# taz.de -- Die Wahrheit: Im nächsten Leben Ohrhaarfacklerin
> Überall gibt es nur noch Barber-Shops. Da wäre es doch eine gute Idee,
> selbst einen aufzumachen – ganz im Stile der Augsburger Puppenkiste.
Seit einiger Zeit beobachte ich, dass männlich gelesene Menschen in meinem
Kiez Etablissements besuchen, die „Shave the day“, „Beardy Boys“ oder
„Gentlemen’s Grooming“ heißen, und beim Herauskommen aussehen wie noch
junge Ex-Fußballer.
Generell habe ich nichts gegen Ex-Fußballer und ihre sportiven Körper, aber
je länger ihr Karriereende zurückliegt, desto sympathischer sind sie mir.
Und das, was moderne Barbiere mit ihren Kunden machen, hat nichts mit Paul
Breitners trotzigem Seewolf-Look zu tun und leider auch nichts mit den
beeindruckenden Mungo-Jerry-Koteletten.
Stattdessen werden in den „Barbershops“ sauber getrimmte Bärte mit Undercut
und Pomade komplementiert, das Ergebnis erinnert aufgrund der Diskrepanz
von Babygesicht und Schifferkrause meist an Karneval im Kinderladen. Zudem
fackelt man anscheinend ohne Ende Ohrhaare ab – mir war gar nicht klar,
dass die gerade dort so üppig sprießen, das erklärt natürlich die vielen
Männern eigene Zuhörproblematik.
Ich spiele nun mit dem Gedanken, ebenfalls einen Barbershop zu eröffnen,
dann lernt man hoffentlich mal wieder ein paar junge Leute kennen, zum
Beispiel Jan, Hein, Klaas und Pit. Den Namen meines Salons trage ich schon
seit der Kindheit im Herzen: Mein Barbershop wird „3:0 für die Bärte“
heißen.
Damit möchte ich selbstredend das gleichnamige Marionettenspiel der
Augsburger Puppenkiste ehren, in dem die Menschenkinder Hans und Bärbel ins
„Wunderland“ reisen – ein waschechter Hippiestaat, wie dessen Nationalhymne
verrät: „Männlein mit den Bärten lang / Weiblein mit den Haaren / lass dich
nur nicht machen bang / von diesen Exemplaren!“
Apropos waschecht: Zwar wird das nicht gesagt, aber aufgrund von Setting,
Titel und Songtext nehme ich an, dass Barbershops im Wunderland Mangelware
sind. Geschnitten oder rasiert wird dort nämlich nie, allerhöchstens
gewaschen, egal ob Teenieflaum oder Althippiekinn. Denn im Lied heißt es
weiter: „Auch das Alter ist egal / bei dem Bärtezauber / Bärte sind doch
ganz normal / Hauptsache sie sind sauber“. Bartlose Wunderländer sehen
das genauso: „Gleiches gilt für langes Haar / bis zum großen Zeh / ach ist
das nicht wunderbar / und tut gar nicht weh“. Später in der Geschichte wird
das Wunderland von einem bösen Zauberer angegriffen, wer gewinnt, steht im
Titel.
Die Marionettenversion von „3:0 für die Bärte“ ist übrigens die Adaption
eines gleichlautenden Romans von Heiner Gross, der das Buch bereits 1959
schrieb und damit hellseherisch die Hippiezeit antizipierte. Gemäß dieser
Tradition werde ich in meinem zukünftigen Barbershop auch nicht Haare
schneiden. Sondern ausschließlich waschen. Vielleicht fackle ich ab und an
mal ein paar Ohrhaare ab. Aber nur wenn es wirklich nötig ist.
4 Apr 2025
## AUTOREN
DIR Jenni Zylka
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