URI: 
       # taz.de -- Politischer Fußball: Wenn Deutschland spielt, zeigt sich das ganze Land
       
       > Bernd-M. Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling schreiben eine politische
       > Geschichte des deutschen Fußballs. Ein Einsteig in ein wenig beacktertes
       > Feld.
       
   IMG Bild: Vaterlandsverräter am Ball: Günter Netzer im Trikot von Real Madrid
       
       Im Grunde kommt schon aufs Thema, wer bloß die Worte hört. Ein
       Fußballspiel, in dem ein Team namens „Deutschland“ antritt, hat etwas mit
       der Nation zu tun, mit Politik; es ist eine Auseinandersetzung zwischen
       staatlich verfassten Ländern, die ihre kickenden Repräsentanten in eine
       Arena geschickt haben. Diese Akteure nennt man „Nationalspieler“, doch bis
       1933 sprach man von „Internationalen“, wenn Kicker Länderspiele bestritten.
       Erst die Sprachreinigung im NS-Regime erfand den Begriff „Nationalspieler“.
       In Deutschland benutzen wir ihn bis heute.
       
       Es sind solche kleinen und viele großen Beobachtungen, die die Autoren
       Bernd-M. Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling dazu brachten, eine „andere
       Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft“ zu schreiben. Es wurde
       ein exzellentes und zugleich überfälliges Buch.
       
       Worum es geht, sei hier kursorisch und unvollständig skizziert: der Streit
       um die WM 2022 in Katar, wo es um Menschenrechte ging. [1][Die Özil-Krise],
       die von Rassismus im DFB handelte. [2][Das korrupte „Sommermärchen“ 2006],
       das für eine Modernisierung dieser Gesellschaft stand. Die
       Wiedervereinigungs-WM 1990, bei der zunächst eine Auseinandersetzung
       zwischen Rijkaard und Völler zu rassistischen Eruptionen führte und nach
       der der Kaiser wusste, dass Deutschland „in den nächsten Jahren nicht mehr
       zu besiegen“ sei. Es ist Schumachers Foul an Battiston bei der WM 1982.
       
       Oder der vom DFB unterstützte Besuch des Nazis Hans-Ulrich Rudel im WM-Camp
       1978, eine WM, die zu Zeiten der argentinischen Militärdiktatur stattfand
       und wo DFB und Auswärtiges Amt nichts taten, um die unschuldige Elisabeth
       Käsemann vor ihrer Ermordung zu schützen. Oder 1974, das BRD–DDR-Spiel und
       Sparwassers im Westen als Demütigung wahrgenommenes Tor. Oder der „Wir sind
       wieder wer“-Jubel nach dem WM-Erfolg 1954.
       
       Nicht zu vergessen die Anstrengungen der Nazis, mit der Nationalmannschaft
       bei WMs und Olympischen Spielen „arische Überlegenheit“ zu beweisen. Diese
       Versuche gehen in die 1920er Jahre zurück: Bei den Olympischen Spielen 1928
       tobte der DFB nach einer 1:4-Niederlage gegen Uruguay, die deutsche Elf sei
       „von einem zumeist farbigen Gegner und mit Hilfe eines farbigen
       Schiedsrichters zusammengetreten“ worden.
       
       ## Politik in schwarz-weiß
       
       Nicht zu vergessen die Selbstverständlichkeit, mit der der DFB für sich die
       republikanischen Farben Schwarz-Rot-Gold ablehnte, um noch bis in die
       Gegenwart das preußische Schwarz-Weiß als repräsentative Farbe zu wählen.
       Oder – letztes Beispiel von so vielen mehr, die in diesem Buch behandelt
       werden –, dass der erste DFB-Präsident, Ferdinand Hueppe vor „Rassemischung
       in unserem Volke“ glaubte warnen zu müssen.
       
       Beyer und Schulze-Marmeling, jeder für sich ein ausgewiesener Experte der
       Fußballgeschichte, haben mit der gemeinsamen Beobachtung begonnen, dass
       Sympathien für die Nationalmannschaft ja nicht nur von sportlichen Erfolgen
       abhängig sind, sondern dass doch die deutsche Auswahl stets auch die
       deutsche Nation repräsentiert: „Das Verhältnis zur Nationalelf wird stark
       dadurch geprägt, inwieweit sie auch jenseits sportlicher Leistungen dem
       jeweils erwünschten Bild von Deutschland entspricht.“
       
       Auf dieser Grundlage wird über Mesut Özils Erdoğan-Foto und über Günter
       Netzers Real-Madrid-Verpflichtung („Vaterlandsverrat“) gesprochen. Auf
       dieser Grundlage wollte man sich über Jahrzehnte einfach nicht der
       [3][jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch] und Gottfried Fuchs erinnern,
       weil allein ihre bloße Nennung in Fotoalben offenbart hätte, dass der
       Fußball mittenmang dabei war, als es darum ging, Menschen zu entrechten und
       zu verfolgen.
       
       So verdienstvoll und empfehlenswert Beyers und Schulze-Marmelings Buch ist,
       so sehr offenbart sich bei der Lektüre, dass es im Grunde nur der Anfang
       sein kann, sich noch gründlicher mit der politischen Geschichte des
       deutschen Fußballs zu beschäftigen. Schon der etwas zu allgemeine Titel
       „Politik im Spiel“ zeigt an, dass hier im Grunde nur allererste Spuren
       gelegt werden, um viel zu lange verdrängtes, ignoriertes oder geleugnetes
       Phänomen ernst zu nehmen: Wenn „Deutschland“ spielt, dann zeigt sich das
       gesamte Deutschland, und so wird es auch wahrgenommen.
       
       11 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Mesut-Oezil-beendet-Fussballkarriere/!5923773
   DIR [2] /Die-Maer-vom-guten-Deutschland/!5246551
   DIR [3] /DFB-Auszeichnung-fuer-Fans-und-Vereine/!6039799
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
       ## TAGS
       
   DIR Sportgeschichte
   DIR Sportpolitik
   DIR Deutscher Fußballbund (DFB)
   DIR Mesut Özil
   DIR Deutscher Fußballbund (DFB)
   DIR Mesut Özil
   DIR Schwerpunkt Pegida
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR DFB-Auszeichnung für Fans und Vereine: Gepriesen und gefährdet
       
       Bei der Vergabe des Julius-Hirsch-Preises fällt auf, unter welch
       schwierigen Bedingungen zivilgesellschaftlich Engagierte gerade arbeiten.
       
   DIR Mesut Özil beendet Fußballkarriere: Der Verkomplizierer
       
       Fußball-Weltmeister Mesut Özil hat seine Karriere beendet. Er machte die
       Dinge, die man so gern einfach haben will, komplizierter – nicht nur im
       Fußball.
       
   DIR Die Mär vom guten Deutschland: Sommermärchen? Von wegen!
       
       Die WM 2006 war ein veritabler Albtraum. Ohne den Jubel über dieses tolle
       Deutschland würde heute nicht so unverkrampft gedeutschtümelt.