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       # taz.de -- Büro für planetare Verteidigung: „Ein Einschlag auf dem Mond wäre ein gigantisches Spektakel“
       
       > Welche Gefahr geht von natürlichen Objekten im All für die Erde aus?
       > Physiker Richard Moissl erklärt, was hauptberufliche
       > Asteroidenjäger machen.
       
   IMG Bild: Als 1908 mutmaßlich ein Asteroid in Sibirien einschlug, hielten selbst massive Bäume der Welle des Einschlags nicht stand
       
       taz: Herr Moissl, Sie arbeiten im Büro für planetare Verteidigung der
       [1][Europäischen Weltraumorganisation ESA]. Das klingt, als könnten wir
       jederzeit angegriffen werden. Gegen wen oder was verteidigen Sie uns da? 
       
       Richard Moissl: Gegen natürliche Objekte aus dem Weltall. Bei uns arbeiten
       hauptberufliche Asteroidenjäger – also Astronomen, die erdnahe Asteroiden
       suchen, beobachten und verfolgen. Außerdem berechnen Mathematiker mithilfe
       eines riesigen Computersystems die Bahnen aller bekannten erdnahen
       Asteroiden auf 100 Jahre im Voraus. Mit allen physikalischen Effekten und
       allen Unwägbarkeiten. Drittens beschäftigen wir uns besonders mit
       Asteroiden, die wirklich eine Gefahr darstellen. Hier informieren wir die
       Öffentlichkeit und diejenigen, die etwas tun müssten.
       
       taz: Mal ganz grundsätzlich: Wie hoch ist die Gefahr, dass wir durch einen
       [2][Asteroiden] einfach aussterben, so wie es den Dinos passiert ist? 
       
       Moissl: Das können wir für die nächsten 100 Jahre im Prinzip ganz
       ausschließen. Auf sehr großen Zeitskalen von zwei bis dreistelligen
       Millionen Jahren muss durchaus mit einem Ereignis gerechnet werden wie dem,
       das vor circa 65 Millionen Jahren den Chickxulub-Krater verursacht und das
       Ende der Dinosaurier besiegelt hat.
       
       taz: Wie viele Asteroiden gibt es in der Nähe der Erde? 
       
       Moissl: Knapp 38.000, von denen die meisten harmlos sind. Immer dann, wenn
       die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags innerhalb der nächsten 100 Jahre
       nicht gleich null ist, kommen Asteroiden auf eine spezielle Risikoliste –
       egal, wie klein sie sind. Derzeit stehen darauf etwa 1.800.
       
       taz: Vergangenen Dezember hieß es, der Asteroid 2024 YR4 würde am
       22.12.2032 möglicherweise auf der Erde einschlagen. Inzwischen hat die ESA
       klargestellt, dass er vorbeifliegen wird. Warum wussten Sie das nicht
       früher? 
       
       Moissl: Das ist ein typischer Effekt. Asteroiden befinden sich in einer
       Umlaufbahn um die Sonne. Wenn man einen von ihnen entdeckt, hat man
       zunächst nur einen kleinen Teil von einer großen Bahn um die Sonne
       ausgemessen. Welche Bahn er ganz genau fliegt, kann man durch so eine
       Momentaufnahme noch nicht mit genügend Präzision bestimmen. Das heißt, es
       gibt meistens zuerst einen riesengroßen Bereich, wo ein Asteroid sich Jahre
       später befinden kann. Wenn die Erde sich nun in diesem Bereich befindet,
       ist die Einschlagwahrscheinlichkeit nicht gleich null. Je besser wir den
       Asteroiden und seine Bewegungen verstehen, desto genauer können wir seine
       Position zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft vorhersagen.
       Schlussendlich sinkt die Einschlagwahrscheinlichkeit oft auf null – nämlich
       immer dann, wenn wir wissen, dass sich die Erde außerhalb des
       Möglichkeitsraums befindet.
       
       taz: Asteroiden – so auch YR4 – entdecken Sie [3][mithilfe von Teleskopen].
       Aber wie finden Sie dann mehr heraus? 
       
       Moissl: Für unsere Teleskope ist der Asteroid erst mal nur ein winziger
       Punkt, der sich bewegt und nicht wie ein Stern fest am Himmel steht. Dass
       wir ihn überhaupt sehen, liegt daran, dass er das Licht der Sonne
       reflektiert. Die Entfernung können wir bestimmen, indem wir mehrere
       Positionen erfassen. Für physikalische Eigenschaften wie den Durchmesser
       müssen wir jedoch immer erst mal mit Schätzwerten arbeiten.
       
       taz: YR4 wird von der NASA auf grob 60 Meter Durchmesser geschätzt. Wann
       sind zuletzt Asteroiden ähnlicher Größe [4][auf der Erde eingeschlagen]? 
       
       Moissl: Da gibt es zwei prominente Beispiele von Asteroiden mit Größen von
       rund 50 Metern Durchmesser. Ein Objekt ist wohl 1908 über Sibirien in die
       Erdatmosphäre eingedrungen. Von der Beschaffenheit her war das ein Haufen
       Geröll, der im Weltraum fast nur durch Kohäsionskräfte wie eine Blase
       zusammengehalten wurde. Nach dem Eintritt in die Atmosphäre wurde er
       zerrissen und hat eine Druckwelle erzeugt, die ein ungefähr 2.000
       Quadratkilometer großes Waldgebiet eingeebnet hat. Das entspricht in etwa
       der Fläche einer Großstadt. Gott sei Dank geschah das in einer sehr gering
       bevölkerten Gegend. Es sind keine Todesfälle überliefert. Leider war man
       erst 20 Jahre später für Untersuchungen vor Ort und das Material war
       bereits so verwittert, dass es nicht mehr zu identifizieren war. Das zweite
       prominente Beispiel geschah wohl vor circa 50.000 Jahren in Arizona. Der
       Asteroid hatte einen massiven, eisenhaltigen Körper und hat einen 1,2
       Kilometer großen Krater in die Landschaft gehauen. Er hat durch die
       Druckwelle ebenfalls die Fläche einer Großstadt zerstört. Deshalb sind 50
       Meter Größe bei einem Asteroiden für uns ein wichtiger Marker. Wenn eine
       solche Fläche zerstört werden kann, ist es ernst.
       
       taz: Wie sähe eine Stadt wie Berlin oder London aus, nachdem dort ein 50
       Meter großer Asteroid eingeschlagen ist? 
       
       Moissl: Das hängt im Wesentlichen von der Zusammensetzung und den
       Materialeigenschaften eines Asteroiden ab. In beiden Fällen wäre in einem
       Radius von mehr als 10 Kilometern mit einer lebensgefährlichen Druckwelle
       sowie starker thermischer Strahlung zu rechnen. Da würde man nicht sein
       wollen.
       
       taz: Sie geben die potenzielle Gefahr auf einer Skala an. 
       
       Moissl: Die Turiner Skala ist für die allgemeine Bevölkerung gedacht. Sie
       geht von 0 bis 10 und nutzt eine Art erweitertes Ampelschema. Sie
       verrechnet die Einschlagwahrscheinlichkeit und den erwartbaren Schaden. Die
       allermeisten Asteroiden tummeln sich bei null, da gibt es keinerlei
       Handlungsbedarf. Eine Einordnung bei 1 und 2 bedeutet für uns, dass es
       Priorität hat, zu diesem Asteroiden mehr Daten zu gewinnen. Ab Stufe 3
       könnte ein Asteroid mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent oder
       mehr wirklich gefährlich werden. Eine so hohe Einordnung ist sehr selten.
       Zum Beispiel wurde ein Asteroid im Jahr 2004 auf Stufe 4 eingestuft, aber
       nur für vier Tage. 2025 hat der bereits erwähnte YR4 zwei Rekorde
       gebrochen: Er war der erste Asteroid auf Stufe 3 und der Asteroid, der am
       längsten höher als Stufe 1 durchgehalten hat.
       
       taz: Nun ist klar, dass YR4 nicht auf der Erde einschlagen wird, aber mit
       einer Wahrscheinlichkeit von 2 Prozent auf dem Mond. Was würde das für uns
       bedeuten? 
       
       Moissl: Sollte es dazu kommen, wäre das ein gigantisches Spektakel. Er
       würde auf der von der Erde aus beobachtbaren Seite einschlagen. Das gäbe
       zuerst einen großen Blitz und dann könnte man die Wolke beobachten, die
       durch den Auswurf von der Kraterbildung entsteht. Einige Tage später gäbe
       es enorm viele Sternschnuppen und viele kleine Meteoriten, von denen wir
       aber nicht erwarten, dass sie ernsthaft gefährlich werden würden. Natürlich
       sollte gerade dann kein Astronaut auf dem Mond herumspazieren. Wir erwarten
       aber, dass sich die Wahrscheinlichkeit ähnlich wie bei der Erde entwickeln
       wird, also am Ende zu null wird. Im Jahr 2028 tritt er wieder in den für
       uns beobachtbaren Raum ein und wir können weitere Daten sammeln.
       
       taz: Die ESA führt bereits eine Mission durch, um potenziell gefährliche
       [5][Asteroiden im Weltall herumzuschubsen], damit sie auf eine andere Bahn
       gelangen. Das klingt ziemlich unvorstellbar. Wie läuft so was ab? 
       
       Moissl: 2021 startete eine Raumsonde und beeinflusste mit einem Schubs 2022
       einen kleinen Asteroiden in seiner Bahn um den größeren Asteroiden. Die
       Raumsonde ist in den kleinen Asteroiden reingekracht und naturgemäß
       komplett pulverisiert. Kurz nach ihrem Ende hat der nur aktengroße
       italienische LiciaCube, der von der Mission als Passagier mitgenommen
       wurde, noch ein paar atemberaubenden Bilder von der entstandenen Staubwolke
       gemacht. Aber vieles konnte eben nicht im Detail beobachtet werden. Deshalb
       haben wir letztes Jahr die ESA-Raumsonde Hera gestartet und wollen nun ganz
       genau wissen: Was ist jetzt mit dem Asteroiden im Detail passiert? Wie hat
       er sich verändert?
       
       taz: Das klingt sehr teuer, wenn voraussichtlich erst mal nichts passiert.
       Lohnt sich das überhaupt? 
       
       Moissl: Wir können für die nächsten 100 Jahre zwar Einschläge von Objekten
       mit mehreren Kilometern Durchmesser ausschließen, aber nicht für Objekte
       von unter einem Kilometer. Es ist also bei Weitem nicht gesagt, dass
       „nichts passiert“. Ein Asteroideneinschlag über bewohntem Gebiet führt auch
       bei einem Durchmesser von nur 20 Metern zu sogenannter lokaler Zerstörung.
       Dagegen sind Raumsonden zur Aufklärung und Abwehr verhältnismäßig günstig.
       
       6 Apr 2025
       
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