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       # taz.de -- Konstituierung des Bundestags: Heute wird Olaf Scholz entlassen
       
       > Der neue Bundestag tritt erstmals zusammen. Dabei wird es feierlich –
       > doch bei einem Tagesordnungspunkt dürfte es Ärger geben.
       
   IMG Bild: Blau ist leider nicht mehr nur der Himmel über dem Reichstagsgebäude
       
       Berlin dpa | Zweimal hat nach der Bundestagswahl am 23. Februar noch das
       alte Parlament getagt und weitreichende Beschlüsse gefasst – doch damit ist
       jetzt Schluss. Der neue Bundestag kommt zu seiner konstituierenden Sitzung
       zusammen. Damit beginnt die 21. Legislaturperiode. Zugleich erhalten
       [1][Bundeskanzler Olaf Scholz] (SPD) und sein Kabinett von Bundespräsident
       Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungspapiere und sind ab sofort nur noch
       geschäftsführend im Amt.
       
       Das Grundgesetz schreibt vor, dass das neue Parlament spätestens 30 Tage
       nach der Wahl erstmals zusammentreten muss. Der nun gewählte Termin ist der
       letztmögliche.
       
       ## Linke-Politiker Gysi eröffnet Sitzung als Alterspräsident
       
       Als [2][Gregor Gysi] 1966 in der DDR den Abschluss als Facharbeiter für
       Rinderzucht machte und im Dezember 1989 zum Vorsitzenden der SED im
       zerfallenden zweiten deutschen Staat gewählt wurde, konnte er sich wohl
       kaum vorstellen, einmal als Alterspräsident des Deutschen Bundestages eine
       Wahlperiode zu eröffnen. Nun wird er es tun und in die Fußstapfen des
       inzwischen gestorbenen Wolfgang Schäuble (CDU) treten.
       
       Alterspräsident ist das Mitglied des Bundestages, das die meisten
       Abgeordnetenjahre vorweisen kann. Seine Aufgabe ist es, die erste Sitzung
       bis zur Wahl eines neuen Bundestagspräsidenten oder einer
       Bundestagspräsidentin zu leiten. Dazu gehört es, in Abstimmung mit den
       Fraktionen die Schriftführer zu ernennen. Üblicherweise hält der
       Alterspräsident auch eine Rede.
       
       ## Vorgänger Schäuble mahnte faire Debatten an
       
       Schäuble etwa mahnte im Oktober 2021 die „lieben Kolleginnen und Kollegen“,
       das Parlament als politische Bühne und nicht bloß als notarielle
       Veranstaltung zum Abarbeiten von Koalitionsverträgen anzusehen. „Hier ist
       der Ort, an dem wir streiten dürfen, an dem wir streiten sollen, aber fair
       und nach Regeln, leidenschaftlich, aber auch mit der Gelassenheit, die
       einer erregten Öffentlichkeit Beispiel geben kann.“
       
       Und Gysi? Sicherlich werde er etwas zur Außenpolitik sagen und auch zur
       Situation unserer Gesellschaft, verriet der 77-Jährige der Wochenzeitung
       Das Parlament. Und: „Vielleicht werde ich auch einige Vorschläge
       unterbreiten, was man überparteilich mal miteinander besprechen müsste.
       Denn was wir wirklich brauchen, ist mehr echter Diskurs und weniger
       Schaukämpfe.“
       
       ## Bundestag beschließt neue Geschäftsordnung
       
       Klingt ein wenig dröge, ist es aber nicht: Der Bundestag wird als einen der
       ersten Beschlüsse eine Geschäftsordnung verabschieden. Sie ist so etwas wie
       das Betriebshandbuch für das Parlament und enthält viele Bestimmungen für
       dessen Arbeit – etwa zu Redezeiten, der Einberufung von Sitzungen, dem
       Festlegen von Tagesordnungen oder Verhaltensregeln für Abgeordnete und
       Ordnungsmaßnahmen. Dabei geht es auch um Machtfragen.
       
       In der Regel übernimmt der neue Bundestag die Geschäftsordnung des alten
       Parlaments. 2021 verlangte die AfD jedoch Änderungen. Das löste eine
       längere Geschäftsordnungsdebatte aus, blieb aber erfolglos.
       
       ## Wahl des neuen Bundestagspräsidenten als Höhepunkt
       
       Die Wahl der neuen Bundestagspräsidentin oder des Bundestagspräsidenten ist
       zweifellos der Höhepunkt jeder konstituierenden Sitzung – auch wenn diese
       Personalie längst vorher geklärt wurde. Das Vorschlagsrecht für diesen
       Posten hat traditionell die stärkste Fraktion, diesmal also die CDU/CSU.
       Sie hat [3][die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner] für
       das Amt nominiert.
       
       Die CDU-Politikerin wird nach Annemarie Renger (SPD), Rita Süssmuth (CDU)
       und Bärbel Bas (SPD) erst die vierte Frau in diesem Amt sein, das
       protokollarisch das zweithöchste nach dem Bundespräsidenten ist.
       
       Klöckner saß schon von 2002 bis 2011 im Bundestag und war seit 2009 auch
       Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium.
       Anschließend wechselte sie in die Landespolitik ihrer Heimat
       Rheinland-Pfalz und versuchte dort zweimal vergeblich, Ministerpräsidentin
       zu werden. Bei der Bundestagswahl 2017 meldete sie sich in Berlin zurück
       und war dann bis 2021 Bundeslandwirtschaftsministerin im Kabinett von
       Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
       
       Die gelernte Journalistin gehörte zwischen 2012 und 2022 zur Riege der
       stellvertretenden CDU-Vorsitzenden und war bis zu ihrer Nominierung
       Bundesschatzmeisterin. Im alten Bundestag war sie wirtschaftspolitische
       Sprecherin der Fraktion.
       
       ## Neues Amt wird Herausforderung für Klöckner
       
       Das neue Amt dürfte zu einer großen Herausforderung für Klöckner werden.
       Der Umgangston im Bundestag ist seit dem Einzug der AfD 2017 erheblich
       rauer geworden, wie alle anderen Fraktionen beklagen.
       
       Deutlich wird dies zum Beispiel daran, dass die Zahl der an Abgeordnete
       erteilten Ordnungsrufe in der nun zu Ende gehenden 20. Wahlperiode nach
       Angaben der Bundestagsverwaltung auf 134 emporschnellte – in der 19.
       Wahlperiode waren es nur 49 gewesen. Allein 85 dieser Ordnungsrufe
       kassierten Mitglieder der AfD-Fraktion. Die scheidende
       Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) kritisierte denn auch, dass manche
       Abgeordnete Ordnungsrufe wie Trophäen sammelten und im Internet vorführten.
       
       Auch unterhalb der Schwelle von Zwischenrufen, die mit Ordnungsrufen
       geahndet werden können, ist der Umgang im Bundestag rüder geworden.
       Weibliche Abgeordnete beklagen zum Beispiel sexistische Sprüche – auch
       diese kommen stark aus den Reihen der AfD. Deren Fraktionsstärke hat sich
       mit der Bundestagswahl verdoppelt – was nicht für ruhigere Zeiten spricht.
       
       ## Dauerstreitpunkt Vizepräsidentenposten für die AfD
       
       Nach der Wahl der Bundestagspräsidentin werden auch ihre Stellvertreter
       bestimmt. Die Unionsfraktion nominierte die CSU-Innenpolitikerin Andrea
       Lindholz, die SPD-Fraktion die bisherige Parlamentarische Geschäftsführerin
       Josephine Ortleb und die Linke-Fraktion den früheren thüringischen
       Ministerpräsidenten [4][Bodo Ramelow]. Bei den Grünen setzte sich der
       einstige Parteichef [5][Omid Nouripour in einer Kampfabstimmung] durch.
       
       Da üblicherweise die Fraktionen die Vorschläge der anderen Fraktionen
       unterstützen, gilt ihre Wahl als sicher. Darauf kann der AfD-Kandidat
       Gerold Otten nicht hoffen. Noch nie hat eine Kandidatin oder ein Kandidat
       der AfD für den Vizeposten bei den Abstimmungen die nötige Stimmenanzahl
       bekommen. So dürfte es wohl auch jetzt wieder kommen. Nach der
       Geschäftsordnung des Bundestages kann die AfD dann zwei weitere Wahlgänge
       durchsetzen.
       
       ## Bundespräsident setzt Schlusspunkt unter den Tag
       
       Auf den absehbar vollen Tribünen im Reichstagsgebäude wird auch
       Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sitzen. Ihm kommt an diesem Tag
       aber noch eine eigene Rolle zu. Nach Artikel 69 des Grundgesetzes endet die
       Amtszeit des Bundeskanzlers und seiner Ministerriege mit dem Zusammentreten
       des neuen Bundestages.
       
       Also werden Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Kabinett am späten
       Nachmittag von Steinmeier die Entlassungsurkunden erhalten. Zugleich wird
       er sie bitten, bis zur Ernennung von Nachfolgern die Geschäfte
       weiterzuführen – wozu sie verpflichtet sind. Auch das regelt Artikel 69.
       
       Diese geschäftsführende Bundesregierung hat prinzipiell dieselben
       Befugnisse wie eine reguläre. Denn Deutschland soll nach innen wie nach
       außen voll handlungsfähig bleiben. Allerdings muss eine geschäftsführende
       Regierung nach Auffassung von Verfassungsrechtlern größtmögliche politische
       Zurückhaltung zeigen. Es geht in dieser Übergangszeit also mehr um
       Politikverwaltung als um Politikgestaltung.
       
       25 Mar 2025
       
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