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       # taz.de -- Visuelle Gewalt der Rechten: Zynismus und lustvolle Unmoral
       
       > Zynismus ist Teil der Provokation der Rechten in den sozialen Medien. Das
       > Video zu Migration der US-Ministerin für Innere Sicherheit zeigt das
       > unverhohlen.
       
   IMG Bild: US-Heimatschutzministerin Kristi Noem während eines Rundgangs durch das Gefängnis in Tecoluca, El Salvador, am 26.3.2025
       
       Entschlossen steht sie da, figurbetontes weißes Oberteil, sorgfältig
       gestylte Haare, Rolex ums Handgelenk, harter Blick – vor inhuman
       überfüllten Gefängniszellen. Hinter den Gittern sind dicht gedrängte
       Männerkörper zu sehen, die Haare geschoren, manche tätowiert, viele mit
       nacktem Oberkörper, auf Betten übereinander gestapelt. Das Ende März
       veröffentlichte und seitdem viel diskutierte Video von Kristi Noem, der
       Ministerin für Innere Sicherheit der USA, trägt eine furchteinflößende
       Drohung an Migranten: „Geht jetzt, oder ihr landet hier.“
       
       Bewusst spielt sie als Frau dabei auch mit erotischen Machtassoziationen
       und Dominanzfantasien. Unweigerlich muss man wahlweise an die
       Konzentrationslager der NS‑Zeit oder Lynndie England im
       Abu-Ghraib-Gefängnis denken – Dutzende Memes gingen diesen Assoziationen
       nach.
       
       Was das Video so erschütternd macht, ist die Tatsache, dass nicht einmal
       versucht wird, die Unmenschlichkeit zu verbergen. Die Gewalt trägt keine
       Maske mehr. Die moralische Grenzüberschreitung wird nicht kaschiert –
       sondern sogar zelebriert. Denn Noem hat dieses Video nicht nur zur
       Abschreckung gepostet. Sie präsentiert es vor allem ihren eigenen Anhängern
       als Einladung, sich an der Härte und Entwürdigung visuell zu berauschen –
       vor den Augen der Öffentlichkeit.
       
       In dem Gefängnisvideo zeigt sich ein Zynismus, wie ihn [1][Peter
       Sloterdijk] bereits 1983 in seiner „Kritik der zynischen Vernunft“ als
       Bewusstseinszustand der 1920er und 30er Jahre beschrieben hat: „als
       aufgeklärtes falsches Bewusstsein“. So traurig wie besorgniserregend es
       auch sein mag: Erst heute scheint der Höhepunkt zynischer Vernunft
       erreicht. Sloterdijks Buch ist eine der treffendsten Beschreibungen unserer
       Gegenwart – fast 50 Jahre nach seinem Erscheinen.
       
       ## Soziale Medien geben dem Zynismus eine Bühne
       
       Warum? Soziale Medien haben dem Zynismus eine neue Bühne gegeben. Sie
       befeuern ihn durch die Verkürzung komplexer Themen auf plakative Bilder,
       die algorithmische Belohnung polarisierender Inhalte und die
       Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Informationen, was Maßstäbe
       relativiert und entsprechend Demoralisierung befördert.
       
       Noems Video nutzt diese Mechanismen perfekt. Es reduziert das komplexe
       Thema Migration auf ein einfaches Bild von Inhaftierung, polarisiert durch
       unverhohlene Instrumentalisierung menschlichen Leids und normalisiert eine
       Kommunikationsform, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre.
       
       Auf den ersten Blick schien unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren
       eine moralische Wende zu vollziehen. Themen wie Inklusion, Diversität und
       Klimaschutz dominierten den öffentlichen Diskurs. Doch parallel dazu hat
       sich eine Gegenbewegung formiert, die sich bei aller Heterogenität in ihrer
       zynischen Verweigerung manifestiert.
       
       ## Linke sind in den Augen der Rechten „Moralisten“
       
       Der moderne politische Zynismus, wie er im Gefängnisbild virulent wird,
       lehnt jede Moral demonstrativ ab, indem Tabus verletzt werden. „Keep
       posting it. Leftists hate this video so much“, kommentierte ein X-User den
       Post von Noem. Hier wird deutlich, was viele Rechte unter „Leftists“
       eigentlich verstehen: nämlich Moralisten. Gegen solche gehen sie als
       Zyniker mit ihrer enthemmten Unmoral in Stellung.
       
       Problematisch am digitalen Zynismus ist aber auch: Er ist im Kern
       kommunikationsverweigernd. Das Video ist keine Einladung zum Gespräch,
       sondern lediglich zur Reaktion. Die ausgelösten Reaktionen mögen entweder
       empört oder zustimmend sein, ein Austausch wird daraus nie entstehen. Die
       Botschaft des Gefängnisbildes lautet nicht: „Lasst uns über
       Migrationspolitik diskutieren“, sondern: „So sieht unsere Härte aus – seid
       beeindruckt oder entsetzt.“
       
       Die sozialen Medien haben neue Möglichkeit zum Dialog geschaffen. Der
       digitale Zynismus nutzt die Infrastruktur paradoxerweise dazu, um genau
       diesen Dialog zu unterlaufen. Er täuscht Kommunikationsbereitschaft vor,
       während er tatsächlich nur Reaktionen provoziert – eine perfide
       Weiterentwicklung des Zynismus im digitalen Zeitalter.
       
       8 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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