr selbstverständlich: Frauen können alles, sagte sie einmal, und das
       schon immer – im Guten wie im Bösen.
       
       Ob sie eine besonders innige Beziehung zur queeren Community hatte, muss
       offen bleiben: Dass sie sehr früh, auch in politischer Hinsicht, auf die
       schändlichen Auswirkungen des Strafparagrafen 175 hinwies, machte sie fast
       automatisch zum Darling der schwulen Szene St. Georgs, dem vormaligen
       Schmuddelviertel Hamburgs.
       
       Peggy Parnass hat [3][zahlreiche Ehrungen] erfahren, eine aber blieb ihr
       verwehrt: Die Stadt Hamburg mochte sich nicht durchringen, ihr die
       Ehrenbürgerschaft anzutragen – anders als Kulturleuten wie Kirsten Boie
       oder Udo Lindenberg. Dabei war sie, die viele als Nervensäge empfanden,
       andere als erfrischende Mahnerin wider linkes Biedertum, eine keineswegs
       bezaubernde, dafür herzensgrantige Botschafterin des anderen Hamburg –
       jenseits patrizischen Goldlackgetues. Peggy Parnass war offenbar nicht
       honorig genug. Sie würde sagen: „Aber das wollte ich ja auch nie.“
       
       12 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Udo-Lindenberg-wird-70/!5304216
   DIR [2] /Peggy-Parnass-ueber-ihr-Leben/!5620924
   DIR [3] /Portrait-zum-Geburtstag/!5540198
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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