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       # taz.de -- Vom Beschweigen zur Zustimmung: Es braucht eine emanzipatorische Kritik am Islamismus
       
       > Die Berliner Jusos wollen den Begriff „Islamismus“ nicht mehr verwenden.
       > Das spricht für die zunehmende Verwirrung in der gesellschaftlichen
       > Linken.
       
   IMG Bild: Gedenken an Samuel Paty: Der französische Lehrer wurde von einem 18-jährigen Dschihadisten in einem Pariser Vorort getötet, 2020
       
       Die zunehmende Verwirrung in Teilen der Linken hat nun auch die Berliner
       Jusos erreicht. Ihr jüngster Vorstoß: Sie wollen das Wort Islamismus
       [1][nicht mehr verwenden]. Die „begriffliche Nähe zum Islam“ sei
       „problematisch“, so der Antrag, der am vergangenen Wochenende auf der
       Landesdelegiertenkonferenz verabschiedet wurde. Das Wort Islamismus sei
       [2][„stigmatisierend“]. Man werde sich künftig mit keinen Anträgen mehr
       befassen, „die den Begriff ‚Islamismus‘ allein stehend verwenden“.
       
       Armer Kevin Kühnert, was der da wohl denkt? Im Jahr 2020, damals noch
       Juso-Chef, [3][beklagte Kühnert] in einem viel beachteten Text [4][das
       Schweigen der Linken] zum Islamismus. Der französische Lehrer Samuel Paty
       war kurz zuvor von einem 18-jährigen Dschihadisten in einem Pariser Vorort
       enthauptet worden, nachdem er im Unterricht über Mohammed-Karikaturen
       gesprochen und Meinungsfreiheit gelehrt hatte. Die Linke müsse ihr
       „unangenehm auffälliges Schweigen“ beenden, schrieb Kühnert daraufhin – und
       diskutierte den Vorwurf, „in linken Weltbildern gebe es ‚richtige‘ und
       ‚falsche‘ Opfer oder Täter“.
       
       Fünf Jahre später ist aus Schweigen oft Zustimmung geworden. Viele Linke
       sind heute außerordentlich laut, wenn es um Islamismus geht; sie
       relativieren oder verharmlosen ihn aktiv. Wie sonst lässt sich erklären,
       dass nach dem genozidalen Massaker vom 7. Oktober 2023 in Israel Linke bei
       den folgenden, teils antisemitischen, teils islamistischen „Protesten“ in
       westlichen Städten mitmarschierten?
       
       In den USA verkleideten sich manche Menschen auf Demonstrationen gar als
       Hamas-Terroristen oder liefen mit der Fahne der islamistischen Mörderbande.
       Auf einer Kundgebung der islamistischen Gruppierung Muslim Interaktiv, die
       eine reaktionäre und menschenverachtende Ideologie propagiert,
       applaudierten Linke und riefen „Siamo tutti antifascisti“, eine Parole
       gegen Faschismus unter Anhängern, die sich dem Totalitarismus verschrieben
       haben.
       
       Begriffsbrainstorming ersetzt keine politische Arbeit. Nicht das Wort
       Islamismus bedroht Muslime, sondern Islamisten selbst. Gerade säkulare und
       liberale Muslime werden von denen angefeindet, die den Islam radikal
       auslegen, Frauen unterdrücken, Schwule und Juden hassen.
       
       ## Von wegen mutig
       
       Von „Stigmatisierung“ sprechen übrigens gerne diejenigen, die es zu
       bekämpfen gilt: Islamisten selbst. Die nutzen den Vorwurf des
       antimuslimischen Rassismus, um damit pauschal die zu diskreditieren, die
       sich gegen islamistische Gewalt und für Freiheit einsetzen:
       Menschenrechtsaktivisten, Wissenschaftler, Journalisten.
       
       Mutig und fortschrittlich wäre gewesen, wenn die Jusos einen kritischen
       Blick auf den politischen Islam geworfen hätten – jenen legalistischen,
       strukturell wirksamen Islamismus, der zu oft noch vom Staat als
       Dialogpartner hofiert wird, alles unter der Prämisse des „interreligiösen
       Dialogs“ oder vermeintlicher Antidiskriminierung. Dass der politische Islam
       nach eigener Auffassung Gewalt ablehnt, macht ihn deshalb nicht harmlos.
       
       Gibt es noch linke Islamismuskritik? Sicher! Aber leider viel zu wenig. In
       der radikalen Linken sind Positionen, die eine emanzipatorische Islamkritik
       beinhalten, mittlerweile in der Minderheit. Heute ist die
       antiimperialistische Linke wieder angesagt und ihr Kampf gegen „den
       Westen“. Dass viele dieser Positionen reaktionär und autoritär sind, stört
       Sympathisanten wenig.
       
       Die verletzten Gefühle von Islamisten sollten Linke gerne in Kauf nehmen,
       wenn sie dafür Betroffene dieser Ideologie schützen können. Nicht das Wort
       ist das Problem – sondern die Angst davor, es auszusprechen. Wer den
       Islamismus nicht benennt, ihn durch Wortakrobatik zu umschiffen versucht,
       wird ihn erst recht nicht bekämpfen können.
       
       13 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.spiegel.de/ausland/berliner-jusos-wollen-nicht-mehr-von-islamismus-sprechen-a-13992eae-f073-4f35-9b04-3ddbeed50ec2
   DIR [2] /Gefahr-durch-Islamismus/!6081121
   DIR [3] /Umgang-mit-islamistischem-Terror/!5720620
   DIR [4] /Islamistischer-Terror-und-Politik/!5720553
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erica Zingher
       
       ## TAGS
       
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