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       # taz.de -- Verurteilung von Marine Le Pen: Recht so?
       
       > Le Pen darf bei der Wahl 2027 nicht antreten. Ob dieses Urteil gut für
       > Demokratie ist, wird nicht nur in Frankreich heftig diskutiert. Ein Pro
       > und Contra.
       
   IMG Bild: Gerichtszeichnung: Marine Le Pen spricht zu den Richtern
       
       Marine Le Pen ist in Frankreich wegen der Veruntreuung von EU-Geldern
       [1][verurteilt worden]. Nun darf die Rechtspopulistin nicht bei der
       Präsidentschaftswahl 2027 antreten. Recht so? 
       
       ## Ja,
       
       weil das Urteil den wichtigsten Grundsatz eines jeden Rechtsstaates
       bestätigt: Niemand steht über dem Gesetz. Auch nicht Marine Le Pen, die
       große Aussichten hatte, aus den französischen Präsidentschaftswahlen 2027
       als Siegerin hervorzugehen. Popularität schützt vor Strafe nicht. Dennoch
       hat sich seit ihrer Verurteilung am Montag eine eigentümliche Debatte
       entwickelt.
       
       Dass Le Pen selbst und ihre rechtsextreme Partei Rassemblement National von
       einem „rein politisch motivierten“ [2][Urteil] sprechen würden, war ebenso
       absehbar, wie dass andere aus der gleichen Ecke ihr beipflichten würden,
       von Italiens Matteo Salvini über Ungarns Viktor Orbán bis zu Geert Wilders
       in den Niederlanden. Dass aber bis weit hinein in die liberale
       Medienöffentlichkeit das Urteil kritisiert wird, weil es nicht bedenke, wie
       sehr es Le Pens Partei und ihr Opfernarrativ stärken würde, überrascht.
       
       Nicht, weil das falsch wäre – Donald Trump etwa hat sich als Meister darin
       erwiesen, erst jegliche Gesetze zu übertreten, aus den folgerichtigen
       Anklagen dann das erlogene Narrativ vom Vorgehen des bösen Staats gegen den
       „wahren Volkswillen“ zu konstruieren und damit Wahlen zu gewinnen.
       Insofern: Ja, gut möglich, dass auch der Rassemblement National – dann
       vermutlich mit dem Kandidaten [3][Jordan Bardella] – aus dem Urteil sogar
       Stärke zieht.
       
       Aber die Kritik ist trotzdem falsch, denn sie fordert, Gerichte müssten in
       einem Strafverfahren gegen Politiker*innen politische über rechtliche
       Bewertungen stellen. Damit würde es sich dann tatsächlich um politische
       Justiz handeln – wenn auch anders, als es die Rechtsradikalen stets
       behaupten. Denn genau sie kämen dann immer davon – man will sie ja nicht
       stärken. Als Nebeneffekt würde das Recht bis zur Unkenntlichkeit
       ausgehöhlt, und wer glaubt, dass die Faschisten darauf nicht aufbauen, ist
       unfassbar naiv.
       
       Man sollte sich genau ansehen, was gerade in den USA passiert, wo ein
       notorischer Straftäter erst die Gerichte vier Jahre an der Nase
       herumgeführt hat, dann wieder antreten durfte und seit seinem Amtsantritt
       von der Macht aus die unabhängige Justiz frontal angreift. Es gilt
       insofern: Natürlich muss und wird sich die Öffentlichkeit mit den
       politischen Folgen eines Urteils gegen eine politische Spitzenfigur
       auseinandersetzen – egal ob Verurteilung oder Freispruch. Für die
       Rechtsprechung selbst aber darf das kein Kriterium sein.
       
       Und nichts an dem Urteil der französischen Richter, auch nicht der Entzug
       des passiven Wahlrechts für fünf Jahre, deutet darauf hin, dass es bei
       ihnen anders gewesen wäre. Sie haben lediglich die Selbstimmunisierung der
       Marine Le Pen nicht akzeptiert. Bernd Pickert
       
       ## Nein,
       
       der Ausschluss von Frankreichs populärster Politikerin von der nächsten
       Präsidentschaftswahl steht in keinem Verhältnis zur Schwere ihrer
       Straftaten. Ähnlich wie Linke in der Türkei [4][die Verfolgung des
       Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu] als politisches Manöver gegen den
       aussichtsreichsten Widersacher von Präsident Erdoğan werten, so sehen jetzt
       Rechte in Frankreich im [5][Wahlausschluss der Rechtspopulistenchefin
       Marine Le Pen] einen vorauseilenden Putsch.
       
       Das Urteil ist eine Steilvorlage für Verschwörungstheoretiker und
       Opferdiskurse. Es besteht zwar kein seriöser Zweifel an der Schuld von
       Marine Le Pen und den anderen verurteilten Mandatsträgern des Rassemblement
       National (RN). Dass Parteiangestellte als Mitarbeiter von EU-Abgeordneten
       deklariert und mit EU-Geldern bezahlt wurden, ist unstrittig. Auf einem
       ganz anderen Blatt stehen aber die Strafmaße. Marine Le Pen verliert das
       passive Wahlrecht für fünf Jahre mit „sofortiger Vollstreckung“.
       
       Damit kann sie dann auch nicht 2027 zur Präsidentschaftswahl antreten, wenn
       sie Revision einlegt. RN-Vizepräsident Louis Aliot verliert das passive
       Wahlrecht für drei Jahre ohne sofortige Vollstreckung, könnte also, wenn er
       Revision einlegt, 2026 bei der nächsten Kommunalwahl erneut für sein
       aktuelles Bürgermeisteramt kandidieren. Zur Rechtfertigung zitiert die
       Richterin die Notwendigkeit, „die Freiheit der Wähler zu schützen“.
       
       Warum gilt das für die Wahl des nächsten Bürgermeisters von Perpignan,
       nicht aber für die Wahl des nächsten Staatsoberhauptes von Frankreich?
       Frankreichs etablierte politische Parteien haben sich jahrzehntelang
       illegal finanziert – etwa indem sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
       Schwarzgelder kassierten. Die Justiz hat hier in den letzten Jahrzehnten
       aufgeräumt, ohne Präsidentschaftskandidaten auszukegeln. Was das Abzweigen
       von Mitteln des EU-Parlaments angeht, ist niemand in Frankreich unschuldig.
       
       Gegen Linksaußenchef [6][Jean-Luc Mélenchon] begannen 2017 entsprechende
       Ermittlungen, ebenso gegen den aktuellen zentristischen Premierminister
       [7][François Bayrou]. Der wurde 2024 erstinstanzlich freigesprochen, die
       Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt. Kein Wunder, dass Bayrou und
       Mélenchon, die sich beide Chancen bei den Wahlen 2027 ausrechnen, einhellig
       Kritik am Urteil gegen Le Pen üben: Sie könnten die Nächsten sein.
       
       Das wäre für Frankreichs Demokratie ein Todesurteil. Aussichtsreiche
       Oppositionelle aus Wahlen ausschließen – das machen nur autoritäre
       Herrscher. Freie Wahlen ohne vorheriges Aussieben der Kandidaten sind die
       Grundlage der Demokratie. Es muss möglich sein, Finanzverbrechen zu ahnden,
       ohne gleich die Axt an das System zu legen, das die Ahndung der Verbrechen
       überhaupt erst möglich macht. Dominic Johnson
       
       1 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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   DIR Dominic Johnson
       
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