URI: 
       # taz.de -- Rechtsextreme Jugendszene: Brutal jung
       
       > Vor den Augen der Sicherheitsbehörden hat sich eine Szene von jungen,
       > gewaltbereiten Neonazis etabliert. Sind die Baseballschlägerjahre zurück?
       
   IMG Bild: Aggressive Optik: rechtsextremer Protest am Rande des Christopher Street Day in Bautzen, Sachsen, August 2024
       
       Berlin Der Hinweis erreichte die Polizei an einem Mittwoch Mitte Februar.
       Marco S. (Name geändert) aus einem kleinen Ort nahe dem sächsischen Meißen
       habe mit Sprengstoff einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft begehen
       wollen. Der vorgesehene Tatort befinde sich keine 30 Kilometer entfernt,
       hinter der sächsischen Landesgrenze in Brandenburg, in Sedlitz bei
       Senftenberg. So teilte es der Hinweisgeber mit. Noch am Abend rückte die
       Polizei aus und durchsuchte die Wohnung von Marco S. Sie wurde fündig: Bei
       dem 21-Jährigen stellten sie zwei Kugelbomben sicher, Schlagringe, Messer,
       Munition und Schreckschusswaffen. Der junge Sachse wanderte in Haft, wo er
       bis heute sitzt.
       
       Und die Ermittler stellten fest, dass sie auf keinen Unbekannten stießen.
       Marco S. soll bereits in der Vergangenheit mit einem Volksverhetzungsdelikt
       aufgefallen sein. Zudem bewegte er sich nach taz-Informationen in einer
       Gruppe, die die Sicherheitsbehörden zuletzt mehrfach auf Trab hielt: die
       Letzte Verteidigungswelle (LVW). Ein Trupp teils sehr junger
       Rechtsextremer, der erst vor wenigen Monaten auftauchte, inzwischen aber
       Ableger in mehreren Bundesländern hat. Und es ist nicht die einzige schwere
       Tat, die der Gruppe vorgeworfen wird.
       
       Bereits im vergangenen Oktober brannte auch der Kultberg in Altdöbern aus,
       ein Kulturhaus mit Biergarten, 20 Minuten von Senftenberg entfernt.
       Rockkonzerte fanden dort statt, aber auch Vereinstreffen oder Sitzungen der
       Gemeindevertretung, ein Jugendklub hatte hier sein Domizil. Der Saal
       brannte komplett nieder, es entstand ein Schaden von mehreren
       hunderttausend Euro. Als Brandursache gaben Ermittler zunächst einen
       technischen Defekt an. Dann aber stießen sie auf ein Video von zwei
       15-Jährigen, die sich in der Tatnacht vor dem Brand gefilmt hatten. Bereits
       im Februar wurden die Jugendlichen nach Informationen der taz und der Welt
       festgenommen. Und auch sie werden der Letzten Verteidigungswelle
       zugerechnet. Den Kultberg sollen sie für einen linken Treffpunkt gehalten
       haben – was so gar nicht zutrifft.
       
       Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Cottbus hält sich zu dem Fall bedeckt.
       Eine Sprecherin bestätigt nur Ermittlungen gegen zwei Jugendliche wegen
       schwerer Brandstiftung. Eine Anklage stehe aus. Altdöberns Bürgermeister
       Peter Winzer, ein SPD-Mann, seit 13 Jahren im Amt, nennt es eine
       „Katastrophe“, dass der Kultberg niedergebrannt sei. „Seitdem haben wir
       keinen Kulturtreffpunkt mehr.“ Über das Tatmotiv wolle er nicht
       spekulieren, solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen seien, sagt
       Winzer. Unabhängig vom Tatmotiv, sagt Winzer, sollte sich der Vorwurf der
       Brandstiftung erhärten, „ist das eine Riesenschweinerei“.
       
       Das Betreiberpaar erklärte nach dem Brand im Oktober, man sei „in tiefer
       Trauer“. Seit sechs Jahren hätten die Betreiber ihre „ganze Kraft, unser
       Herzblut, viele schlaflose Nächte“ in die Begegnungsstätte investiert. Zur
       neuen Wendung, dem wohl rechtsextremen Tatmotiv, äußerten sie sich auf
       taz-Anfrage nicht.
       
       Anne Brügmann vom Verein Opferperspektive, der Betroffenen rechter Gewalt
       zur Seite steht, ist allerdings in Kontakt mit ihnen. „Für das Paar ist das
       ein großer Schock“, sagt Brügmann. „Sie können es immer noch nicht
       begreifen, dass sie offenbar von Rechtsextremen ins Visier genommen wurden.
       Alles, was sie vor Ort gemacht haben, war normaler Kulturbetrieb.“
       Bestätigen sich der Brandanschlag, das vermutete rechte Tatmotiv dahinter
       und der Anschlagsplan auf die Senftenberger Asylunterkunft, wären es die
       schwersten rechtsextremen Taten in Brandenburg in den vergangenen Jahren.
       
       Auch andernorts verübten junge Neonazis zuletzt schwere Gewalttaten. Es
       scheint die nächste Eskalationsstufe einer Szene zu sein, die Mitte
       vergangenen Jahres plötzlich bundesweit auftauchte. Zunächst auf
       Onlineportalen wie Tiktok oder Instagram präsentierten sich offen Gruppen
       wie Jung und Stark, Deutsche Jugend Voran, die Elblandrevolte, Der
       Störtrupp, die Chemnitz Revolte – oder eben die Letzte Verteidigungswelle.
       Ihre Aktionen planten sie klandestin in geschlossenen Whatsapp-Gruppen. Auf
       ihren Fotos zeigen sich junge Rechtsextreme, teils noch im Teenageralter,
       in einer Optik wie Neonazi-Skins aus den Neunzigern: Glatze,
       Springerstiefel, halb vermummt. Sie formen White-Power-Zeichen mit ihren
       Fingern, zeigen Hitlergrüße oder posieren mit Baseballschlägern. Dazu
       kommen Aufrufe zum „Zeckenboxen“, wird über Paraden zum queeren Christopher
       Street Day als „abnormaler Wanderzirkus“ geätzt.
       
       Und es bleibt nicht bei Parolen im digitalen Raum. Die Jungnazis tauchen
       auch auf der Straße auf, bei Szeneaufmärschen oder rechtsextremen Protesten
       gegen eben diese CSD-Paraden, bundesweit. Laut des Thinktanks Cemas gelang
       es den jungen Neonazi-Gruppen innerhalb weniger Monate, Tausende
       Anhänger*innen im Internet und Hunderte auf der Straße zu gewinnen.
       Allein zu Protesten gegen CSDs seien die Gruppen in 27 Städten im
       vergangenen Jahr aufmarschiert. Rekord waren dabei rund 1.000 Rechtsextreme
       in Bautzen. Mehrfach habe die Polizei eingreifen müssen.
       
       Nun scheinen einige in der Szene noch weiter gehen zu wollen. Erleben wir
       neue Baseballschlägerjahre?
       
       Schon vor den Taten in Altdöbern und Senftenberg verprügelten Neonazis aus
       dem Umfeld der Gruppe Elblandrevolte im Mai 2024 in Dresden [1][den
       SPD-Spitzenkandidaten Matthias Ecke zur Europawahl], als dieser nachts
       Plakate aufhängte. Ecke wurde so schwer verletzt, dass er ins Krankenhaus
       musste. Die Angreifer waren 17 Jahre alt. Kurz darauf wurde auch ein
       Grünen-Wahlkämpfer attackiert, ebenfalls in Dresden.
       
       Die Serie setzte sich fort: In Berlin-Lichterfelde griffen junge Neonazis
       im Dezember SPDler im Bundestagswahlkampf an; ein Mann wurde zu Boden
       gerissen, mit Springerstiefeln wurde auf seinen Kopf und Oberkörper
       eingetreten. Bei einem anderen Angriff in der Hauptstadt, am Bahnhof
       Ostkreuz, prügelten Vermummte mit Schlagstöcken auf junge Linke ein, die zu
       einer Anti-rechts-Demonstration fahren wollten – zwei Opfer mussten ins
       Krankenhaus.
       
       Auf 41.406 Delikte stiegen rechtsextreme Straftaten im vergangenen Jahr
       nach vorläufigen Zahlen – ein Rekordhoch. Darunter waren 1.443
       Gewaltdelikte, auch das ein Rekord. Viele dieser Taten dürften aufs Konto
       der jungen Neonazis gehen.
       
       ## Schulungen für die Sicherheitsbehörden
       
       Auch der Thinktank Cemas sieht eine Kohorte junger gewaltbereiter Neonazis
       im Entstehen, attestiert den Jugendgruppen ein „ernsthaftes
       Gefahrenpotenzial“. Sie seien inzwischen stark miteinander vernetzt.
       Betreiber der Social-Media-Plattformen müssten konsequenter gegen die
       Gruppen vorgehen. Und mögliche Gewaltopfer wie die Teilnehmenden an den
       CSD-Paraden müssten konsequent sowohl durch die Polizei wie auch durch die
       Arbeit von Beratungsstellen geschützt werden. Auch Schulungen für
       Sicherheitsbehörden seien sinnvoll.
       
       Marco A., dem der Anschlagsplan auf die Geflüchtetenunterkunft in
       Senftenberg vorgeworfen wird, war ebenfalls zunächst auf Social Media
       aktiv. Als Kahlrasierter präsentierte er sich dort, in Springerstiefeln und
       Bomberjacke, einen Schlauchschal mit Totenkopf bis zur Nasenspitze gezogen.
       Auf Bildern seines sächsischen Ablegers, der Letzten Verteidigungswelle,
       zeigen sich ebenfalls schwarz Vermummte, mit Pyrofackel und
       Deutschlandfahne. Marco S. nennt sich dort „Gauleiter“. Anders als andere
       ist er offenbar schon länger in der Szene aktiv: Schon vor Jahren postete
       er ein Foto von einer Demonstration für die Holocaustleugnerin Ursula
       Haverbeck. Ein anderes Bild zeigt eine Uniform mit Gewehr. „Bald ist es
       wieder soweit“, schreibt der 21-Jährige dazu. Oder an anderer Stelle: „Geht
       es ums Sterben, ich bin dabei!“
       
       In seinem Dorf bei Meißen will man davon nichts mitbekommen haben. Der
       Ortsbürgermeister sagt, ihm sei Marco A. nie aufgefallen, er kenne ihn
       nicht. Auch von der Festnahme habe man nichts bemerkt. Als Bürgermeister
       sei er nicht informiert worden.
       
       Der sächsische Verfassungsschutz betont, die Letzte Verteidigungswelle seit
       Mitte 2024 im Visier zu haben, so wie auch die anderen neuen
       Neonazi-Gruppen. Diese würden sich maßgeblich über Social Media
       rekrutieren, zeigten ein „erhöhtes Maß an Aktivismus und Gewaltaffinität“.
       Man beobachte das „sehr aufmerksam“. So sei etwa die Chemnitz Revolte
       bereits im November als erwiesen rechtsextrem eingestuft worden. Auch aus
       dem Brandenburger Innenministerium heißt es, man habe die Gruppen im Blick.
       Der Letzten Verteidigungswelle werde in Brandenburg eine niedrige
       zweistellige Zahl an Mitgliedern zugerechnet – und mehrere Straftaten.
       
       Inzwischen gibt es Ableger dieser Gruppe nicht nur in Brandenburg und
       Sachsen, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Bayern. „Zu
       jeder Zeit Kampf bereit“, lautet einer der Slogans. Und die Ermittler
       prüfen, ob auch weitere Angriffe in Südbrandenburg der Verteidigungswelle
       zugerechnet werden können. So hatte in Senftenberg erst in der Nacht zum 1.
       März eine große Gruppe Vermummter auch den Jugendklub Jamm angegriffen und
       ihn mit Steinen beworfen, Augenzeugen hörten „Zecken raus“-Rufe. Als die
       Polizei eintraf, waren die Angreifer bereits verschwunden. „Willkommen in
       den 90igern“, erklärte das Jamm danach in einer Stellungnahme. Bereits im
       November hatten Vermummte im nahen Spremberg einen Angriff auf den
       Jugendklub Erebos verübt, sämtliche Fensterscheiben des Klubbüros
       zerschlagen, den Außenbereich verwüstet. Zuvor waren am Eingang Hakenkreuze
       und der Schriftzug „Nazi Kiez“ gesprayt worden.
       
       Auch die Elblandrevolte tauchte im Februar 2024 zunächst mit
       Social-Media-Profilen bei Instagram oder Telegram auf, wo sie immerhin
       3.600 Follower:innen hat – als Dresdner Ableger der Jungen
       Nationalisten, der Jugendgruppe der Heimat, einst NPD. Die Gruppe
       präsentiert sich schwarz gekleidet, geht in Fußballstadien oder auf
       Wanderungen in der sächsischen Schweiz, um die „Kameradschaft zu stärken“.
       „Das System ist am Ende – wir sind die Wende“, lautet eines ihrer Banner.
       Schnell tauchte die Gruppe bei rechtsextremen Aufmärschen und
       Montagsprotesten auf, in Dresden oder Heidenau – und bei Gegenprotesten zu
       CSD-Paraden in Bautzen, Döbeln oder Görlitz. Proteste, die die
       „Elblandrevolte“ maßgeblich mit befeuerte. Die CSD-Teilnehmenden verhöhnten
       sie als „Identitätsgestörte“.
       
       Einer marschierte dabei oft vorneweg, mit Megafon über der Schulter: Finley
       Pügner, 18 Jahre, gebürtiger Görlitzer. In Videos der Gruppe wetterte er
       gegen „Gender-Propaganda“, posierte neben einem „Remigration“-Banner. Seine
       Ansage: „Unsere Stadt, unsere Regeln“. Immer wieder scharte Pügner junge
       Rechtsextreme um sich, rief in Videos zu Aufmärschen auf. Auch bei einer
       Sonnenwendfeier der JN im Juni 2024 im niedersächsischen Eschede war Pügner
       mit Elblandrevolte-Leuten dabei. Neonazis marschierten dort mit Trommeln
       und Fackeln auf, verbrannten eine meterhohe Rune. Auch zu Vertreter der
       rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen und zum Neonazi-Boxtrupp Kampf der
       Nibelungen hat Pügner Kontakt.
       
       Nicht nur der Fall Elblandrevolte zeigt, was die Jungradikalisierten
       antreibt. Es sind Social-Media-Gruppen, die zum Eintrittstor werden.
       Aufmärsche oder Stadienbesuche, die Gemeinschaft und Action versprechen.
       Und es sind oft die Jugendgruppen etablierter Neonazi-Parteien wie die der
       Heimat oder des III. Wegs, die Social-Media-Reichweite herstellen,
       Erfahrungen für die Organisation von Aktionen weitergeben, zum Bindeglied
       zwischen den Gruppen werden. Und die sich selbst Zulauf erhoffen. Was für
       die zuvor sieche JN auch klappt: Der sächsische Verfassungsschutz rechnet
       der Elblandrevolte, ihrem Dresdener Ableger, inzwischen ein Potenzial von
       bis zu 40 Personen zu. Das Bundesamt berichtet von ähnlichen
       Reaktivierungen auch in Lüneburg oder Mecklenburg-Vorpommern – nachdem die
       Aktivitäten der JN zuvor bereits „zum Erliegen gekommen“ waren.
       
       Die Elblandrevolte zeigt aber auch, wohin die Radikalisierung schnell
       führt: zu Gewalt. Noch vor dem Angriff auf Matthias Ecke sollen drei
       17-Jährige aus der Gruppe bereits bei zwei Zugfahrten Fahrgäste bedroht und
       angegriffen haben. In einem Fall hatten die Opfer versucht, die
       Rechtsextremen davon abzuhalten, „Nazi-Zone“-Aufkleber anzubringen. Sie
       mussten sich auf eine Zugtoilette flüchten. Es folgten Durchsuchungen, bei
       denen auch Schreckschusswaffen gefunden wurden.
       
       ## Schlaghandschuhe und Tritte auf der Straße
       
       Auch Anführer Finley Pügner fiel schon 2023 mit Gewalttaten auf. Ende 2024
       folgten dann zwei Angriffe auf Linke in Görlitz. Erst wurden am Rande einer
       rechten Montagsdemonstration fünf junge Erwachsene bedroht. Kurz vor
       Weihnachten attackierten mehrere Vermummte dann eine Gruppe junger Linker
       mit Schlaghandschuhen und Tritten nachts auf offener Straße. Zwei Frauen
       und ein Mann wurden dabei verletzt, mussten in ein Krankenhaus. Unter den
       Angreifern: Finley Pügner – der wenige Tage später in Untersuchungshaft
       wanderte. Sechs weitere Rechtsextreme wurden durchsucht, der jüngste erst
       16 Jahre alt.
       
       Die JN verharmloste den letzten Angriff in Görlitz als „Rauferei“. Die
       Opfer seien „linke Hypochonder“, an Pügner solle ein „Exempel statuiert“
       werden. Samara Schrenk sieht das anders.
       
       Die junge Linken-Politikerin aus Görlitz, die vor Ort mit dem Bündnis Klare
       Kante Anti-Nazi-Demos organisiert, gehörte zu den Angegriffenen. Es war
       Schrenk, der Finley Pügner im November am Rande der rechten
       Montagsdemonstration drohte, sie müsse gar nicht denken, dass er ihr mal
       „keine reinschieße, nur weil du eine Fotze bist“. Da könne sie sich „schon
       drauf freuen“. Ein Handy filmte die Szene.
       
       Dann, drei Wochen später, wurde Schrenk mit zwei Begleitern tatsächlich
       spätabends unvermittelt angegriffen, zu Boden gestoßen, mit Füßen gegen den
       Kopf getreten. Pügner habe sie erkannt, weil sein Schlauchschal
       verrutschte, erzählt Schrenk. Parallel wurden ihre Begleiter attackiert, es
       flogen Flaschen und Böller, Pfefferspray wurde gesprüht. „Die waren
       extremst aggressiv“, sagt Schrenk. „Das war krass: Der hat seine Drohung
       wirklich umgesetzt.“
       
       Schrenk erlitt ein Schädelhirntrauma. Das Sicherheitsgefühl, sich frei in
       der Stadt oder in Bussen zu bewegen, ist weg. Eigentlich habe sie erwartet,
       dass Pügner sofort nach dem Angriff festgenommen werde, sagt die 21-jährige
       Pflegerin: „Dass er erst mal wieder laufen gelassen wurde, war eine Farce“.
       
       Erst als der Fall auch überregional Schlagzeilen machte, erfolgte der
       Haftbefehl. Dass Pügner im Februar kurzzeitig wieder aus der Haft kam, weil
       das Amtsgericht Görlitz keine Fluchtgefahr mehr sah, habe ihr ein mulmiges
       Gefühl gegeben, sagt Schrenk. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft Görlitz
       musste Pügner neun Tage später aber zurück in die JVA Görlitz. Die Behörde
       betonte, es gehe gar nicht um Fluchtgefahr, sondern um Wiederholungsgefahr.
       Darum, dass der 18-Jährige wieder zuschlagen könnte.
       
       Seitdem Pügner in Haft ist, sei es ruhiger in Görlitz, „auch auf den
       Straßen“, sagt Schrenk. Die Gefahr durch die Neonazi-Gruppen aber bleibe.
       „Die sind ein enormes Risiko. Da müssten die Behörden noch viel mehr Druck
       machen und weitere Nazis in die Schranken weisen“, mahnt sie. „Sonst machen
       die immer weiter.“ Sie selbst wolle sich durch die Gewalt nicht
       unterkriegen lassen. „Ich muss mit der Gefahr leben. Verstummen geht
       nicht.“
       
       Der Umgang mit der Haft von Finley Pügner zeigt auch, wie unterschiedlich
       die Sicherheitsbehörden mit den gewaltbereiten jungen Rechtsextremen
       umgehen. Und auch der Angriff auf den SPD-Mann Matthias Ecke wird in der
       jüngst erhobenen Anklage nicht der Elblandrevolte zugerechnet, sondern als
       Spontantat dargestellt. Der Prozess wird wegen des jungen Alters der
       Beschuldigten vor einem Jugendschöffengericht verhandelt, nichtöffentlich.
       
       Rechtsanwältin Kati Lang, die sowohl Ecke als auch Schrenk vertritt,
       kritisiert das Vorgehen. „Es ist gut, dass das Landeskriminalamt die
       Ermittlungen zu den Taten übernommen hat“, sagt Lang. Dass die Angriffe
       aber immer als Spontantaten bewertet würden, nicht als Gruppendelikte, sei
       abwegig. „Hier gibt es ein grundsätzliches Problem. Die Ermittlungsbehörden
       bekommen die jungen Neonazis nicht zu fassen“, findet Lang. „Es herrscht
       eine gewisse Ahnungslosigkeit, wie sich die Szene heute organisiert.
       Digital findet viel zu wenig Aufklärung statt.“
       
       Es gebe eben schon lange nicht mehr feste Kameradschaften, am besten noch
       mit Vorstand und Kassenwart, betont Lang. Doch auch die Onlinegruppen seien
       organisiert. „Bei den Aufrufen zu Aktionen auf Instagram oder anderswo
       verstehen die Adressierten durchaus, was gemeint ist. Es ist ja immer
       derselbe Personenkreis, der Stress macht. Und das Resultat ist auch
       dasselbe: Gewalt.“ Die Folge, so Lang: Vor den Augen der
       Ermittlungsbehörden sei eine neue militante Neonazi-Szene erwachsen.
       
       Das Bundesinnenministerium versichert, dass die Sicherheitsbehörden die
       Gruppen „fortlaufend beobachteten“. Die Gruppen hätten zwar zumeist nur
       Aktive im niedrigen zweistelligen Bereich, aber ein „hohes
       Mobilisierungspotenzial“ und seien zumindest in Teilen
       „gewaltbefürwortend“. Gerade die adressierten Minderjährigen seien
       besonders anfällig für rechtsextreme Beeinflussung und Radikalisierung.
       Rund 30 Mal seien die Jugendgruppen bereits Thema im Gemeinsamen
       Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) gewesen, in dem alle
       Sicherheitsbehörden zusammensitzen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz
       warnt vor den „dynamischen, mobilisierungsfähigen rechtsextremistischen
       Gruppierungen“, die auch auf „gewaltorientierte“ Personen zielten.
       
       ## Bundesanwaltschaft lässt sich informieren
       
       Tatsächlich hat nach taz-Informationen auch die Bundesanwaltschaft die
       Szene inzwischen im Blick, lässt sich über Ermittlungen informieren.
       Social-Media-Plattformen reagierten mittlerweile, löschten einige Profile
       der Neonazi-Gruppen – dafür kamen neue wieder hinzu. Es ist ein schwer zu
       gewinnender Wettlauf.
       
       An einigen Orten griffen Sicherheitsbehörden inzwischen durch. Etwa [2][in
       Berlin, wo sich bereits 2024 die Angriffe häuften]. Nach den Attacken auf
       Linke am Bahnhof Ostkreuz, auf die SPD-Gruppe in Lichterfelde und auf zwei
       weitere Linke, die Antifa-Embleme auf ihrer Kleidung hatten, folgten zwei
       Durchsuchungen und Festnahmen. Mit dabei war Julian M., ein 24-jähriger
       Polizistensohn und Anführer der Berliner Gruppe Deutsche Jugend Voran, dem
       die letzteren Taten vorgeworfen werden. Auch er war auf Social Media aktiv,
       stand immer wieder mit Megafon auf der Straße, reiste mit seiner Gruppe
       auch zu Aufmärschen in andere Bundesländer.
       
       Vor wenigen Tagen nun begann der Prozess gegen Julian M. vor dem Berliner
       Kammergericht. Gleich drei Gewalttaten werden ihm vorgeworfen, begangen
       innerhalb nur weniger Wochen. Teils soll er dabei Protektorenhandschuhe
       getragen haben, mit denen man härter zuschlagen kann. Einmal habe er einem
       Mann erst mit Fäusten und Schlägen aufs Auge traktiert, dann mit einer
       ungeladenen Luftdruckpistole gedroht, „ich knall dich ab“. Im Prozess
       gestand Julian M. die Taten, gab sich kleinlaut.
       
       Ruhe aber ist in der Hauptstadt nicht eingekehrt: Gerade erst standen hier
       an gleich zwei Wochenenden hintereinander Neonazis mit Aufmärschen auf der
       Straße – das hatte es lange nicht gegeben. Bundesweit mobilisiert die Szene
       weiter.
       
       In Südbrandenburg, in Altdöbern, Senftenberg und Spremberg bleibt
       Verunsicherung. Ein Problem sei, dass die Ermittlungsbehörden in den Fällen
       wenig transparent kommunizierten, sagt Anne Brügmann von der
       Opferperspektive. „Es braucht aber eine konsequente Strafverfolgung.“ Und
       es brauche auch klare Signale aus der Politik, dass die Zivilgesellschaft
       und Betroffene rechter Gewalt geschützt werden. „Der Einsatz für eine
       offene Gesellschaft“, sagt Brügmann, „darf nicht mit Angst und Gewalt
       bezahlt werden.“
       
       Mitarbeit: Nils Lenthe
       
       2 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rechter-Angriff-in-Dresden/!6008416
   DIR [2] /Angriff-auf-SPD-Mitglieder-in-Berlin/!6057431
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Identitäre Bewegung
   DIR Dresden
   DIR Der III. Weg
   DIR GNS
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Rechtsruck
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Schwerpunkt Demos gegen rechts
   DIR Hamburg
   DIR Cottbus
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Verfassungsschutzbericht
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Identitäre Bewegung
   DIR Rechts
   DIR wochentaz
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Zölle
   DIR Schwerpunkt Ostdeutschland
   DIR Wahlen in Ostdeutschland 2024
   DIR Christopher Street Day
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Wenn Kinder zu Nazis werden: „Viele berichten, dass sie ihr Kind nicht wiedererkennen“
       
       Sozialarbeiterin Eva Prausner leitet seit 2008 ein Projekt in Berlin, das
       Eltern von rechtsextrem orientierten Kindern berät. Welche Rolle spielt
       familiäre Stabilität?
       
   DIR Neonazi-Angriff in Berlin: Junge Journalist*innen geschlagen und getreten
       
       Neonazis haben am Berliner Bahnhof Ostkreuz zwei Journalist*innen
       angegriffen, die zuvor beim CSD in Bautzen fotografierten. Bereits im Zug
       gab es Bedrohungen.
       
   DIR Ermittlungen gegen Jung-Nazis: Deutsche Jugend gerazzt
       
       Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln gegen 5 Neonazis und durchsuchen
       Wohnungen. Vorgeworfen werden ihnen Übergriffe im vergangenen Herbst.
       
   DIR Verfassungsschutzbericht: Immer mehr gewaltbereite Neonazis in Brandenburg
       
       Der Brandenburger Verfassungsschutz registriert in seinem Jahresbericht
       einen neuen Höchststand an Rechtsextremen. Die Opferperspektive fordert
       mehr Mittel.
       
   DIR Radikalisierung von Jungnazis: Stille in Altdöbern
       
       In Altdöbern und Wismar werden drei Teenager festgenommen. Sie sollen
       Anführer einer Rechtsterrorgruppe sein. Wie konnten sie sich so
       radikalisieren?
       
   DIR Angriff auf SPD-Mitglieder in Berlin: Vier Neonazis zu Jugendstrafen verurteilt
       
       Nach einem Angriff auf SPD-Wahlhelfer in Berlin sind vier Männer zu
       Jugendstrafen verurteilt worden. Das Gericht betonte die rechte Gesinnung
       der Täter.
       
   DIR Neonazi-Angriff in Bad Freienwalde: Nur antifaschistische Selbstverteidigung verhinderte Schlimmeres
       
       Nach einem rechten Überfall auf ein Straßenfest erheben Veranstalter
       Vorwürfe gegenüber der Polizei. Diese habe die Gefahr von rechts nicht
       ernst genommen.
       
   DIR Buch über rechte Gewalt in den 1980ern: „Rassistische Morde waren keine Einzelfälle“
       
       Die „Baseballschlägerjahre“ waren kein reines Ostphänomen, sagt Felix
       Krebs. Er hat ein Buch über rechte Gewalt in den 1980ern in Hamburg
       geschrieben.
       
   DIR Nazis attackieren Hausprojekt in Cottbus: Sichere Orte gesucht
       
       Die Cottbuser „Zelle79“ ist erneut von Nazis angegriffen worden. Nun rücken
       viele links-alternative Projekte in der Lausitz zusammen.
       
   DIR Bundesanwaltschaft nimmt Neonazi fest: Nazis im Kinderzimmer
       
       Einer der Anführer ist erst 15 Jahre alt: Die Bundesanwaltschaft geht mit
       Festnahmen gegen die Jungnazi-Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ vor.
       
   DIR Innenministerium zu Jungnazi-Gruppen: Abzielen auf eine sehr verletzliche Zielgruppe
       
       Nicht nur die „Letzte Verteidigungswelle“: Das Bundesinnenministerium
       beteuert, die jungen Neonazi-Gruppen im Blick zu haben – und warnt vor
       Gefahren.
       
   DIR Rechtsextreme in Ostwestfalen: Ein Provinznazi lädt ein
       
       Zu einer rechtsextremen Demo in Herford wird überregional mobilisiert. Auch
       in der westdeutschen Provinz werden junge Neonazis offenbar aktiver.
       
   DIR Bundesanwaltschaft nimmt Jungnazis fest: Tatvorwurf: Terror
       
       Die Bundesanwaltschaft lässt fünf Mitglieder der „Letzten
       Verteidigungswelle“ festnehmen. Die Minderjährigen sollen Anschläge geplant
       haben.
       
   DIR Verfassungsschutzbericht 2024: Rechte radikalisieren sich
       
       Laut Bericht des Berliner Verfassungsschutzes werden Neonazis immer
       gewaltbereiter. Der Geheimdienst soll mit einem neuen Gesetz mehr
       Befugnisse bekommen.
       
   DIR Nach Aufmärschen und Gewalt: Verfassungsschutz knöpft sich Jungnazis vor
       
       Bundesweit gründeten sich immer neue junge rechtsextreme Gruppen. Jetzt
       beobachten sie Verfassungsschutzämter verstärkt und sorgen für
       Einstufungen.
       
   DIR Nach taz-Recherche: Rechtsextremer verliert Job
       
       Felix S., ein früherer Kader der Identitären Bewegung, arbeitete für einen
       Rüstungskonzern. Nach einem taz-Bericht über ihn wird er entlassen.
       
   DIR Rechtes Internet feiert die „Ostmulle“: Hübsche Mädels singen Landser
       
       Am #OstmullenDienstag posten rechte Frauen Videos von sich. Sie tragen
       Piercings, mögen Rechtsrock und haben Reichsflaggen im Zimmer: die
       Ostmullen.
       
   DIR Neonazis im Ordnungsdienst: Antifa allein zu Haus
       
       Quedlinburg in Sachsen-Anhalt ist eine uralte Bilderbuchstadt. Zu ihrem
       Erbe gehört die rechte Gewalt der 1990er Jahre. Ein Besuch.
       
   DIR Neonazi-Subkultur im Netz: Forscher warnen vor „Terrorgram“
       
       Rechtsextreme nutzen den Messenger-Dienst Telegram für Gewaltaufrufe. Laut
       einer Studie gibt es dafür ein loses Geflecht aus Chatgruppen und Kanälen.
       
   DIR Haftstrafe für Neonazi: Bis hierher und nicht weiter
       
       Die Gefängnisstrafe für Julian M. ist ein wichtiges Signal in die
       ideologisch wenig gefestigte Szene. Womöglich hilft sie gegen deren
       Radikalisierung.
       
   DIR Haftstrafe für Julian M.: Neonazi will jetzt friedlich sein
       
       Für mehr als 3 Jahre muss der Kopf der „Deutschen Jugend Voran“ ins
       Gefängnis. Die Taten bereut er, seine Gesinnung aber bleibt.
       
   DIR Rechtsextreme Gewalt: Drei Monate Deutschland
       
       Politik und Öffentlichkeit streiten über Abschiebungen und Brandmauer,
       zugleich nimmt die rechte Gewalt in Deutschland rasant zu. Eine Chronik.
       
   DIR Rechtsextremismus in Deutschland: Opferberatung: Rechte Gewalt ist „Massenphänomen“
       
       Mehrere Bundesländer erleben einen Anstieg rechter Gewalt. Etwa Thüringen.
       So viele Angriffe gab es nach Auskunft der Opferberatung Ezra noch nie.
       
   DIR Welthandelsorganisation im Zollstreit: Der blockierte Schiedsrichter
       
       Wenn sich die EU vor der Welthandelsorganisation gegen US-Zölle wehrt, ist
       verbindliche Hilfe nicht möglich: Trump hat das WTO-Berufungsgericht
       lahmgelegt.
       
   DIR CSD in Görlitz und Zgorzelec: Pride-Party unter Polizeischutz
       
       In Görlitz und dem polnischen Zgorzelec lief heute der letzte CSD dieser
       Saison in Sachsen. Die queere Szene wurde sichtbar – ebenso wie die
       Neonazis.
       
   DIR AfD-Erfolge in Thüringen und Sachsen: Wo bleibt der Aufschrei?
       
       Der Erfolg der AfD ist eine Zäsur für den deutschen Rechtsextremismus. Die
       Politik hat ihrem Aufstieg viel zu lange zugeschaut.
       
   DIR CSDs in Sachsen: Menge schafft Mut
       
       CSDs und Queer Prides in Sachsen haben es nicht leicht. Doch sie wachsen
       und schaffen Räume für Visionen auch in der ländlichen Region.