# taz.de -- Automuseum PS.Speicher in Einbeck: Ein NS-Industrieboss als Nachkriegsheld
> Niedersachsens Kultusminsterium lobt den PS.Speicher als außerschulischen
> Lernort. Der verschweigt die NS-Geschichte des Autobauers Ernst Heinkel.
IMG Bild: Partner der NS-Luftwaffe: Ernst Heinkel (mit Brille) und der Pilot Ernst Udet (Mitte) nach einem Geschwindkeits-Rekordflug 1938
Oh wie schön war der Heinkel-Kabinenroller! In Einbeck ist man nach wie vor
hingerissen von dem Kompaktfahrzeug, dessen Prototyp 1955 vorgestellt
worden war: Auf Wunsch der Besucher*innen hatte ihn [1][der
PS.Speicher] zum Gegenstand des Monats März gekürt.
Und just in dem hat das niedersächsische Kultusministerium das Oldtimer-
und Erlebnismuseum in die Liste der anerkannten außerschulischen Lernorte
aufgenommen. Weil er die Bildung für nachhaltige Enwicklung fördere.
Und dabei auch die „politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
für die Tüftler und Erfinder“ beleuchte. Sie hoffe, „dass viele Schulen die
Angebote nutzen“, [2][begrüßte Ministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) den
Neueintrag].
Wahr ist: Der Heinkel-Kabinenroller kommt tatsächlich in Sachen Energie-
und Platzeffizienz besser weg als heutige Miniautos. Die Heinkel-Kabine ist
keine 300 Kilo schwer, wiegt also weniger als halb so viel wie ein Smart.
Zwei Erwachsene und anderthalb Kinder passen rein.
## Passagiere und Bomben
Nie hat es ein deutsches Fahrzeug gegeben, das knuffiger und harmloser
aussah. Wer einen Heinkel-Kabinenroller sieht, vergisst, dass es so etwas
wie Panzer hat geben können. Und niemand würde ihm zutrauen, dass es abhebt
wie „Chitty Chitty Bang Bang“, [3][das Wunderauto von Ian Fleming]. Dabei
stammte er, [4][so wie dieser], direkt aus der Schmiede eines deutschen
Industriepartners der Luftwaffe.
Denn das war ja die eigentliche Profession des Ernst Heinkel gewesen. Seine
1922 gegründete Flugzeugfabrik in Rostock hatte sich 1932 bereits zu einem
der größten Industrieunternehmen Norddeutschlands gemausert. In den
folgenden 13 Jahren avancierte Heinkel dann [5][zum größten
Flugzeughersteller Europas].
Seine Maschinen stellten Geschwindigkeitsrekorde auf. Sie brachten
Passagiere genauso zuverlässig wie Bomben ans gewünschte Ziel. Viele kleine
Werke entstanden – eines davon in Zuffenhausen bei Stuttgart.
Dort glückte nach dem Krieg dann dank über die Zeit gerettetem Raubgut
[6][und anderem Kapital] – Ernst Heinkel hat im Stuttgarter Raum von der so
genannten „Arisierung“, also vom Raub jüdischen Eigentums, besonders
profitiert – der ganz und gar friedliche Neuanfang, für den die
Knutschkugel mit Front-Ausstieg das beste Sinnbild ist.
Wer die Filialen der 1940er durchgeht, wird feststellen: Viele dieser
Ortsmarken stehen auch für Kriegsgefangenen- oder Konzentrationslager. Das
ist kein Zufall! Heinkel war auch hier ein Pionier: Als Erster im Reich, ab
1940, noch vor der erzwungenen Umwandlung in eine AG, [7][setzte er
Zwangsarbeiter ein], zum Beispiel, extrem grausam, zum Testen der von ihm
erfundenen Schleudersitze.
Das Lager in Bad Gandersheim-Brunshausen, [8][keine 25 Kilometer vom
außerschulischen Lernort PS.Speicher entfernt], war sogar eigens für die
Heinkel AG eingerichtet worden. Häftlinge aus Buchenwald, Sachsenhausen und
Dachau wurden dort ab Sommer 1944 zusammengezogen, um an in Polen geraubten
Maschinen Flugzeugrümpfe herzustellen.
Am 5. April vor 80 Jahren wurde es aufgelöst. In der Hochphase waren dort
584 Männer inhaftiert. Höchstens 200 von ihnen haben das Kriegsende erlebt.
## Nachhaltiges Vergessen
In Heinkels Erfindungen der 1950er-Jahre spielte das Thema Zwangsarbeit
keine Rolle mehr, weder beim Kabinenroller, laut PS.Speicher seinem
Meisterwerk, noch in seiner gleichzeitig entstandenen Autobiografie, deren
Ziel nachhaltiges Vergessen ist.
Wie, das lehrt der außerschulische Lernort in Einbeck: „Nach dem Zweiten
Weltkrieg“, so erzählt er die Geschichte, „sah die Welt für viele deutsche
Industriebetriebe ganz anders aus – so auch für die Ernst Heinkel AG.“
Denn „der berühmte Flugzeughersteller durfte aufgrund der alliierten
Auflagen zunächst keine Flugzeuge mehr bauen“. Warum, verschweigt der
Museumstext. „Doch Not“, setzt er stattdessen fort, „macht erfinderisch.“
Und nach dem Krieg die Not, die war vielleicht groß!
Und also auch Ernst Heinkels „Kreativität, Erfindergeist und Mut“: Noch bis
31. März können Besucher*innen und Schulklassen die Heinkel-Kabine im
Foyer des PS.Speichers daher „aus nächster Nähe anschauen“ und dabei „tief
in die spannende Geschichte dieses Nachkriegshelden eintauchen“. Aber zu
tief lieber doch nicht.
27 Mar 2025
## LINKS
DIR [1] https://tuttle.taz.de/!5960450&s=einbeck+PS+Speicher&SuchRahmen=Print//
DIR [2] https://www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/ps-speicher-einbeck-wird-81-ausserschulischer-lernstandort-in-einer-bildung-fur-nachhaltige-entwicklung-alo-bne-240205.html
DIR [3] https://en.wikipedia.org/wiki/Chitty-Chitty-Bang-Bang
DIR [4] http://cartone.easypoint.pl/informacje/c10_Motohistoria/a4_louis-vorow-zborowski-i-chitty-chitty-bang-bang.html
DIR [5] https://www.romanfroehlich.de/hallo-3/
DIR [6] https://schwaebischer-heimatbund.de/ausgrenzung-raub-vernichtung-ns-akteure-und-volksgemeinschaft-gegen-die-juden-in-wuerttemberg-und-hohenzollern-1933-bis-1945/
DIR [7] https://tuttle.taz.de/!1216178&s=zwangsarbeit+heinkel&SuchRahmen=Print//
DIR [8] https://www.aussenlager-buchenwald.de/details.html?camp=5
## AUTOREN
DIR Benno Schirrmeister
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