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       # taz.de -- Umgang mit Kritik im Hochbegabtenverein: Wer nicht schweigt, soll fliegen
       
       > 2022 wurden beim Hochbegabtenverein Mensa Fälle von Kindesmissbrauch
       > bekannt. Wer im Verein den Umgang damit kritisiert, wird mit Ausschluss
       > bedroht.
       
   IMG Bild: „Mensa gemeinsam weiter denken“? Beim Jahrestreffen 2025 gilt das Motto nicht für Kritiker des Umgangs mit Missbrauchsfällen
       
       Bremen taz | Bremen ist eine schöne Stadt – alles andere ist eigentlich gar
       nicht interessant. Das zumindest findet die Pressestelle des
       Hochbegabten-Vereins Mensa e. V., der vergangene Woche sein Jahrestreffen
       in der Hansestadt verbracht hat. „Wir machen hier interessante
       Firmenführungen“, so die Sprecherin. „Das können Sie schreiben. Alles
       andere sind nur Vereinsinterna.“
       
       Anders sehen das jene, die von den Vereinsinterna betroffen sind. Denn nach
       dem viertägigen Jahrestreffen mit buntem Freizeitprogramm für kluge Köpfe
       mit IQ über 130 war die Stadt am Samstag auch Austragungsort der
       diesjährigen Mitgliederversammlung. Und auf der ging es um einen
       Missbrauchsfall, der bundesweit durch die Presse gegangen war – und darum,
       wie man innerhalb des Vereins mit Kritik umgeht.
       
       Gleich sieben Mitglieder sahen sich mit Ausschlussanträgen konfrontiert.
       „Vereinsschädigendes Verhalten“ wirft man ihnen vor. Einige von ihnen
       hatten in Solidarität mit den jugendlichen Missbrauchsopfern eine E-Mail
       unterzeichnet, die eine größere Öffentlichkeit über Missbrauchsfälle im
       Verein informierte.
       
       „Eine größere Öffentlichkeit“, das ist dabei relativ. Denn öffentlich waren
       die Vorfälle zu diesem Zeitpunkt bereits: Der [1][Spiegel hatte Anfang 2023
       berichtet;] mehrere Mensa-Mitglieder warfen einem langjährigen Betreuer des
       Hochbegabtenvereins sexuellen Missbrauch vor. L., so wird geschildert,
       baute auf Jugendfreizeiten Kontakt zu den minderjährigen Mädchen auf.
       
       ## Missbrauch einer 13-Jährigen: laut Gericht eine „Beziehung“
       
       Von mindestens 18 Betroffenen berichtet Vereinsmitglied Christof Brüning
       heute; der Veranstaltungstechniker aus Hamburg war selbst viele Jahre für
       die Schulung von Jugendbetreuer*innen bei Mensa verantwortlich – und
       wirft dem Verein vor, dass mindestens ein Vorfall durch eine ausreichende
       Warnung hätte verhindert werden können.
       
       Insgesamt zehn Mädchen und junge Frauen haben Anzeige gestellt; mehrere
       Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt – ein [2][üblicher
       Ausgang bei sexuellem Missbrauch:] Da es oft an handfesten Beweisen fehlt,
       werden die Aussagen von Opfern durch psychologische Gutachten validiert.
       Schon zu wenige Details können ausreichen, um eine Aussage als potentiell
       gelogen einzustufen.
       
       Eine der Strafanzeigen hatte dennoch bereits Erfolg: Ein Opfer aus
       Braunschweig konnte mit Briefen und Tagebucheinträgen beweisen, dass
       Betreuer L. sie 2016 im Alter von 13 ohne Verhütung sexuell penetriert
       hatte. Geschlechtsverkehr mit Kindern unter 14 Jahren gilt heute immer als
       schwerer sexueller Missbrauch.
       
       Doch die Vorfälle lagen vor der Gesetzesänderung und das zuständige
       Landgericht Oldenburg erkannte mildernde Umstände: Obwohl das Opfer selbst
       vor Gericht davon sprach, manipuliert worden zu sein, befand die Richterin
       in ihrem Bewährungsurteil, der Mitzwanziger L. und die 13-Jährige hätten
       eine „Beziehung“ gehabt; schließlich sei sie noch bis zu einer ungewollten
       Schwangerschaft und Abtreibung mit 15 mit L. zusammen gewesen. Dennoch: L.
       Ist damit seit November 2023 verurteilter Sexualstraftäter.
       
       Der Verein hatte ihn schon bei internem Bekanntwerden der Vorwürfe 2022 von
       Jugendfreizeiten ausgeschlossen. Auch sonst sieht sich der Vorstand im
       Umgang mit dem Missbrauch mittlerweile gut aufgestellt: Das bestehende
       Schutzkonzept sei seit dem Vorfall überarbeitet worden, ein Bericht zur
       Aufarbeitung wurde 2024 fertiggestellt.
       
       Einige Vereinsmitglieder bewerten die Aufarbeitung kritischer; hinterfragt
       wird unter anderem die Expertise der vom Verein berufenen
       Missbrauchsbeauftragten, die keine Erfahrung mit Aufarbeitung habe. Vor
       allem aber entzündete sich Widerstand am unmittelbaren Umgang mit dem
       Täter.
       
       Denn obwohl L. von Jugendfreizeiten gesperrt wurde, konnte er weiter andere
       Veranstaltungen des Vereins besuchen – und zugleich in anderen Vereinen
       weiter als Jugendleiter Freizeiten begleiten. Der Vorstand habe zudem
       sehenden Auges toleriert, das L. weiter Familien aus dem Verein
       kontaktierte – und teilweise mit ihnen privat in den Urlaub fuhr,
       kritisiert Brüning.
       
       Mindestens ein weiteres Opfer hätte verschont werden können, wenn der
       Verein Eltern direkt nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe im Frühjahr 2022
       offensiv davor gewarnt hätte, Betreuer*innen als Gast bei sich zu Hause
       aufzunehmen, ist er sich sicher. Erstmals 2023 äußerte Brüning diese
       Kritik.
       
       Eine Gruppe von Mitgliedern verfasste im Anschluss auf Wunsch von
       Betroffenen eine warnende Nachricht an mehrere E-Mail-Verteiler; L. nannten
       sie darin namentlich – noch vor der Verurteilung durch das Landgericht.
       Eine kritische Entscheidung. „Aber“, erklärt die involvierte Eva C., die
       selbst kein Mitglied des Vereins ist, aber Mutter von zwei betroffenen
       Töchtern, „wir hatten das Gefühl, dass selbst nach dem Artikel im Spiegel
       viele Familien einfach nicht Bescheid wussten.“
       
       ## Verein beklagt Warnungen
       
       Mit sofortiger Wirkung bekamen sowohl Brüning als auch die
       Unterzeichner*innen der warnenden E-Mail schwere Sanktionen: In den
       gemeinsamen Vereinsforen wurde für sie eine Schreibsperre verhängt. Schon
       bei der Jahrestagung 2024 wurden einzelne Unterzeichner*innen
       ausgeschlossen; weitere sollten dieses Jahr folgen.
       
       Der Verein sieht sich durchaus offen für Kritik und unterschiedliche
       Sichtweisen auf die Vorfälle. „Naturgemäß gibt es in einem bewusst
       weltoffenen Verein (…) auch sehr unterschiedliche Einschätzungen zum
       Schutzkonzept und der Aufarbeitung der damaligen Ereignisse“, schreibt der
       Vorstand von Mensa, der sich doch noch entschlossen hat, auf die
       taz-Anfrage ausführlich zu antworten. Doch hierbei, so der Vorstand weiter,
       sei es „auch zu einigen Grenzüberschreitungen in den Diskussionen“
       gekommen.
       
       „Vereinsschädigendes Verhalten“ ist der Vorwurf, der die
       Unterzeichner*innen und einige andere Mitglieder trifft. Dass der Name
       des damals noch nicht verurteilten Täters öffentlich gemacht wurde, steht
       in den Anträgen dabei weniger in der Kritik. Vielmehr wird betont, dass
       durch die E-Mail im Verteiler Kinder und Jugendliche mit „sexuellen
       Inhalten“ konfrontiert wurden.
       
       „Es geht hier um [3][Aufklärung über sexuelle Gewalt] und nicht um sexuelle
       Inhalte“, befindet dagegen Unterzeichnerin Milena Robbers aus Hamburg. Die
       Mail der Gruppe war zudem mit einer Triggerwarnung versehen – anders als
       eine Mail der Verantwortlichen für die Kinder- und Jugendcamps, die Anfang
       2023 speziell an Mitglieder unter 18 geschickt worden war – ohne dass die
       eher vorstandsnahen Verfasser*innen dafür mit Ausschluss bedroht worden
       seien.
       
       Entgegen einer Vorab-Umfrage im Vereinsforum, die eine klare Mehrheit für
       den Vereinsausschluss gezeigt hatte, setzen sich bei der
       Mitgliederversammlung in Präsenz mit über 400 Teilnehmenden mäßigende
       Einflüsse durch: So wird am Ende Robbers, der nur die Unterschrift unter
       die Mail vorgeworfen wird, nur eine Rüge erteilt. Die mittlerweile zwei
       Jahre alte Schreibsperre aber wurde für die Betroffenen pauschal
       verlängert.
       
       Für Brüning, dem neben der E-Mail auch noch vorgeworfen wird, den Vorstand
       mit Prozessen überzogen zu haben, stand die Beschränkung auf eine Rüge
       nicht im Raum. Tatsächlich hatte sich Brüning mit Unterlassungserklärungen
       auch erfolgreich gegen Aussagen des Vorstands gewehrt, die ihm eine
       Mitverantwortung an den Missbrauchsfällen unterstellten. Dem
       Ausschlussantrag kam er bei der Sitzung in Bremen am Samstag durch den
       eigenen Austritt zuvor.
       
       13 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/mensa-missbrauchsvorwuerfe-beim-hochbegabtenverein-a-bddc2a7d-4a11-41bf-b5e5-7ca4c02d086f
   DIR [2] /Prozess-von-Gisele-Pelicot/!6051518
   DIR [3] /Neues-Gesetz-gegen-sexuelle-Gewalt/!6063689
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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