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       # taz.de -- Die Wahrheit: Spritzen, nichts als Spritzen!
       
       > Tagebuch einer Selbstauflöserin: Wie wäre es, derzeit peinliche
       > Großmäuler befiele eine kollektive Spritzenphobie? Traumhaft, sie wären
       > endlich still.
       
       Im Frühling, wenn die Tage wieder länger werden, überfällt manche Menschen
       der unerklärliche Drang, ihre vertraute Umgebung auf den Kopf zu stellen,
       wie wild Reinigungsmittel zu verteilen und überall Staub zu saugen und
       herumzuwischen. Das nennt der Volksmund dann Frühjahrsputz.
       
       Da mein Haushalt in einem moderaten Ganzjahresrhythmus gereinigt wird, bin
       ich gegen solcherlei Aktivismus gefeit, im Ausgleich widme ich mich anderen
       Bereichen der Pflege; so ballen sich im März und April meine jährlichen
       Termine zu persönlichen ärztlichen Wartungsarbeiten. Klaglos macht mein
       Körper von der Zahnhygiene bis zur Hautbeschau alles mit, an einem Punkt
       jedoch ist Schluss mit lustig: Wenn der Hausarzt die Nadel zum Blutabnehmen
       zückt, verwandele ich mich in ein schwitzendes, winselndes Elend kurz vor
       der Selbstauflösung.
       
       Durch jahrelanges Training haben mein Doc und ich eine ausgeklügelte
       Methode entwickelt, bei der ich auf einer Liege ruhend die Hand seiner mir
       geduldig zuredenden Sprechstundenhilfe zerquetschen darf, während er eine
       Ampulle Blut nach der anderen aus meinen Venen zapft. So in etwa sieht
       unser Best-Case Scenario aus.
       
       Beim letzten Mal hatten meine Venen allerdings leider beschlossen, ihre
       Mitwirkung einzustellen, weshalb am Ende nur Verlierer übrigblieben: Eine
       an mehreren Stellen durchlöcherte und traumatisierte Patientin und ein
       zerknirschter Arzt, der ja auch nichts dafür konnte.
       
       ## Hyperventilierend in einer Einzelkabine
       
       Zum Trost erzählte ich ihm, wie in einem typischen amerikanischen
       Großraumlabor trotz meiner Warnung mal ein Praktikant zum Blutabnehmen auf
       mich losgelassen wurde, um an mir zu üben. Hyperventilierend hing ich in
       einer der vielen Einzelkabinen hinter zugezogenen Vorhängen auf einem
       Stuhl, während er unbarmherzig in meinen Venen herumstocherte, bis mir
       schließlich schwarz vor Augen wurde.
       
       Ich fluchte wie ein Bierkutscher gegen die Woge der sich ankündigenden
       Ohnmacht an, als plötzlich jemand den Vorhang rüde beiseiteriss und ich
       mich einer beeindruckenden Schar staunender Laboranten gegenüber sah. Eine
       von ihnen, die es locker mit der sadistischen Nurse Ratched aus „Einer flog
       über das Kuckucksnest“ hätte aufnehmen können, betrachtete mich, so wie man
       ein Insekt unterm Mikroskop studiert. „Watch your language!“, warnte sie
       mich schließlich, was so viel heißt wie: „Pass mal gut auf, was du sagst!“
       
       Der landläufige Amerikaner legt nämlich Wert auf Höflichkeit, und immer
       wenn die derzeitigen Hauptgroßmäuler sich mal wieder im exzessiven Schmähen
       üben, bedauere ich, dass keine Nurse Ratched zur Stelle ist, um sie mit
       einem knappen „Language!“ auf Spur zu bringen. Noch besser wäre es
       natürlich, sie würden von einer kollektiven Spritzenphobie befallen, sänken
       beim Anblick von Nadeln in tiefe Ohnmacht und wachten erst wieder auf, wenn
       die Erde unbewohnbar ist. Von mir aus können sie dann gern die Kakerlaken
       anpöbeln.
       
       10 Apr 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pia Frankenberg
       
       ## TAGS
       
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