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       # taz.de -- Spurensuche im Swingstate Pennsylvania: Wer wählt hier Trump?!
       
       > Unser taz-FUTURZWEI-Kolumnist Aron Boks lebt derzeit in Pennsylvania,
       > einem der bei der US-Wahl 2024 umkämpftesten Bundesstaaten der USA. Am
       > Ende gewann auch hier Trump. Er will wissen: Wie leben die Leute und vor
       > allem die Unter-30jährigen dort jetzt miteinander?
       
   IMG Bild: In Pennsylvania spricht man nicht über die politischen Präferenzen – man zeigt sie
       
       [1][taz FUTURZWEI] | Ich stehe irgendwo am Rand von Allentown,
       Pennsylvania, vor der Mittagstischtheke eines südamerikanischen Restaurant
       und versuche mit meinen Händen, ein Gemüse zu formen. „No, no - äh –
       vegetarian.“ „Si,si!“, sagt die Bedienung und deutet auf die Chicken Noodle
       Soup.
       
       Das Gespräch hat sich ziemlich verhakt, bis irgendwann ein kräftiger Typ,
       mit sonnengegerbter Haut, krausen, kurzgeschnittenen schwarzen Haaren aus
       der hintersten Ecke des Raumes kommt und mir auf Spanisch eine Gemüsesuppe
       bestellt.
       
       „Keine Sorge, ich kam auch erst nicht zurecht, als ich in die [2][USA]
       gekommen bin“, sagt er. Außerdem verrät er mir einen super Trick, wie er
       sagt, um klarzukommen: Google Translate.
       
       „Amazing, thank you.“
       
       ## Carlo aus Easton, Pennsylvania
       
       Sein Name ist Carlo. Vor fünfzehn Jahren kam er aus der Dominikanischen
       Republik nach Allentown. Carlo sagt noch etwas Spanisches in Richtung der
       Theke und schiebt mir kurz darauf eine Schale gebratene Kochbananen zu.
       
       Ich wohne zwanzig Meilen von hier entfernt – in Easton, Pennsylvania, um an
       einem College Workshops für Kreatives Schreiben zu geben. Ich bin hier für
       einen Tagesausflug.
       
       Meine einzige Orientierung war der Song „Allentown“ von Billy Joel von
       1982, in dem es darum geht, wie sich diese Gegend durch den industriellen
       Strukturwandel verändert: „Well, we're living here in Allentown/And they're
       closing all the factories down“.
       
       Sonst weiß ich nichts von Allentown.
       
       ## Wer hat die Bundestagswahl gewonnen?
       
       „Hattet ihr in Deutschland nicht gerade erst Wahlen?“, fragt Carlo und
       setzt sich zu mir an den Tisch. Er ist Gamer, so um die 40, und hat am
       Wahltag online mit einem Deutschen gespielt, der ihm davon erzählt hat.
       
       Ich nicke. „Und war es gut oder schlecht?“ „Es hätte noch viel schlimmer
       sein können.“
       
       „Und wer hat gewonnen?“ „Ich weiß nicht.“
       
       Carlo sieht mich fragend an, und ich beginne ihm zu erklären, dass es ein
       two-sided-sword ist – auf der einen Seite sei es ja gut, dass die [3][AfD]
       nicht noch mehr Prozente bekommen habe, auf der anderen Seite sei das auch
       ein scheiß Maßstab und [4][Merz] als Kanzler …
       
       „Dude, dude!“, sagt Carlo und schüttelt den Kopf. „Ich wollte einfach nur
       wissen, ob die Guten oder die Schlechten gewonnen haben!“ „Die
       Konservativen“, sage ich mit mitleiderregendem
       Oliver-Twist-steht-vor-der-Essensausgabe-Blick und erzähle ihm, [5][die
       Linke] gewählt zu haben.
       
       Er lacht. „Als ich so alt war wie du, habe ich mich darüber auch geärgert.
       Als wir jung waren, waren wir doch alle links. Aber sobald du Kinder
       bekommst, wählst du anders. Du willst auch nicht, dass dein Kind weird
       stuff in der Schule gelehrt bekommt!“
       
       ## Weird Stuff – Wer wählt wen?
       
       „Was meinst du mit weird stuff?“ „Und man fängt an sich Sorgen zu machen!“,
       fährt er unbeirrt fort. „Seit meine Tochter zwei Jahre alt ist, checke ich
       ständig, was auf der Wall Street abgeht, vorher hat mich das alles nicht
       interessiert.“
       
       Pennsylvania ist ein Swingstate, in dem zuvor der Demokrat [6][Biden] und
       jetzt [7][Trump] mit knapper Mehrheit gewonnen haben. [8][Kamala Harris]
       hat hier 48,4 Prozent geholt. Ich gehe davon aus, dass Carlo nicht Trump
       gewählt hat, aber ich bin mir nicht ganz sicher und auch nicht, ob es sich
       hier gehört, Leute danach zu fragen. Also tue ich es nicht.
       
       Einen Tag später nehme ich diese Frage mit in die Mensa des Colleges.
       
       „Nein, du fragst hier auf keinen Fall, was wer gewählt hat“, sagt eine
       Studierende namens Kathy und schüttelt dabei so höflich aber bestimmt den
       Kopf, wie man es sonst nur bei Fundraisern am Hauptbahnhof macht.
       
       „Besonders hier ist das schwierig“, sagt Taylor, der neben ihr sitzt.
       
       Easton ist Teil des Northampton County und dieser Bezirk war bei der Wahl
       einer der umkämpftesten Bezirke in den USA. Trump hat auch hier mit 50,4
       Prozent der Stimmen gewonnen.
       
       Am Abend sitze ich bei Rico im Auto. Ein 70 Jahre alter Mann mit sorgfältig
       nach hinten gekämmten schwarzen Haaren und dunklen Augen, die beim Reden
       mitlachen. Rico ist ein super netter Typ, der aus Costa Rica in die USA
       kam. Er war der erste, den ich hier kennengelernt habe, weil er mich vom
       Flughafen abgeholt hat. Heute gibt er mir eine kleine Stadtrundfahrt.
       
       ## Internationale Kontinuitäten
       
       „Und wie gefällt es dir hier?“ „Awesome“, sage ich easy amerikanisch und
       sehe bedeutungsschwanger deutsch aus dem Fenster. Die Leute sind sehr
       freundlich und die Gegend ist charming.
       
       Ich wohne auf dem College Hill, der sich mit Unigebäuden und Häusern über
       einen Hügel erstreckt und von dem eine Hauptstraße in die Downtown führt.
       In einer Straße gibt es einen queeren Bookshop, in einer Anhöhe eine
       evangelikale Kirche, eine „Make America Great Again„-Flagge, und in der
       nächsten Straße ein ausharrendes „Vote for Harris„- Schild mit Pride Fahne.
       Im College gibt es ein Gender-Study-Center und im selben Gebäude befindet
       sich das Büro der Unizeitung, die auf der Titelseite davon berichtet hat,
       wie Trump gerade eine Maßnahme durchbringen will, alle Förderungen zu
       Gender- und Minderheitenforschungen einzufrieren. Er sieht das als Teil
       seines Kampfes „gegen Wokeness“.
       
       „Sobald man hier über Politik redet, würde nur gestritten werden“, hatten
       Kathy und Taylor mir noch gesagt. „Weil das eine Wahl ist, die vor allem
       etwas über die eigene Identität aussagt“.
       
       Zwar habe ich ungefragt davon erzählt, Linke gewählt zu haben. Aber auch
       nur, weil ich ihn so nett fand und dementsprechend dachte, dass so einer
       doch kein Trump-Wähler sein kann. Genau wie ich in Deutschland bei netten
       Leuten davon ausgehe, dass die sicher nicht die AfD wählen.
       
       Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, auch nur irgendeinen fröhlichen
       Moment mit Leuten zu verbringen, die diese Partei wählen. Sehr
       wahrscheinlich habe ich das in meiner Heimat, dem Harz, schon getan, ohne
       es zu wissen. Dort haben fast 40 Prozent AfD gewählt. Und wie ist das hier?
       Ist die Nettigkeit der Nachbarin, die mir Bagels geschenkt hat, vergiftet,
       wenn sie Trump wählt, und was bedeutet es, wenn Carlo mich unter seine
       Fittiche nimmt, aber gegen Queers, Klimaaktivst:innen und Migranten und
       eigentlich alle Bestandteile meiner Vorstellung eines guten Lebens ist?
       Oder muss ich damit umgehen lernen?
       
       ## „See what happens“
       
       „Wir fragen uns hier in Easton lieber nicht, was wir gewählt haben“, sagt
       Rico, als ich ihm davon erzähle. „Alle können sich nicht mehr leiden, wegen
       der Politik.“
       
       Seit fünf Wochen jagt eine krasse Politik-Meldung die nächste, ständig
       passiert etwas neues, was man früher „unfassbar“ genannt hätte. Ja, das sei
       schon alles crazy, sagt Rico. Aber viele würden es gut finden, dass Trump
       eben kein Politiker sei, sondern ein Businessman. Viele würden hoffen, dass
       das Land dadurch wieder vorankommt. Viele hätten Angst um ihre Sicherheit.
       „We’ve gotta see what happens!“
       
       Kurz bevor wir zuhause sind, frage ich ihn dann doch, was er eigentlich
       gewählt hat.
       
       „Trump“, sagt er knapp. „Aber den kann ich auch nicht leiden!“
       
       Dann gebe ich ihm Trinkgeld, und er gibt mir eine Quittung. „Take care,
       man“, sagt Rico. „You too!“
       
       🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die [9][gemeinsame Online-Kolumne] von
       Aron Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für
       unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber
       hinaus.
       
       🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°32 mit dem
       Titelthema „Wozu Kinder“ gibt es jetzt [10][im taz Shop].
       
       13 Mar 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Aron Boks
       
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