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       # taz.de -- Demonstrationen in der Türkei: Studis setzen Proteste fort
       
       > In Istanbul demonstrieren erneut Tausende gegen die Regierung. Die
       > oppositionelle CHP und deutsche Politiker fordern stärkere Positionierung
       > der EU.
       
   IMG Bild: Student:innen protestieren aus Solidarität mit ihren Kommilitonen, die inhaftiert wurden. Instanbul, 8.4.2025
       
       Istanbul taz | Die siebzehn größten Istanbuler Universitäten riefen und
       alle kamen. Mit einer Großdemonstration in Kadıköy am Dienstagabend
       beendeten die StudentInnen Istanbuls die durch die Feiertage in der letzten
       Woche bedingte Protestpause. Wer erwartet hatte, dass die Proteste langsam
       einschlafen würden, sah sich getäuscht.
       
       Trotz massiver Strafandrohungen versammelten sich tausende StudentInnen am
       Fähranleger in Kadıköy und forderten wahlweise „Demokratie und
       Gerechtigkeit“, die Freilassung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem
       İmamoğlu oder den Rücktritt von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
       
       Trotz eines großen Polizeiaufgebots blieb es bis zum Ende der Veranstaltung
       friedlich. Das war bei den Protesten vor dem Istanbuler Rathaus [1][vor gut
       einer Woche] noch ganz anders. Immer wieder hatte die Polizei die
       DemonstrantInnen mit Tränengas und Wasserwerfern angegriffen, rund 2000
       waren vorübergehend festgenommen, 300 in Untersuchungshaft gesteckt worden.
       
       In einem Schnellverfahren hat die Istanbuler Staatsanwaltschaft bereits in
       819 Fällen Anklage erhoben. Wegen der Teilnahme an verbotenen
       Demonstrationen und Beleidigung des Präsidenten fordern die Staatsanwälte
       Strafen bis zu 3 Jahren Haft. In einigen wenigen Fällen werden sogar 5 und
       9 Jahre Haft gefordert.
       
       ## CHP ruft zu Demonstrationen auf
       
       Auch gegen den Vorsitzenden der oppositionellen CHP, Özgür Özel, geht
       Erdoğan jetzt juristisch vor. Seine Anwälte erstatteten Anzeige wegen
       Präsidentenbeleidigung, weil Özel Erdoğan in seiner Rede auf dem Parteitag
       der CHP am Sonntag als „Juntachef“ bezeichnet hatte.
       
       Davon völlig unbeeindruckt hat die CHP für Mittwochabend ebenfalls wieder
       zu einer Demonstration für die Freilassung İmamoğlus aufgerufen. Sie soll
       im Stadtteil Sisli stattfinden, weil der dortige CHP-Bezirksbürgermeister
       wie zuvor İmamoğlu wegen angeblicher Korruption vom Amt suspendiert und
       durch einen staatlichen Zwangsverwalter ersetzt wurde.
       
       Außerdem will die CHP am Wochenende eine Serie von Großveranstaltungen quer
       durchs Land starten, die in Samsun am Schwarzen Meer beginnen werden. „Wir
       werden so lange auf die Straße gehen, bis İmamoğlu wieder frei ist und der
       Präsident vorgezogenen Neuwahlen zustimmt“, sagte Özel am Sonntag. „Aber
       Erdoğan hat Angst vor Wahlen, Angst vor seinen politischen Kontrahenten und
       Angst vor der Nation!“
       
       ## Opposition wünscht sich mehr Unterstützung von der EU
       
       Mittlerweile sind auch erste internationale Solidaritätsbesuche in Istanbul
       angelaufen. Im Rahmen einer Veranstaltung des deutschen Städtetages mit
       türkischen Kommunen waren die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin
       Henriette Reker, der [2][Hannoveraner OB Belit Onay (Grüne)] und der Bremer
       Bürgermeister und Ministerpräsident Andreas Bovenschulte (SPD) in der
       Stadt.
       
       Henriette Reker besuchte Dilek İmamoğlu, die Frau des inhaftierten Ekrem
       İmamoğlu, und berichtete anschließend, die Familie sei sehr enttäuscht von
       den zurückhaltenden Reaktionen auf die Verhaftung in Europa. „Sie fühlen
       sich sehr im Stich gelassen, weil sich keine internationale Stimme wirklich
       dagegen erhebt“, sagte Reker gegenüber der Deutschen Presseagentur.
       
       Dieselbe Botschaft bekam auch eine hochrangige Delegation der Grünen in
       Istanbul und Ankara vermittelt. Wie [3][Co-Parteichef Felix Banaszak]
       gegenüber deutschen Journalisten in Istanbul sagte, zeigten sich alle
       VertreterInnen der Zivilgesellschaft, mit denen sie sprechen konnten, „sehr
       enttäuscht, dass von Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen
       nicht mehr Unterstützung kommen würde“. Auch Terry Reintke, die grüne
       Fraktionschefin im EU-Parlament, die Banaszak begleitete, meinte, die
       Reaktion von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sei bislang „sehr
       mau gewesen“.
       
       „Es wäre wichtig, dass von der Leyen sich deutlich positioniert“, sagte
       Reintke weiterhin. Die Grünen, wie die deutschen BürgermeisterInnen und vor
       ihnen schon drei Bürgermeister aus dem europäischen Städtenetzwerk
       Eurocities, hatten versucht, İmamoğlu im Gefängnis zu besuchen. Alle
       Anfragen wurden jedoch abgelehnt.
       
       9 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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