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       # taz.de -- Debütroman von Christoph Kramer: Sommermärchen in der Großdisco
       
       > Ex-Nationalspieler Christoph Kramer hat ein Buch geschrieben. Wäre es ein
       > Fußballspiel, würde sein Autor ihm Tändelei mit dem Ball vorwerfen.
       
   IMG Bild: 2006 trug Chris im Roman Podolskis Trikot. 2014 wurde sein Autor mit Podolski Weltmeister
       
       Debbie war die Schönste überhaupt und im Lateinkurs sowieso. Der arme Chris
       dagegen ist nichts weiter als ein fußballverrückter Junge mit jeder Menge
       Pickel auf dem Rücken. Er ist bis über beide Ohren verliebt, glaubt er
       zumindest. Seine Mutter hatte es immer gesagt. Ob es Liebe ist, merke man
       erst, wenn sie einen wirklich erwischt. Und den armen Chris hat es
       erwischt. Es kommt zum ersten Kuss. Im Kino.
       
       Moment mal! Wovon reden wir hier eigentlich? Von der 2.576sten Folge einer
       Telenovela, einem kitschigen Fußballmanga oder der Foto-Lovestory aus der
       Bravo? Und wieso hier im Feuilleton einer Tageszeitung, die doch eigentlich
       ernst genommen werden möchte? Es geht um „Das Leben fing im Sommer an“, den
       Erstling von Christoph Kramer, der gerade bei Kiepenheuer & Witsch
       erschienen ist.
       
       Gut möglich, dass sich das Buch gut verkauft. Der Autor ist schließlich
       preisgekrönt. Er ist sogar Weltmeister, gehört 2014 zum [1][Aufgebot des
       Deutschen Fußball-Bunds,] das in Brasilien den WM-Titel gewonnen hat. Heute
       ist er 34, wäre wahrscheinlich immer noch gerne Fußballprofi, erklärt als
       Experte [2][überaus eloquent] und enervierend gut gelaunt für das ZDF den
       Nationalmannschaftsfußball, ist regelmäßiger Gast in einschlägigen Podcasts
       und jetzt eben auch Romanautor.
       
       Ob er was zu sagen hat? Nun ja, Jungsdinge eben. Wahrscheinlich über sich
       selbst. Chris Kramer heißt der Icherzähler und ist 15. Er ist irgendwie
       anders. Er trinkt keinen Alkohol, und Drogen nimmt er schon gar nicht.
       Klar, er will Fußballprofi werden. Aber irgendwie süß soll er wohl
       rüberkommen, ist ein wenig gefallsüchtig, so wie der TV-Experte Kramer eben
       auch. Ist das vielleicht eine Botschaft? Dass man auch drogenfrei zur
       großen Liebe finden kann? Puh!
       
       ## Der Typ mit dem Halstattoo
       
       Aber da ist ja dann noch der Bruch in der Geschichte. Vielleicht macht die
       ja das Ding von der Schmonzette zur Literatur. Debbie knutscht schon am
       nächsten Tag mit einem anderen Typen, einem mit chinesischen Schriftzeichen
       als Tattoo auf dem Hals. O Gott! Der verzweifelte Chris und sein Freund
       Johnny machen sich mit einen gestohlenen Auto auf den Weg zu einer
       Großdisco in der Großstadt Düsseldorf. Klar, was ein echter
       Coming-of-Age-Roman sein will, kommt nicht ohne Roadtrip aus.
       
       Es geht alles gut aus – natürlich. Am Ende hat keiner so recht gemerkt,
       dass da zwei Bubis eine illegale Autofahrt unternommen hatten. Es hätte ja
       auch nichts passieren dürfen, sonst wäre der eigentlich so grundgütige
       Chris vielleicht doch nicht Weltmeister geworden zusammen mit [3][Lukas
       Podolski,] in dessen Trikot er in jenem Heim-WM-Sommer 2006 unterwegs ist.
       Ach ja, die Barkeeperin aus der Düsseldorfer Disco wird später die Ehefrau
       von Chris. Auch das noch!
       
       Oder ist das alles echt? Klar, man würde dem Autor diese Frage gerne
       stellen. Weil es aber schwer ist, einen gut vermarkteten Fußballweltmeister
       zu befragen, schickt der Verlag das Buch für die Rezensenten mit einem
       „exklusiven Interview“. Da erzählt Christoph Kramer, dass er einfach mal
       ein Buch schreiben wollte, das er selber auch kaufen würde. Sollten es
       andere kaufen? Seine Fans sowieso.
       
       ## Der Duft ihrer Haare
       
       Derer hat er viele. Die stören sich vielleicht nicht an den klischeehaften
       Schilderungen des ersten Kusses von Klein Chris, des Duftes ihrer Haare.
       Oder an nicht ganz so stimmigen Sätzen wie: „Hoffentlich hatte Debbie
       nicht gemerkt, dass ich sie angaffte wie ein Häftling, der nach
       lebenslanger Gefangenschaft das erste Mal wieder eine Frau sah.“
       
       Und sonst so? Am Ende steht die doch ein wenig unangenehme Botschaft, dass
       man alles schaffen kann, wenn man es nur möchte. Fußballweltmeister kann
       man werden, aber eben auch Schriftsteller. Aber bevor jetzt alle, die mal
       eine Jugend gehabt haben, anfangen, Bücher darüber zu schreiben – ganz so
       einfach ist das nicht. Einen solchen Roman bei einem Verlag wie Kiepenheuer
       & Witsch unterzubringen, der doch eigentlich ernst genommen werden möchte,
       das schafft man wohl nur, wenn man mal eine Fußball-WM gewonnen hat.
       
       7 Apr 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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