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       # taz.de -- Leid in der Haasenburg und im Friesenhof: Bremen vergisst Heimkinder
       
       > Vor zwei Jahren beschloss das Landesparlament eine Studie zur
       > Aufarbeitung der Ereignisse in den Heimen Haasenburg und Friesenhof.
       > Passiert ist nichts.
       
   IMG Bild: Die Haasenburg ist geschlossen, aber die Frage nach Aufarbeitung und Entschädigung bleibt offen
       
       Hamburg taz | Es war etwas Besonderes, als die Bremische Bürgerschaft im
       Dezember 2022 den [1][Dringlichkeitsantrag „Erfahrenes Leid anerkennen –
       Solidarität mit den geschädigten früheren Heimkindern“] verabschiedete. Mit
       ihren Stimmen beauftragten SPD, Grüne und Linke den Senat, mit den
       Betroffenen zu sprechen, sich im Bund für eine Entschädigung einzusetzen
       und eine externe Studie in Auftrag zu geben, um die Umstände und Folgen in
       den geschlossenen beziehungsweise intensivpädagogischen Heimen Haasenburg
       und Friesenhof „weiter aufzuarbeiten“.
       
       Dafür war damals eine Kulturwissenschaftlerin im Gespräch, die bereits zur
       Geschichte von Heimen geforscht hatte. Im April 2023 fand ein Gespräch
       zwischen der damaligen grünen Sozialsenatorin Anja Stahmann und zwei
       ehemaligen Heimbewohnern statt. Auf der Jugendministerkonferenz im Mai 2024
       wurde das Thema Entschädigung zumindest angesprochen. Aber von dieser
       Studie hat man nie wieder etwas gehört.
       
       Die [2][Haasenburg in Brandenburg] und der Friesenhof in Schleswig-Holstein
       wurden Anfang der 2000er-Jahre eröffnet und von Jugendämtern aus dem ganzen
       Bundesgebiet belegt. Bremen hat im Laufe der Jahre [3][sieben Mädchen im
       Friesenhof und neun Kinder und Jugendliche in der Haasenburg
       untergebracht].
       
       Die Schließung der Haasenburg 2013 und des Friesenhofs 2015 wurde im
       Nachhinein von Verwaltungsgerichten als rechtswidrig eingestuft. Bis heute
       steht aber die Frage nach einer Entschädigung und Unterstützung der
       Bewohner im Raum. Die Studie, die die „individuellen und strukturellen
       Umstände“ der Unterbringung aufarbeiten soll, wäre ein wichtiger Schritt.
       
       Auf die Frage, ob diese Untersuchung inzwischen abgeschlossen sei,
       antwortete der Sprecher der Bremer Sozialbehörde gegenüber der taz: „Eine
       wissenschaftliche Aufarbeitung hat es in Bremen nicht gegeben, sie ist der
       Diskontinuität anheimgefallen (der Antrag war im Wahlkampf verabschiedet
       worden)“. Die neue Bürgerschaft habe sich mit der Angelegenheit „nicht
       wieder befasst“.
       
       Nachdem die taz bei den drei in Bremen weiterhin regierenden Fraktionen von
       SPD, Grünen und Linken nachgefragt hatte, ob sie damit einverstanden seien,
       korrigierte sich die Sozialbehörde. Es habe doch eine Befassung der Bremer
       Sozialdeputation mit dem Antrag gegeben, und zwar am 22. August 2024.
       
       Dazu gibt es eine öffentliche Beschlussvorlage. In der Frage einer eigenen
       Studie vertritt Bremen unter der neuen Sozialsenatorin Claudia Schilling
       (SPD) nun den Standpunkt, dass die Stadt diese gar nicht allein durchführen
       könne. „Die Einrichtungen lagen in der Hoheit anderer Länder, das
       beschränkt natürlich den Handlungsspielraum Bremens“, so ihr
       Pressesprecher. Deshalb habe man „besonders nach der ‚Pleite‘ vor Gericht“
       für eine Untersuchung „keinen Konsens“ mehr gefunden.
       
       In der Beschlussvorlage wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom
       November 2023 zitiert, wonach die Schließung 2013 ja rechtswidrig gewesen
       sei. Das Gericht habe zwar nicht ausgeschlossen, dass es dort zu
       individuellen Kindeswohlgefährdungen gekommen sei, aber die für eine
       Schließung notwendige „strukturelle Kindeswohlgefährdung“ nicht erkannt.
       
       In dem genannten Deputationsbeschluss beleuchtet die Bremer Verwaltung auch
       die Chancen der Betroffenen auf Entschädigung. Das Fazit ist ernüchternd.
       Ein Entschädigungsfonds nur für Jugendliche, die in der Haasenburg waren,
       sei aufgrund des Cottbuser Urteils nicht möglich, da dort keine
       strukturelle Gefährdung gesehen wurde. Es gebe auch andere ehemalige Heime
       mit „ähnlicher Geschichte“, eine Verengung auf die Haasenburg könne zu
       „Ungerechtigkeiten“ führen. Bei einer Ausweitung des Adressatenkreises auf
       alle stationär untergebrachten Kinder und Jugendlichen bestünde jedoch die
       Gefahr eines „Generalverdachts“ gegenüber der Kinder- und Jugendhilfe.
       
       Es sei wohl so, teilt die Bremer Behörde weiter mit, dass weder
       Schleswig-Holstein noch Brandenburg und auch nicht die Mehrheit der anderen
       Bundesländer noch eine eigene Lösung für diese Betroffenen anstrebten. Ein
       verbessertes Kinder- und Jugendschutzgesetz, also eine Lösung für die
       Gegenwart und Zukunft, sei vorhanden. Lediglich Einzelanträge nach dem
       Opferentschädigungsgesetz (OEG), bei dem körperliche Gewalt
       „Entschädigungstatbestand“ ist, würden derzeit noch geprüft.
       
       Im Dezember 2023 hatte auch der Landtag Brandenburg seine Landesregierung
       aufgefordert, sich für einen Fonds aller Länder und des Bundes einzusetzen,
       um ehemalige Kinder und Jugendliche zu entschädigen, die seit 1990
       „institutionelle Gewalt in Einrichtungen der Erziehungshilfe“ erfahren
       haben.
       
       ## Linke und Grüne in Bremen drängen weiter auf Lösungen
       
       Auf Nachfrage in Brandenburg teilt das dortige Ministerium für Bildung,
       Jugend und Sport (MBJS) mit, es habe eine „länderoffene Arbeitsgruppe“ zur
       Erarbeitung einer Beschlussvorlage für die Familienministerkonferenz
       initiiert. Auf Nachfrage, ob es zutreffe, dass dieser Entwurf nicht mehr
       aktuell sei, antwortet eine Sprecherin des MBJS, dass Brandenburg diesen
       Entwurf inzwischen in diese Arbeitsgruppe eingebracht habe. „Dieser
       Vorschlag wurde kritisch beleuchtet, das weitere Vorgehen wird geprüft.“
       
       Linke und Grüne in Bremen wollen weiter auf Lösungen drängen. Sollte die
       bundesweite Fondslösung nicht weiterverfolgt werden, wäre das „mehr als
       bedauerlich“, sagte Linken-Fraktionschefin Sofia Leonidakis. Dies gelte
       auch für die externe Studie, sagt auch die Grünen-Sozialpolitikerin
       Sahhanim Görgü-Philipp. Sie habe mit einer Betroffenen aus Bremen
       gesprochen. „Die Berichte sind sehr krass. Das darf es in der Jugendhilfe
       nicht geben. Wir brauchen die Studie, damit so etwas nicht wieder passiert,
       sagt sie. Die Fachabteilung der Behörde schätze die Chancen dafür aber als
       „sehr gering“ ein, so ihr Sprecher.
       
       Unterdessen hat sich Ende Februar in Berlin aus dem Kreis ehemaliger
       Haasenburg-Bewohner und anderer Careleaver der [4][Verein K.I.N.D.]
       gegründet, der sich für Aufklärung und Sensibilisierung einsetzt und „einen
       sicheren Hafen für Betroffene aus dem Kontext freiheitsentziehender
       Maßnahmen“ bieten will. Das Kürzel steht für „Kritische Impulse in der
       Kinder und Jugendhilfe – neuer Dialog“.
       
       ## Alles nur Ausreden
       
       Dessen Vorsitzender Renzo Martinez nennt die Entscheidung Bremens einen
       „Schlag ins Gesicht der Betroffenen“ und die Begründung eine Ausrede. Die
       Stadt München habe gezeigt, dass eine Entschädigung und lokale Aufarbeitung
       auch der jüngeren Heimgeschichte möglich sei. „Wir erleben seit Jahren,
       dass das Thema kurz vor Wahlen politisch instrumentalisiert wird, nur um
       danach wieder in Vergessenheit zu geraten“, sagt Martinez.
       
       Die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Schließung der Haasenburg
       sei kein Argument, die Opfer nicht zu entschädigen, ergänzt die
       Co-Vorsitzende [5][Michaela Heinrich-Rohr]. „Da ging es um
       verwaltungsrechtliche Aspekte zwischen Betreiber und Ministerium. Die Opfer
       spielten keine Rolle.“ Die Ehemaligen litten unter den Langzeitfolgen,
       seien schwer traumatisiert und fänden keine Therapeuten. „Es geht hier um
       eine Gruppe von jungen Menschen, die jetzt konkret Unterstützungsbedarf hat
       und ihn einfach nicht bekommt.“
       
       21 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Konsequenzen-aus-den-Heim-Skandalen/!5883786
   DIR [2] /Schwerpunkt-Haasenburg-Heime/!t5011079
   DIR [3] https://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/2022-04-27_Drs-20-1436_fffb8.pdf
   DIR [4] https://www.facebook.com/Kind.Verein/posts/pfbid02hidu4ZMVFYcQjs9nNwQu54WjMgJwnhWEqetuVEDHwF1WEobWmdpRGvhwBiAAk1iRl
   DIR [5] /Kritik-am-System-der-Jugendhilfe/!6038184
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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