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       # taz.de -- Energiegewinnung aus Abwasser: Untenrum warm
       
       > Aus Abwasser lässt sich nachhaltig Energie gewinnen. Wir klären die
       > Fragen zu einer noch unterschätzten Technologie.
       
   IMG Bild: Da werden die Finger warm: warmes Spülwasser darf Thermalquelle sein
       
       Wie schön das ist: Man dreht einen Hahn auf, Wasser fließt heraus und spült
       alles Unliebsame fort. Mehrfach am Tag lösen wir unsere Probleme auf diese
       Art. Der Schweiß des Tages oder die Reste der Tomatensoße auf dem Teller –
       alles verschwindet im Abfluss. Aus den Augen, aus dem Sinn. 
       
       Schade eigentlich, denn in unserem Flüssigabfall schlummert großes
       Potenzial. Je nachdem, [1][welcher Studie man glaubt], könnten 5 bis 15
       Prozent der in Deutschland benötigten Heizenergie aus Abwasser gewonnen
       werden. Abwasserenergie ist nachhaltig und wirtschaftlich, in Frankreich
       [2][heizt sie gar den Élyséepalast]. Hierzulande wird dieses Potenzial
       bisher kaum genutzt. Zeit also für einen tiefen Blick in den Gully. 
       
       ## 1. Wie wird aus Abwasser nutzbare Energie?
       
       Ob beim Duschen, Geschirrspülen oder beim Wäschewaschen, stets fließt
       warmes Wasser in die Kanalisation ab. Das Abwasser in deutschen Kanälen ist
       so im Schnitt 10 bis 20 Grad warm, sowohl im Sommer als auch im Winter.
       Doch wie kann man die darin enthaltene thermische Energie auch sinnvoll
       verwenden? Hier kommt die Abwasser-Wärmepumpe ins Spiel.
       
       Eine klassische Wärmepumpe saugt Umgebungsluft an. Für die Nutzung von
       Abwasserwärme benötigt man Wärmetauscher. Dabei handelt es sich um
       Metallplatten, mit denen beispielsweise die Kanalisationsrohre ausgekleidet
       werden. Von ihnen gehen Leitungen ab, die mittels einer wärmeübertragenden
       Flüssigkeit die Wärme des Abwassers zu einer Wärmepumpe transportieren.
       Diese setzt die Wärme in Energie um.
       
       Anschließend wird die abgekühlte Flüssigkeit zurück zu den Wärmetauschern
       geleitet, wo der Prozess von vorne beginnt. Auf diese Weise können
       Schwimmbäder, Krankenhäuser oder ganze Wohnkomplexe beheizt werden.
       
       ## 2. Wo kann so Energie gewonnen werden?
       
       Vom heimischen Abfluss aus nimmt unser Abwasser seinen Weg durch die
       Kanalisation, gelangt schließlich zu einem Klärwerk, wo es aufwendig
       gereinigt und schließlich wieder in die Gewässer der Umgebung geleitet
       wird. An jeder Station dieses Weges ist es möglich, dem Abwasser Wärme zu
       entziehen.
       
       Am simpelsten geht das zu Hause, direkt am Siphon, etwa mithilfe spezieller
       Ablaufrinnen in der Dusche. Der Energiegewinn hält sich dort allerdings in
       Grenzen. Für eine effektive Nutzung braucht es größere und stetige
       Durchflussmengen. Wirksames Energierecycling findet deswegen dort statt, wo
       größere Mengen Abwasser zusammenkommen.
       
       Hier stehen zwei verschiedene Methoden zur Auswahl. Entweder zapft man die
       Abwasserwärme im Kanalnetz ab. Dazu werden Wärmetauscher entlang der
       Abwasserrohre verlegt und mit einer Wärmepumpe im Gebäude darüber
       verbunden. So können Gebäudekomplexe mit Energie versorgt werden, die
       direkt im Boden unter ihnen entsteht.
       
       Oder, zweite Möglichkeit: Man holt sich die Energie an den Klärwerken. Das
       hat den Vorteil, dass größere Energiemengen gewonnen werden können als in
       der Kanalisation, weil das gesamte Wasser eines Einzugsgebiets gesammelt
       verarbeitet wird. Allerdings sind nicht alle Klärwerke in der Nähe
       beheizbarer Gebäude.
       
       ## 3. Ist das alles Zukunftsmusik, oder wird das schon irgendwo gemacht?
       
       Bereits heute wird Energie aus Abwasser gewonnen. Bisher handelt sich dabei
       allerdings eher um einzelne Projekte als um eine flächendeckende Strategie.
       In Köln wurden Wärmetauscher in drei Schulen und in einem größeren
       Wohnkomplex verbaut. Etwa fünfzig weitere Projekte stadtweit seien bereits
       angefragt, sagt Ingo Schwerdorf von den Kölner Entwässerungsbetrieben. Dort
       beschäftigt man sich bereits seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema.
       Ähnliche Projekte gibt es auch im Ruhrgebiet, in Berlin, Stuttgart oder
       Bamberg.
       
       Auch die Herangehensweise, Wärme direkt am Klärwerk zu entziehen, wird in
       naher Zukunft zum Einsatz kommen. In Abwasserwerke in Hamburg und Berlin
       werden zurzeit riesige Wärmepumpen eingebaut, die ab 2026 insgesamt etwa
       84.000 Wohnungen mit Abwasserenergie versorgen sollen.
       
       Insgesamt seien wir in Deutschland „bisher noch in der Entwicklungsphase“,
       so Uli Paetzel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft
       (DWA). Bisher seien nur einzelne Modellprojekte umgesetzt, das Volumen der
       Energiegewinnung bisher noch bescheiden. „So richtig beginnt die Umsetzung
       erst ab 2027“, sagt Paetzel.
       
       Im Ausland ist man da schon weiter. Etwa in Belgien, den Niederlanden und
       der Schweiz ist Abwasserwärmenutzung bereits verbreiteter als hierzulande.
       In Frankreich hat die Technologie so viel Prestige, dass sogar das
       Präsidialamt und das Parlament mit Abwasserwärme beheizt werden.
       
       ## 4. Die Technik ist nicht neu. Warum findet der Ausbau erst jetzt statt?
       
       Tatsächlich ist eine Anlage im schweizerischen Basel schon seit 1985 in
       Betrieb, in Bochum wird seit 2008 ein Schwimmbad mit Abwasserwärme beheizt
       und auch die Abwasserbetriebe Köln beschäftigen sich nach eigenen Angaben
       schon seit zehn Jahren mit diesem Thema. Die Technik ist also schon lange
       erprobt. Dennoch blieb es lange bei wenigen Modellprojekten, die
       Abwasserwärme lag im Dornröschenschlaf. Nicht zuletzt, weil CO2-Sparen
       lange keine Priorität war, und es auch finanziell keinen großen Anreiz zum
       Sparen gab.
       
       Größere Aufmerksamkeit erreichte das Thema dann erst in den vergangenen
       Jahren – durch die Energiepreiskrise infolge des russischen Angriffskriegs
       in der Ukraine. „Ohne den Anstieg der Energiepreise wäre die Technik
       vermutlich ein Nischenprodukt geblieben“, sagt Uli Paetzel. „Alle in
       Deutschland haben sich zu lange auf den günstigen Preisen ausgeruht, auch
       wir in der Wasserwirtschaft.“
       
       Das kommunale Wärmeplanungsgesetz schreibt vor, dass alle [3][Kommunen bis
       2045 klimaneutral heizen müssen]. Bis 2028 sind sie verpflichtet, Pläne
       dazu vorzulegen. „Dafür müssen wir vielerorts auf Wärmepumpen umsteigen“,
       sagt Volker Quaschning, Wissenschaftler für regenerative Energiesysteme an
       der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. „Wärme aus der
       Luft zu gewinnen ist allerdings in manchen Gebieten schwierig, etwa in
       dicht besiedelten Städten“, so Quaschning. Deswegen habe in jüngerer Zeit
       auch die Energiegewinnung aus Abwasser eine größere Aufmerksamkeit
       gewonnen.
       
       ## 5. Wo lohnt sich die Energiegewinnung aus Abwasser?
       
       Die Entfernung zwischen Wärmetauschern und Ort der Energienutzung sollte
       relativ kurz sein, idealerweise nicht mehr als 400 Meter. Grund dafür sind
       die benötigten Leitungen. „Längere Leitungen zu bauen, wäre teuer und die
       Energienutzung dann nicht mehr wirtschaftlich“, sagt DWA-Chef Paetzel.
       Siedlungsnahe Klärwerke sind daher besonders gut geeignet.
       
       Neben der Nutzung vor Ort ist es aber auch möglich, die Energie ins
       Fernwärmenetz einzuspeisen und so über weitere Entfernungen nutzbar zu
       machen. Bisher [4][fehlt es allerdings in der Regel an der Infrastruktur].
       Aktuell sind nur circa 15 Prozent der deutschen Haushalte ans Fernwärmenetz
       angeschlossen, und das vor allem in städtischen Regionen. So liegt der
       Anteil an mit Fernwärme versorgten Haushalten in Berlin bei etwa 37
       Prozent, demgegenüber in Rheinland-Pfalz nur bei 5 Prozent.
       
       Ein geringeres Potenzial liegt in der Nutzung der Wärme aus der
       Kanalisation. Damit es sich lohnt, die Wärmetauscher im Kanal unter zu
       beheizenden Gebäuden zu verbauen, muss der Kanal nämlich genug Abwasser
       führen. Das Gebäude darüber sollte zudem einen möglichst hohen
       Energiebedarf haben. So eignen sich etwa große Schulen, Sporthallen,
       Krankenhäuser oder Bürokomplexe. Die Entwässerungsbetriebe stellen dann das
       Kanalnetz zur Verfügung, und mögliche Abnehmer – öffentliche wie private –
       melden sich bei den Betrieben, um für ihre Gebäude Wärmetauscher verlegen
       zu lassen.
       
       Einige Kommunen und Abwasserbetriebe haben dafür bereits digitale Karten
       angefertigt, in denen öffentlich einsehbar ist, wo Kanäle verlaufen, die
       für das Wärmerecycling infrage kommen. [5][Köln], [6][Stuttgart],
       [7][Berlin], [8][Bochum und Essen] sind bereits dabei.
       
       ## 6. Was muss politisch geschehen, damit wir dieses Potenzial heben?
       
       Dass der Ausbau nur langsam anläuft, liegt, so Uli Paetzel, zum einen an
       bürokratischen Schwierigkeiten: In Deutschland sind unterschiedliche
       Akteure für das Abwasser zuständig – Abwasserbetriebe, Stadtwerke,
       Kläranlagen –, und die Aufteilung dieser Zuständigkeitsbereiche ist noch
       dazu regional verschieden. Gute Bedingungen für eine Skalierung sehen
       anders aus.
       
       Und dann ist da noch der Markt. Denn leider reicht es nicht aus, eine gute
       Idee und die passende technische Lösung zu haben. Wer Abwasserenergie
       nutzen will, stößt auf die Tücken der Energiebürokratie und auf
       juristisches Neuland. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat Ende 2024 die
       Initiative NRW.Energy4Climate auf den Weg gebracht, die Frage einheitlicher
       Rahmenbedingungen werde derzeit geprüft, so eine Sprecherin des dortigen
       Wirtschaftsministeriums zur taz. Sobald dies geschehen ist, könnte
       Abwasserenergie in Deutschland systematisch erschlossen werden.
       Nordrhein-Westfalen will bis zum Jahr 2030 erst einmal den Wärmebedarf von
       50.000 Haushalten mit Abwasserenergie decken. Bis 2045 sollen es 200.000
       sein.
       
       An der Wirtschaftlichkeit oder den technischen Möglichkeiten werde der
       Ausbau nicht scheitern, sagt Wasserwirtschaft-Verbandschef Paetzel. Er ist
       sich sicher, dass sein Metier durch die ökologische Transformation an
       Bedeutung gewinnen wird: „Abwasser wird in Zukunft ein wichtiger Faktor in
       der Energiewende werden.“ Dann mal ab unter die Dusche!
       
       22 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.uhrig-bau.eu/wp-content/uploads/2020/11/enervis-studie-energie-aus-abwasser.pdf
   DIR [2] https://www.oeko.de/publikation/was-dem-elysee-palast-recht-ist-ist-dem-ruhrgebiet-billig-fuer-eine-soziale-waermewende-in-ballungsgebieten-mit-abwasser-heizen/?tx_form_formframework%5Baction%5D=perform&tx_form_formframework%5Bcontroller%5D=FormFrontend&cHash=face127f0c062f2208318fd7dc5b0890
   DIR [3] /Klimafreundliches-Heizen/!6049370
   DIR [4] /Klimafreundlicher-Fernwaermeausbau-stockt/!6053296
   DIR [5] https://steb-koeln.de/Redaktionell/ABLAGE/Downloads/Brosch%C3%BCren-Ver%C3%B6ffentlichungen/Abwasser/Abwasserw%C3%A4rmepotentiale/waermekarte_internet_innenstadt.pdf
   DIR [6] https://maps.stuttgart.de/abwasserwaermenutzung/
   DIR [7] https://www.bwb.de/de/urbane-waermewende.php
   DIR [8] https://www.arcgis.com/apps/MapTools/index.html?appid=4f3a0bb060204625ad0afcaf6def37f9
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Henning Giesen
       
       ## TAGS
       
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