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       # taz.de -- Diskussion um Mütterrente: Überflüssig oder überfällig?
       
       > Union und SPD wollen die Mütterrente ausweiten – das würde fünf
       > Milliarden Euro kosten. Ist das eine gute Idee? Die wichtigsten Fragen
       > und Antworten.
       
   IMG Bild: Wer sein Kind im Blick hat, sollte die Rente nicht aus den Augen verlieren. Aufnahme aus dem Jahr 1985
       
       Worum geht es beim Streit um die Mütterrente? 
       
       Die Idee ist mehr als ein Jahrhundert alt: Mütter, die nicht oder weniger
       arbeiten konnten, weil sie Kinder großgezogen haben, haben Anspruch auf
       einen Ausgleich in der Rente. Aber erst 1986 bekamen Mütter in der BRD
       zunächst 0,75 Rentenpunkte gutgeschrieben. Danach wurde die Mütterrente
       schrittweise ausgebaut. Seit 2019 bekommen Frauen pro Kind, das vor 1992
       geboren wurde, bis zu zweieinhalb Erziehungsjahre angerechnet – das
       entspricht 2,5 Rentenpunkten. Für Kinder mit Geburtsdatum ab 1992 werden
       bis zu drei Erziehungsjahre angerechnet, was 3 Rentenpunkten entspricht.
       Der derzeitige Streitpunkt ist die Frage, ob nicht alle Frauen dieselben
       Rentenpunkte bekommen sollten, egal, wann ihre Kinder zur Welt kamen.
       
       Ist die Mütterrente dasselbe wie Kindererziehungszeiten? 
       
       Kindererziehungszeit ist gewissermaßen der Überbegriff für die
       rentenrechtliche Anerkennung für die ersten Jahre mit Kind. Bei der
       Mütterrente geht es vor allem um die Vergangenheit – um eine bessere
       Anerkennung von Erziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden.
       
       Können auch Väter die Mütterrente bekommen? 
       
       Ja. Wer die Voraussetzungen für die Anrechnungen der
       Kindererziehungszeiten erfüllt, hat den Rentenanspruch unabhängig vom
       Geschlecht erworben. Dabei spricht es allerdings Bände, dass die
       Mütterrente Mütterrente heißt.
       
       Was planen Union und SPD genau? 
       
       Auf Seite 7 des Sondierungspapiers von Union und SPD steht: „Wir vollenden
       die Mütterrente mit drei Rentenpunkten für alle – unabhängig vom
       Geburtsjahr der Kinder –, um gleiche Wertschätzung und Anerkennung für
       alle Mütter zu gewährleisten.“
       
       Welchen Unterschied würde das im Geldbeutel machen? 
       
       Laut Rentenversicherung hätten die profitierenden Elternteile durch die
       geplante Ausweitung pro Kind rund 20 Euro im Monat mehr. Das ist nicht
       nichts, aber auch nicht viel. Etwa 9,8 Millionen Renten würden davon
       profitieren. Die Politikwissenschaftlerin Jutta Schmitz-Kießler von der
       Hochschule Bielefeld hält die politische Absicht des Vorhabens für
       nachvollziehbar. Eine solche Neuregelung hätte aber „eher kosmetische
       Effekte“. Die Herausforderungen im Rentensystem [1][„im Allgemeinen und die
       der Mütter und Frauen im Besonderen] würden dadurch nicht gelöst.“
       
       Warum regen sich derzeit alle auf? 
       
       Weil sich immer viele gerne aufregen, wenn es um Frauen geht. Aber auch,
       weil eine Ausweitung der Mütterrente sehr teuer wäre: Die Deutsche
       Rentenversicherung (DRV) schätzt die Kosten auf 5 Milliarden Euro pro Jahr.
       
       Wer soll die 5 Milliarden bezahlen? 
       
       Das ist noch unklar. Die DRV möchte, dass, falls die Ausweitung tatsächlich
       kommt, das Geld aus dem Bundeshaushalt, also aus Steuermitteln, finanziert
       wird. Würde sie aus der Rentenkasse bezahlt werden, müsste der Beitragssatz
       für alle steigen, schätzungsweise um 0,25 Prozentpunkte. Derzeit liegen die
       Beiträge bei 18,6 Prozent des Bruttolohns.
       
       Wäre die Ausweitung der Mütterrente also gut oder schlecht? 
       
       Da gehen die Meinungen auseinander. Die einen finden, dass der Zeitpunkt
       einer Geburt bei der Anerkennung von Erziehungszeiten keinen Unterschied
       machen darf. Andere halten das Vorhaben für zu teuer und zu ungenau, um
       gezielt Altersarmut zu bekämpfen.
       
       Wer spricht sich denn dafür aus? 
       
       Insbesondere die CSU setzt sich seit Langem dafür ein. Auch der größte
       deutsche Sozialverband VdK etwa fordert 3 Rentenpunkte für Mütter,
       unabhängig vom Geburtsdatum ihrer Kinder. [2][„Das hat etwas mit Respekt
       und Gleichberechtigung zu tun“], heißt es auf der VdK-Webseite.
       
       Auch für den Rentenexperten der Linkspartei, Matthias W. Birkwald, ist die
       Ausweitung der Mütterrente eine „Frage sozialer Gerechtigkeit“ und zudem
       „ein wichtiger Beitrag zur Prävention der Altersarmut von Frauen“. Birkwald
       gibt zu bedenken, dass auch die Kindererziehung vor 1992 sehr viel
       schwieriger war: „Technische Hilfsmittel wie Waschmaschinen, Spülmaschinen,
       Wegwerfwindeln etc. waren sehr viel seltener als später.“ Das Gleiche gelte
       für Kitaplätze.
       
       Und wer spricht sich dagegen aus? 
       
       Für den rentenpolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Markus
       Kurth, stellt der Vorschlag „weder eine nachhaltige noch eine sozial
       gerechte Lösung dar“. Es gebe „eine Reihe von Frauen in dieser
       Altersgruppe, die zum Beispiel als Ehefrauen von Beamten oder Architekten
       gut abgesichert sind“. Mit Blick auf die Zukunft der Rentenversicherung
       verbiete es sich, die Leistung ungenau über alle auszuschütten. Auch die
       Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, hält die
       Ausweitung für „unverhältnismäßig“. Bei den Einzelnen, die vom insgesamt
       sehr teuren Vorhaben profitieren würden, käme keine große Summe an und
       nicht alle bräuchten es, argumentiert sie. Die Rentenkasse sei „der falsche
       Ort, um Ungerechtigkeiten aus der Vergangenheit nachträglich zu heilen“,
       sagte sie in einem Interview [3][mit dem Tagesspiegel.]
       
       Ganz abschaffen – ist das auch eine Option? 
       
       Die Mütterrente in der derzeitigen Form wieder abzuschaffen, wird immer mal
       wieder gefordert, zuletzt 2024, noch vor dem Scheitern der Ampel. [4][Das
       DIW hat untersucht, was ein Wegfall bedeuten würde]: Das Einkommen der
       einkommensschwächsten Rentnerinnen würde um durchschnittlich 8 Prozent
       sinken. Das Armutsrisiko würde um mehr als 14 Prozent, der
       Gender-Pension-Gap sogar um mehr als 20 Prozent steigen. Insbesondere träfe
       es Frauen aus den unteren Einkommensgruppen, Frauen mit mehr als drei
       Kindern und geschiedene Frauen. Kurz gesagt: Die Bundesregierung würde zwar
       rund 14 Milliarden Euro sparen. Aber nein, Abschaffen sollte besser keine
       Option sein.
       
       Wie hoch ist das Risiko von Altersarmut für Frauen? 
       
       Es ist lange bekannt: Frauen werden bei gleicher Arbeit schlechter bezahlt.
       Sie übernehmen mehr unbezahlte Sorgearbeit, arbeiten öfter in Teilzeit und
       in schlecht bezahlten Jobs (und nein, das ist längst nicht allein ihre
       Verantwortung). All das führt dazu, dass ihr Risiko größer ist, später in
       Altersarmut zu landen. Das geschlechtsspezifische Gefälle bei der Rente –
       der Gender-Pension-Gap – lag laut Statistischem Bundesamt zuletzt bei 27,1
       Prozent. Die Alterseinkünfte von Frauen waren also im Schnitt mehr als ein
       Viertel niedriger als die von Männern.
       
       [5][20,8 Prozent der Frauen ab 65 Jahren gelten als armutsgefährdet,] bei
       den Männern derselben Altersgruppe liegt die Quote bei 15,9 Prozent.
       Übrigens wird die Mütterrente als Einkommen auf die Grundsicherung im Alter
       angerechnet. Wer also Grundsicherung bekommt, hat nichts davon.
       
       Welchen Unterschied macht es für Rentnerinnen, ob sie Kinder haben oder
       keine? 
       
       In Westdeutschland steigt das Risiko von Frauen, im Alter arm zu sein, mit
       der Anzahl ihrer Kinder, so eine [6][aktuelle Studie des DIW.] Untersucht
       wurden die Rentenansprüche der Jahrgänge 1952 bis 1959. Interessant ist: In
       Ostdeutschland sind die Rentenansprüche von Müttern sogar höher als bei
       kinderlosen Frauen. Eine mögliche Erklärung sei, dass Kinderlosigkeit in
       Ostdeutschland für diese Jahrgänge insgesamt niedrig war. „Nicht selten
       standen hinter der Kinderlosigkeit gesundheitliche Probleme, die auch das
       Erwerbseinkommen beeinflusst haben dürften“, heißt es in der Studie.
       
       Kindererziehungszeiten würden Müttern insgesamt zwar helfen, aber „nicht
       ausreichend“, sagt Peter Haan vom DIW. Wichtig sei in Bezug auf die Rente,
       dass Frauen nach der Geburt eines Kindes in eine Vollzeit- oder
       vollzeitnahe Beschäftigung zurückkehrten. Das liegt daran, dass
       Kindererziehungszeiten nur für die ersten drei Jahre nach der Geburt des
       Kindes geltend gemacht werden. Die Auswirkungen der Mutterschaft gehen aber
       weit darüber hinaus: Ab der Familiengründung arbeiten Frauen verstärkt in
       Teilzeit. Vor allem dadurch steigen Gender-Pay-Gap und später
       Gender-Pension-Gap erheblich.
       
       Was würde denn helfen, um Altersarmut zu bekämpfen? 
       
       Es werden – unabhängig vom Geschlecht – Konzepte diskutiert, die arme
       Menschen im Alter besser absichern als bisher. Die Grünen wollen etwa die
       Grundrente zu einer Garantierente nach 30 Versicherungsjahren
       weiterentwickeln. Die Linke fordert eine „solidarische Mindestrente“, also
       einen Zuschlag bis zur Höhe der Armutsrisikogrenze von derzeit rund 1.400
       Euro und in sehr teuren Wohngegenden einen Mietzuschuss.
       
       Und was hilft noch auf lange Sicht? 
       
       Ungleichheit und Altersarmutsrisiken müssten schon während der Erwerbsphase
       angegangen werden, sagt etwa Johannes Geyer vom DIW. Dabei geht es zum
       Beispiel um eine gerechtere partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit.
       Ähnlich sieht das Politikwissenschaftlerin Schmitz-Kießler. Daneben sei
       aber auch ein guter Arbeitsmarkt zentral: „Kein Rentensystem der Welt kann
       im Nachhinein korrigieren, was auf dem Arbeitsmarkt vorher schon alles
       schiefgelaufen ist“, so Schmitz-Kießler. Es brauche „ausreichend
       Betreuungsplätze und gute Löhne auch in typischen Frauenbranchen“.
       
       24 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Politologin-ueber-Altersarmut-bei-Frauen/!6066327
   DIR [2] https://bw.vdk.de/vor-ort/nachrichten-ov-kv/zur-geplanten-angleichung-bei-der-muetterrente/
   DIR [3] https://www.tagesspiegel.de/politik/renten-prasidentin-rossbach-ich-staune-uber-die-plane-zur-mutterrente-13366189.html
   DIR [4] https://www.diw.de/de/diw_01.c.909964.de/publikationen/wochenberichte/2024_31_1/abschaffung_der_muetterrente_wuerde_altersarmut_erhoehen.html#section5
   DIR [5] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_N016_12_63.html
   DIR [6] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.941456.de/25-12.pdf
       
       ## AUTOREN
       
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