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       # taz.de -- Österreichisches Filmfestival Diagonale: Lieber „Austroschwarz“ als Austrobraun
       
       > Entdeckungen zu machen galt es bei der „Diagonale“, dem österreichischen
       > Filmfestival in Graz. Auch 2025 Stachel im Fleisch der rechten
       > Alpenrepublik. Eine Bilanz.
       
   IMG Bild: Das Leben ist kein langer ruhiger Fluss, sondern eher ein harter Kampf: Szene aus „Austroschwarz“
       
       Die beiden vom Land Steiermark ausgelobten Haupt-Preisträger der
       diesjährigen „Diagonale“ waren für Nationalisten sicherlich eine
       Herausforderung. Lisa Polsters – übrigens von der Jury ausdrücklich für
       seine Filmsprache ausgezeichneter – Dokumentarfilm „Bürglkopf“ beschäftigt
       sich in einer eindrücklichen Suchbewegung mit der titelgebenden Tiroler
       Bergregion, die in unmittelbarer Nachbarschaft Alpin-Tourismus und ein
       euphemistisch „Rückkehrzentrum“ genanntes Abschiebegefängnis beherbergt.
       
       Die „Goldene Nuss“ für den besten Spielfilm ging an einen ehemaligen
       Flüchtling. 2009 war Mo Harawe aus Somalia nach Österreich gekommen und
       führte sein neues Land mit „The Village Next to Paradise“ bald nach Cannes.
       Dieser mit einem kenianisch-somalischen Team gedrehte Film über die
       Herausforderungen einer dörflichen Patchworkfamilie am Indischen Ozean war
       seitdem auch andernorts erfolgreich.
       
       [1][Doch bei dem propagierten neuen Kulturkonzept der seit Dezember 2024 in
       der Steiermark regierenden rechtskonservativen FPÖ-ÖVP-Koalition dürfte er
       zu keiner Seite passen.] Diese nämlich hatte den Kulturbereich in
       unterschiedliche ministerielle Zuständigkeiten für sogenannte Hoch- und
       (direkt bei FPÖ-Landeshauptmann Mario Kunasek angesiedelte) Volkskultur
       separiert.
       
       ## Vereint gegen die Kürzungen
       
       Der zur Preisverleihung anwesende Landesrat für Pflege, Gesundheit und
       Kultur, Karlheinz Kornhäusl (ÖVP), machte aber freundliche Miene und
       applaudierte höflich zu der von Preisträgerin Polster mit Verve
       vorgetragenen Forderung nach einer geöffneten Migrationspolitik und ihrer
       Widmung des Preises an ihre u. a. aus Syrien und Sudan geflüchteten
       Protagonisten. Auch die Jugendjury der Diagonale gab ihren Preis an
       „Bürglkopf“ – und zeigte mit kollektivem Bühnenauftritt und einem
       kämpferischen Statement Position gegen Kürzungen im Haushalt, die den
       ausrichtenden Verein „Kulturvermittlung Steiermark“ trafen.
       
       Finanzielle Lücken wurden dieses Jahr von privaten Sponsoren gestopft.
       [2][Der Rest des Festivals ist bisher von den starken Kürzungen vor allem
       der freien Kulturszene durch mehrjährig angelegte Förderperioden nur
       indirekt betroffen.] [3][Als „neues Abnormal“ hatten Dominik Kamalzadeh und
       Claudia Slanar die politische Situation weltweit und in Österreich bei der
       Eröffnung bezeichnet, auch wenn die Alpenrepublik einer Kickl-Regierung
       gerade noch einmal entgangen ist.]
       
       Programmatische Antwort des Leitungsduos war ein historischer Schwerpunkt
       („Aus dem Giftschrank“), der sich mit dem „toxischen Erbe“ der von den
       Nazis nach dem „Anschluss“ gegründeten Produktionsfirma Wien-Film
       beschäftigt- und damit einer NS-Filmpraxis, die sieben Jahre auch in
       Österreich als normal galt.
       
       ## Umstrittener Bürgermeister Karl Lueger
       
       Im Zentrum das historische Filmdrama „Wien 1910“ (1943, Regie: E. W. Emo),
       das die heute umstrittene Figur des antisemitischen populistischen
       Bürgermeisters Karl Lueger in den Clinch mit seinem nationalradikalen
       Kontrahenten Georg von Schönerer und der kaiserlichen, demokratischen und
       bürgerlichen Gesellschaft bringt: ein Propagandafilm für einen
       national-sozialistischen Umsturz in Österreich gegen Pfründenwirtschaft,
       Börse und eine angebliche jüdische Hetzpresse, der heutige PR-Lügen und
       Absurditäten lehrreich und unheimlich zugleich fokussiert.
       
       Ein weiteres historisches Programm namens „Österreich – Eine Satire“
       versammelte unterschiedlichste kritische Positionen: von Franz Novotnys
       bissig überschäumender prä-queerer „Staatsoperette“ (1977), bis zu „Krieg
       in Wien“ (1989) von Michael Glawogger und Ulrich Seidl, der sich beim
       Publikumsgespräch die Bezeichnung Satiriker scharf verbat.
       
       Zurück zum mit 131 Filmen traditionell breit aufgestellten Wettbewerb, der
       durch starke Dokumentarfilme glänzte. Vom experimentellen Kurzfilm des
       Innovativen Kinos bis zum Feelgood-Seniorinnen-Roadmovie „80+“ (Regie:
       Sabine Hiebler, Gerhard Ertl) gab es anregende Werke, die etwa
       Ausgrenzungen und neues Selbstbewusstsein im heutigen Österreich
       thematisieren.
       
       ## Beschwerlicher Antrag auf Staatsbürgerschaft
       
       „Austroschwarz“ (Regie: Mwita Mataro und Helmut Karner) erzählt in
       persönlichem Ton und verspielt von Erfahrungen und Wünschen eines jungen
       Schwarzen zwischen Fremdzuschreibungen, Rassismen, Selbstzweifeln und
       Selbstbewusstsein. „Noch lange keine Lippizaner“. Der Titel spielt auf
       einen beleidigenden Onlinekommentar an, von Olga Kosanović thematisiert
       anspielungsreich den beschwerlichen Kampf der mit serbischen Eltern in
       Österreich geborenen Filmemacherin um eine Staatsbürgerschaft.
       
       Diese wurde ihr wegen mit Familienbesuchen und Stipendien angesammelten 58
       „Auslandstagen“ verweigert. Im Saal stieß dies auf starke Resonanz bei
       durch ähnliche Schicksale getroffenen und schamhaft betroffenen – oft
       bisher ahnungslosen – Inländern. Auch sonst war das Publikum präsent, wach
       und erfreulich jung, angereist aus Enthusiasmus für den Film und Lust auf
       Vernetzung. Eine gut aufgestellte Basis für kommende Kämpfe.
       
       3 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR Silvia Hallensleben
       
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