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       # taz.de -- Siegfried Unseld und die NSDAP: Der geheime Schuldmotor eines Verlegers
       
       > Siegfried Unseld war Mitglied der NSDAP. Dass der Suhrkamp-Patriarch es
       > verschwieg, wirft ein irritierendes Licht auf die alte Bundesrepublik.
       
   IMG Bild: Der Verleger Siegfried Unseld in Frankfurt am Main, im April 1963
       
       Die Darstellung des Historikers Thomas Gruber in der Zeit vom 10. April ist
       überzeugend: Siegfried Unseld, als Suhrkamp-Chef Zentralverleger der alten
       Bundesrepublik, war Mitglied der NSDAP – Karteinummer 9 194 036 –, und
       zwar, alles andere wäre unplausibel, aus eigener Überzeugung.
       
       Am 8. Juni 1942, auf den der Aufnahmeantrag datiert ist, waren Hitlers
       Armeen auf dem Höhepunkt ihrer Machtausdehnung, die Bürokratie des
       NS-Staates funktionierte hervorragend. Ein Versehen oder eine
       unwissentliche Parteiaufnahme sind so gut wie ausgeschlossen, zumal die
       Doktrin der NSDAP, „Partei der Überzeugten, nicht der Lauen“ zu sein,
       uneingeschränkt galt.
       
       22 Jahre nach seinem Tod muss somit die Biografie Siegfried Unselds zwar
       nicht von Grund auf neu geschrieben, aber doch gründlich gegen den Strich
       gebürstet werden.
       
       ## Nicht bekannt war seine Parteimitgliedschaft
       
       Siegfried Unseld war im Juni 1942 17 Jahre alt. Dass er aus einem
       nationalsozialistisch gesinnten Elternhaus stammte, dass er dann
       Angehöriger der Wehrmacht war, am Kriegsende Marinefunker bei Hitlers
       Nachfolger Admiral Dönitz in Flensburg, das ist bekannt. Nicht bekannt war
       seine Parteimitgliedschaft, offenbar hat er sie ein Leben lang
       verschwiegen. Als neulich sein 100. Geburtstag feierlich begangen wurde,
       spielte dieser Aspekt keine Rolle.
       
       Unbestritten bleiben die Verdienste, die sich Unseld erworben hat. Die
       Werke der großen Exilanten, von Adorno, Benjamin und Brecht, die Schriften
       von Peter Weiss [1][zum Auschwitzprozess,] viele andere Bücher, die zum
       Bildungsroman einer Bundesrepublik gehören, die sich nach vielen Umwegen
       schließlich doch der deutschen Schuld bewusst geworden ist, sie wurden von
       Unseld verlegt. Aber das lebenslange Beschweigen des Maßes der eigenen,
       wenn auch jugendlichen Verstrickung bleibt irritierend.
       
       Alexander Cammann, Feuilletonredakteur der Zeit, spricht, um die
       beispiellose Energie Unselds nach dem Krieg zu erklären, von einem
       „geheimen Schuldmotor“. Das ist nicht abwegig. Und zu den Kosten, diesen
       Motor am Laufen zu halten, gehörte eine lebenslange Abspaltung. Jeden
       Autorenbrief, [2][jede Reiseabrechnung] hat er aufbewahrt, aber seine
       Parteimitgliedschaft vergessen? Der Bildungsroman der Bundesrepublik führte
       über krumme Wege.
       
       12 Apr 2025
       
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