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       # taz.de -- Übergewicht-Bekämpfung weltweit: Von Softdrinksteuern und Werbeverboten
       
       > Die Zahl der Übergewichtigen nimmt weltweit zu. Gründe dafür sind der
       > moderne Lebensstil und fehlende politische Gegenmaßnahmen. Fünf
       > Länderbeispiele.
       
   IMG Bild: Mutter und Tochter bei einem Dorffest im mexikanischen Zinacantan
       
       Weil immer tollere Abnehmstorys durch das Medikament Ozempic die sozialen
       Medien fluten, wirkt es fast so, als sei das Thema Übergewicht ein Problem
       von gestern. Dass dem nicht so ist, verdeutlichen Daten der World Obesity
       Federation, die kürzlich veröffentlicht wurden. So hat sich die Anzahl der
       übergewichtigen Menschen innerhalb von 15 Jahren rasant erhöht und soll
       fast überall bis 2030 weiter steigen, vor allem in ärmeren Ländern. Dabei
       gebe es vor allem mehr fettleibige Menschen, die einen Body-Mass-Index von
       über 30 haben, was Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen
       und bestimmte Krebsarten wahrscheinlicher macht. Traurige Spitzenreiter
       sind pazifische Inselstaaten wie Amerikanisch-Samoa oder Nauru mit einer
       Adipositasrate von rund 70 Prozent.
       
       In der Fachwelt ist man sich einig, dass starkes Übergewicht nicht
       selbstverschuldet ist, sondern dass viele Aspekte, vor allem des modernen
       Lebens, es schwer machen, Maß zu halten. Dazu zählt etwa, dass Softdrinks
       und andere hochverarbeitete Lebensmittel teils billiger als gesunde Speisen
       sind und stark beworben werden, auch adressiert an Kinder. Teils dürfen die
       Lebensmittel in Schulen verkauft werden.
       
       Darum sei laut World Obesity Federation vor allem die Politik gefragt. Sie
       hält fünf Hauptmaßnahmen für wirksam: Steuern auf Softdrinks, Steuern auf
       Lebensmittel, die viel Fett, gesättigtes Fett, Zucker und Salz liefern,
       Subventionen für gesunde Lebensmittel, Werbebeschränkungen für
       Kinderlebensmittel sowie Anreize, mehr Sport zu machen. Allerdings hätten
       zwei Drittel der Länder weltweit entweder keine oder nur eine dieser
       Maßnahmen ergriffen, klagt die Fachgesellschaft, wobei Einzelmaßnahmen
       nicht ausreichend seien.
       
       Dass die Politik in vielen Ländern versagt, liegt unter anderem am Einfluss
       von „Big Food“. Eine Studie der University of Chicago aus 2015 belegte für
       China und Indien, wie die Lebensmittelindustrie auf immer gleiche Weise
       agiert, um größere Märkte zu erreichen, etwa indem sie gegen Restriktionen
       wie die Zuckersteuer lobbyiert, Mitarbeiter der Unternehmen in die
       Regierung wechseln oder umgekehrt. Das Phänomen wird als „Revolving Doors“
       bezeichnet. Auch werden Forschende oder ganze Fachgesellschaften von Big
       Food mit finanzieller Unterstützung beeinflusst, wie zahlreiche weitere
       Studien belegen.
       
       Tatsächlich gibt es jedoch Länder, die niedrige Raten haben und denen für
       die Zukunft auch keine Steigerung prognostiziert wird. Umgekehrt haben
       Nationen mit mehreren politischen Gegenmaßnahmen weiter steigende und hohe
       Übergewichtsraten. Woran liegt das? Wir schauen uns die Lage in Mexiko,
       Indien, Finnland, Frankreich und Deutschland genauer an.
       
       ## Mexiko: Das Land der Cola-Fans
       
       Mexiko ist der größte Softdrinkmarkt weltweit. Bis zu 2,5 Liter Cola, Fanta
       & Co davon stehen wöchentlich auf dem Speiseplan der Mexicanos. Manche
       trinken diese Menge sogar an einem Tag. Das hat auch damit zu tun, dass
       nicht überall sauberes Wasser aus dem Hahn fließt. Cola ist also
       schlichtweg das sicherere Getränk. Zudem ist in Mexiko die Dichte an
       Convenience-Läden, die keine frischen Produkte anbieten, besonders hoch.
       Momentan leiden 2 von 3 Mexikanern an Übergewicht, 30 Prozent an
       Fettleibigkeit. [1][Im Jahr 2030 sollen es 80 Prozent Übergewichtige sein].
       
       Mexiko wird dennoch gelobt, schließlich hat das Land viele Maßnahmen
       ergriffen, etwa Warnhinweise auf Lebensmittelverpackungen und bereits 2014
       eine Softdrinksteuer von rund 10 Prozent eingeführt. Zwar wurden in der
       Folge weniger Softdrinks konsumiert, dafür jedoch mehr Fruchtsäfte oder
       gesüßte Milchgetränke. Dennoch sieht Simón Barquera, Präsident der World
       Obesity Federation, bereits kleine Erfolge für sein Heimatland: „Die
       Maßnahmen haben bewirkt, dass sich die Prognosen für die erwarteten
       Gewichtszunahmen verbessert haben.“ Und: Nach Veröffentlichung des World
       Obesity Atlas hat die Regierung angekündigt, Junkfood aus Schulkantinen zu
       verbannen.
       
       ## Indien: Mehr Geld, schlechtere Ernährung
       
       Zwar haben in [2][Indien mit 40 Prozent relativ wenige Menschen
       Übergewicht], aber es werden rasante Steigerungen prognostiziert. Und: 2010
       waren nur 20 Prozent der Inder übergewichtig, die Zahlen haben sich also in
       15 Jahren verdoppelt. Zugleich hat Indien mit 70 Prozent eine hohe Rate von
       Diabetikern, die nicht adäquat behandelt werden. „Eine schnelle
       Urbanisierung, ein sitzender Lebensstil, genetische Faktoren sowie eine
       immer weitere Verbreitung von hoch verarbeiteten Lebensmitteln, die
       aggressiv vermarktet werden und zunehmend verfügbar sind, sind für die
       steigenden Raten verantwortlich“, sagt Geeta Appannah, Präsidentin der
       Malaysian Association for the Study of Obesity.
       
       Allerdings hat das Land durchaus zahlreiche Weichen gestellt. Indien ist
       eines von 6 Ländern, das 11 oder mehr der 13 sogenannten
       Preparedness-Faktoren umgesetzt hat. Das sind Maßnahmen, die ein Land gegen
       zu hohe Übergewichtsraten wappnen sollen. In Indien gibt es Steuern auf
       Softdrinks, der Konsum liegt extrem niedrig, bei weniger als 100 Milliliter
       pro Woche. Es fehlen jedoch finanzielle Anreize, um Sport zu fördern. 40
       bis 50 Prozent der Inder bewegen sich nicht ausreichend, in Deutschland
       sind es nur 10 bis 20 Prozent.
       
       ## Finnland: Die strebsamen Nordeuropäer
       
       Das nördliche Land befindet sich [3][seit Jahren auf einem hohen Niveau],
       was Übergewicht anbelangt. Im Durchschnitt sind es derzeit 68 Prozent
       übergewichtige und 34 Prozent fettleibige Menschen. Bei Männern gehen die
       Raten laut dem World Obesity Atlas seit 2010 leicht zurück, während sie bei
       Frauen moderat ansteigen. Tatsächlich ist Finnland ein Vorzeigeland, was
       Maßnahmen gegen krankhaftes Übergewicht angeht. Dort wurden 11 oder mehr
       der 13 „Preparedness-Faktoren“ umgesetzt.
       
       So gibt es etwa langfristige Maßnahmen wie eine gesunde Mittagsverpflegung
       in Schulen und in Unternehmen. Allerdings fehlen in Finnland die
       Subventionierung gesunder Lebensmittel sowie Anreize für mehr Sport.
       Trotzdem sind mehr als 90 Prozent der Finnen ausreichend sportlich
       unterwegs. Zudem sind die Diabetiker in Finnland sehr gut versorgt, mehr
       als 70 Prozent erhalten ausreichende medizinische Hilfe. „Aber der Umgang
       mit der Adipositas-Epidemie erfordert hier wie überall mehr Aufklärung und
       Ressourcen“, sagt Tomu-Pekka Toumainen, Epidemiologe an der University of
       Eastern Finland.
       
       Finnland hat schon einmal bewiesen, dass es erfolgreich
       Public-Health-Projekte umsetzen kann. So wurde im Nordkarelienprojekt von
       1977 bis 1997 dem Cholesterin, dem Salz und dem Rauchen der Kampf angesagt,
       da es um die Herzgesundheit der Finnen sehr schlecht bestellt war. Die
       Raten konnten eindrücklich gesenkt werden: Die koronare Sterblichkeit nahm
       von 1977 bis 2012 um 85 Prozent ab.
       
       ## Frankreich: Speisen wie die Götter
       
       Die Franzosen haben [4][vergleichsweise geringe Übergewichtsraten von 45
       Prozent]. Zwar fehlen in Frankreich Umfragen, um die Zahlen für Übergewicht
       oder sportliche Betätigung zu überwachen, sowie Subventionen, um Frischkost
       günstiger zu machen. Aber: „Schon im Jahr 2012 wurde eine Softdrinksteuer
       eingeführt, und seit 2005 gibt es in Frankreich keine Softdrink- und
       Snackautomaten an öffentlichen Schulen mehr“, sagt Peter von Philipsborn,
       Public-Health-Wissenschaftler an der LMU München. Eine Rolle spielt
       möglicherweise auch die schmackhafte französische Küche, die es offenbar
       doch noch gibt, entgegen anderslautenden Behauptungen.
       
       „Traditionell wird in Frankreich viel Wert auf gemeinsame Mahlzeiten und
       qualitativ hochwertiges Essen gelegt, mit eher kleinen Portionsgrößen“,
       sagt Philipsborn. So hat eine französische Studie aus dem Jahr 2018
       gezeigt, dass Menschen, die traditionelle Essensmuster mit Hauptmahlzeiten
       und mehreren Gängen einhielten, tendenziell schlanker waren. „Softdrinks,
       Fastfood und Snacks zwischendurch und unterwegs sind auch weniger
       verbreitet als in vielen anderen Ländern“, so der Münchner Wissenschaftler.
       „Und die Qualität der Kita- und Schulverpflegung gilt als besser als zum
       Beispiel in Deutschland.“
       
       ## Deutschland: Es lebe die Currywurst!
       
       Weltweit betrachtet liegt [5][Deutschland mit 30 Prozent etwa im
       Mittelfeld,] was Adipositas anbelangt. Übergewichtig sind hierzulande 2 von
       3 Personen. „Das ist zu viel“, sagt LMU-Wissenschaftler Philipsborn.
       Tendenziell sollen die Zahlen zwar stagnieren, dennoch ist sich die
       Fachwelt einig, dass etwas getan werden muss, damit die Bundesbürger wieder
       schlanker werden. Gründe für die hohen Zahlen sind einerseits zu wenig
       Bewegung. Andererseits wird immer seltener gemeinsam und zu den
       Hauptmahlzeiten gegessen, dafür mehr gesnackt. Und der Snack ist dann nicht
       Apfel oder Joghurt, sondern Currywurst oder Torte.
       
       Peter von Philipsborn sieht wie die World Obesity Federation bei
       politischen Maßnahmen Nachholbedarf. „Es fehlt eine Regulierung von an
       Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Produkte, zudem eine
       Mehrwertsteuerbefreiung zum Beispiel für Obst und Gemüse sowie höhere
       Steuern auf weniger gesunde Lebensmittel.“ Die Grünen hatten in der
       Ampelkoalition noch versucht, ein Verbot von an Kinder gerichteter Werbung
       für ungesunde Lebensmittel einzuführen, konnten sich aber nicht
       durchsetzen. Philipsborn weiter: Auch sollte es mehr Bewegungsangebote in
       Kitas und Schulen geben, und eine stärkere Förderung von Freizeitsport und
       von Fahrrad- und Fußgängerverkehr.
       
       15 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://drive.google.com/file/d/1PHGlv5eGAMfX4C2Ok6-PszJsyFJCA_46/view
   DIR [2] https://drive.google.com/file/d/1Rg16ZipSVmT7dUWqE9Ej3XxkGX7BdXIO/view
   DIR [3] https://drive.google.com/file/d/1Q74-tLZxY0RMUq1VdEcMLxBx7WJu7AFp/view
   DIR [4] https://drive.google.com/file/d/1JBCMDly-CIM9C1k_ztpV9vahl4jTHUzM/view
   DIR [5] https://drive.google.com/file/d/1rgwg_xReYs8TmRE1Zv3yqZ4Vf5MRji0v/view
       
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