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       # taz.de -- Neuer Regierungschef für Serbien: Ein „Medizinmann“ soll es richten
       
       > Serbiens Präsident Vučić benennt den Endokrinologen Djuro Macut als
       > Premier. Er soll helfen, Proteste und renitente Professoren in den Griff
       > zu bekommen.
       
   IMG Bild: Anti-Regierungsprotest vor dem Parlament in Belgrad am 15. März
       
       Belgrad taz | Wer ist der neue Ministerpräsident Serbiens? Eigentlich
       unwichtig. Alle Entscheidung trifft ohnehin im Alleingang Staatschef
       Aleksandar Vučić. Und das, obwohl der Regierungschef laut der serbischen
       Verfassung formal die wichtigste politische Figur im Land ist.
       
       Interessant ist jedoch, für wen sich Vučić entschieden hat, um seine
       Anweisungen durchzusetzen. Derzeit herrscht die größte politische Krise,
       seit der Autokrat vor dreizehn Jahren die Macht ergriffen hat. Der
       vorherige Regierungschef von Vučićs Gnaden war [1][unter dem Druck von
       Studentenprotesten] vor zwei Monaten zum Rücktritt gezwungen worden.
       
       Der Auserwählte heißt Djuro Macut und ist ein angesehener Endokrinologe,
       Chef der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und Stoffwechselstörung an
       der Belgrader Universitätsklinik, Professor an der Medizinischen Fakultät
       in Belgrad, Gastprofessor in Griechenland und Nordmazedonien sowie aktiv in
       der Europäischen Gesellschaft für Endokrinologie.
       
       Alles in allem hatte er bisher eine tadellose berufliche Laufbahn. Ihn wird
       das Parlament, in dem Vučić die absolute Mehrheit kontrolliert, ins Amt
       wählen. „Ich war nie Mitglied einer politischen Partei“, erklärte der Arzt
       zu Jahresbeginn. Alles, was er erreicht habe, verdanke er nur sich selbst.
       
       ## Mit sauberer Weste
       
       Genau so einen braucht Vučić an der Spitze der Regierung. Jemanden mit
       einer sauberen Weste, zu einem Zeitpunkt, an dem die regierende Garnitur
       wegen endemischer Korruption massiv an Popularität verliert. Alle Minister
       wird der Neue ja nicht austauschen können.
       
       Auch Vučićs regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) büßte deshalb
       massiv an Popularität ein. Als eine Art Rebranding seiner Machtstruktur, um
       sich von der zum Teil verhassten SNS zu distanzieren, gründete der
       Staatschef unlängst die Bewegung für Volk und Staat, der „alle anständigen
       Patrioten“, „die klügsten Köpfe Serbiens“ beitreten sollen. Prof. Dr. Macut
       war einer der Initiatoren der eigenartigen Organisation, die neben der SNS
       auch Vučić als ein paralleles Instrument der Machtausübung dienen soll.
       
       Notfalls könnte er nun auch aus der SNS aussteigen, die Bewegung als eine
       politische Partei registrieren und auf deren Flügeln mit den treuesten
       Mitläufern seine politische Laufbahn fortsetzen. Um das Image des Regimes
       aufzupolieren, läuft in Serbien derzeit eine relativ breit angelegte Aktion
       gegen Korruption, die auch SNS-Mitglieder trifft, allerdings den politisch
       „bedeutungslosen Kleinkram“. Das führt zu Unzufriedenheit in der Partei,
       deren Mitglieder sich bisher für vom Gesetz unantastbar hielten.
       
       Macut ist auch deshalb geeignet, den Ministerpräsidenten zu spielen, weil
       es das Regime seit vier Monaten nicht schafft, den Protest der Studenten
       kleinzukriegen. Sie blockieren alle serbischen Universitäten und sind der
       treibende Motor des Aufstandes gegen Vučić.
       
       ## Böses Märchen
       
       Deshalb geht das Regime nun gegen Universitätsprofessoren vor, die sich mit
       großer Mehrheit hinter ihre Studenten gestellt haben. Gleichgeschaltete
       Medien verbreiten [2][das böse Märchen von einem „kriminellen
       Professorenklan“], Regierungsvertreter bezeichnen etwa den Rektor der
       Belgrader Universität, Vladan Dokić, als „Antlitz des Bösen“. Regimenahe
       „Analysten“ entlarvten ihn als einen britischen Spion.
       
       Auch Vučić selbst sparte nicht mit Beleidigungen auf Dokićs Kosten und der
       Dekanin der Philosophischen Fakultät in Niš Natalija Jovanović, die er als
       eine antiserbische „Kriminelle“ und als Teil der „Dreifaltigkeit des Bösen“
       bezeichnete. Daraufhin wurde Jovanović von einer psychisch labilen Frau auf
       der Straße angegriffen und mit einem Messer an der Hand verletzt.
       
       Um ungehorsame Professoren zu disziplinieren, werden ihnen auch ihre
       Gehälter nicht mehr ausgezahlt. Nicht einer der Parteisoldaten von Vučić,
       sondern Professor Macut soll nun als einer der „guten“ Professoren seine
       rebellierenden Kollegen in den Griff bekommen. Das wird wohl seine
       wichtigste Aufgabe als Ministerpräsident sein.
       
       7 Apr 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andrej Ivanji
       
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