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       # taz.de -- Zivilgesellschaftliche Förderung bedroht: Die gekürzte Demokratie
       
       > Mobile Beratung gegen rechts oder psychosoziale Hilfe für Geflüchtete
       > sind bedroht. Ein Blick auf den Rückzug des Staates aus dem
       > Demokratieschutz.
       
   IMG Bild: Eindrucksvolles Zeichen der Zivilgesellschaft gegen Rechtsradikalismus und die Alternative für Deutschland AFD, Leipzig, 2024
       
       Der Aufstieg der [1][extremen Rechten] scheint unaufhaltsam. [2][Erstmals
       lag die AfD] in einer Sonntagsfrage auf dem ersten Platz. Politisch scheint
       der Kampf gegen den Rechtsextremismus in einer Sackgasse zu stecken, rechte
       Politik wird kopiert, wo es nur geht, während die blauen Balken wachsen.
       Viele [3][zivilgesellschaftliche Initiativen], die Demokratieschutz
       betreiben, fürchten um ihre Existenz.
       
       In vielen Bundesländern und Kommunen drohen Haushaltskürzungen, die die
       Zivilgesellschaft massiv unter Druck setzen. In Sachsen fehlen der
       schwarz-roten Minderheitsregierung, die gerade um den Doppelhaushalt
       2025/26 ringt, wegen gestiegener Kosten 4,3 Milliarden Euro, die die
       Ministerien einsparen müssen. Der Entwurf des Sozialministeriums sieht
       unter anderem bei Demokratieprojekten Einsparungen vor.
       
       In NRW sollen nach Protesten gegen Sozialkürzungen nun rund 40 Millionen
       Euro eingespart werden. Die Förderung der Zivilgesellschaft durch
       Bundesmittel ist ebenfalls keine sichere Bank. Nach dem Aus der Ampel im
       November war der Bundeshaushalt für 2025 geplatzt.
       
       Zwar werden vielen Projekten nun Mittel durch die vorläufige
       Haushaltsführung zugesichert. Wie es mit Schwarz-Rot weitergeht, ist aber
       unklar. Im Koalitionsvertrag heißt es, man wolle das Programm „Demokratie
       leben!“, durch das das Bundesfamilienministerium Hunderte Projekte fördert,
       fortsetzen.
       
       Andrea Walter, die an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung
       NRW zu zivilgesellschaftlichem Engagement forscht, sagt: „Die Lage ist sehr
       angespannt. Die Kürzungsszenarien, die zivilgesellschaftlichen
       Organisationen auf Bundes- und Landesebene drohen, haben eine erschreckende
       Dimension.“
       
       Dass das nicht nur für die Projekte selbst weitreichende Folgen haben
       könnte, weiß Michael Nattke, Geschäftsführer vom Kulturbüro Sachsen e. V.
       Der Verein gehört zu den wenigen mobilen Beratungsstellen in Sachsen, die
       im ganzen Bundesland aktiv sind, um Menschen beim Kampf gegen
       Rechtsextremismus zu unterstützen. Dafür nehmen fünf Teams aus
       Soziologinnen, Jurist:innen, und Historiker:innen weite Wege auf sich,
       fahren auch in entlegene Dörfer im Bundesland.
       
       ## Auf Unterstützung von außen angewiesen
       
       Die Beratungsanfragen seien vielfältig, berichtet Nattke. „Das reicht vom
       Verwaltungsmitarbeiter, der verhindern will, dass Rechtsextreme eine
       Immobilie im Ort kaufen, über den Kirchenvorstand, der nicht weiß, wie er
       mit einem AfD-Mitglied in den eigenen Reihen umgehen soll, bis zu
       Schüler:innen, die Rassismuserfahrungen machen.“
       
       Vielerorts seien die Akteure auf Unterstützung von außen angewiesen. „Die
       wenigen, die sich im ländlichen Raum in Sachsen gegen die Normalisierung
       von Rechtsextremismus wehren, werden dem permanenten Druck ohne
       Unterstützung nicht standhalten können.“
       
       Laut aktuellem Haushaltsentwurf von Schwarz-Rot in Sachsen müssten sie das
       in Zukunft wohl aber. Dem Kulturbüro Sachsen e.V. würde ein Drittel der
       staatlichen Fördermittel wegbrechen. Nicht nur ihm. Etlichen Trägern, wie
       dem „Netzwerk Tolerantes Sachsen“, einem Zusammenschluss von 150
       Initiativen, drohen massive Einsparungen.
       
       Nattke sagt: „Die Konsequenz könnte sein, dass wir ein Drittel von Sachsen
       aufgeben müssen.“ In drei von zehn Orten gäbe es keine Unterstützung mehr
       für Menschen, die rechtsextreme Strukturen zurückdrängen wollen. Dabei
       fehle schon jetzt die Kapazität, um den rund 200 jährlichen Anfragen an den
       Verein gerecht zu werden.
       
       Die Kürzung von Fördermitteln trifft häufig da, wo es für Betroffene
       besonders weh tut. Rund ein Drittel der Menschen mit Fluchterfahrung
       brauchen laut bundesweiter Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren
       für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF e. V.) psychologische Unterstützung.
       Doch nur rund vier Prozent bekommen eine. Diese angespannte Lage droht
       durch Kürzungen zu eskalieren: Einsparungen auf Bundes- und Landesebene,
       sowie von Mitteln aus dem Europäischen Asyl-, Migrations- und
       Integrationsfond bringen die Zentren an ihre Grenze.
       
       Im Koalitionsvertrag schreibt Schwarz-Rot lediglich, dass man die
       psychosozialen Zentren weiterhin unterstützen wolle. In den
       Koalitionsgesprächen war der Punkt ein Streitthema: Während die
       Sozialdemokraten für einen Ausbau von Förderung geworben hatten, lehnte die
       Union das ab.
       
       Dabei sind die psychosozialen Zentren kein Luxusprojekt: „Vielerorts sind
       sie die einzige Möglichkeit, psychologische Unterstützung für Geflüchtete
       zu gewährleisten.“, sagt BAFF-Geschäftsleiter Lukas Welz. Erfolge keine
       zeitnahe Versorgung in den psychosozialen Zentren, könne das in vielen
       Fällen zur Chronifizierung oder Verschlechterung psychischer Erkrankungen
       führen. „Dann müssten mehr Menschen stationär behandelt werden und das
       bedeutet neben vermeidbarem menschlichem Leid auch, dass die Behandlung
       deutlich teurer wird.“
       
       ## Längerfristige Förderzeiträume gefordert
       
       Auf Landesebene wird deutlich, welche Folgen das haben kann. In Aachen
       musste ein Zentrum schließen. Auch in Sachsen bewegt man sich offenbar an
       der Kapazitätsgrenze, weil die Finanzierung für die nächsten Monate nicht
       sicher ist. „Kolleg:innen aus Sachsen berichten von verzweifelten Menschen,
       die weinen, die sich übergeben müssen, die sich in akuten psychischen
       Krisen befinden, aber weggeschickt werden müssen, weil es keine Kapazitäten
       gibt.“
       
       Psychosoziale Zentren würden einen wichtigen Beitrag zur offenen und
       demokratischen Gesellschaft leisten, meint Welz. „Das scheint vielen
       politischen Verantwortungsträgern egal zu sein.“
       
       Zivilgesellschaftsforscherin Walter sagt: „Wenn Strukturen, die mühsam und
       über Jahre aufgebaut wurden, einmal weg sind, kommen sie nicht einfach so
       wieder.“ Deshalb sei es wichtig, über längerfristige Förderzeiträume zu
       sprechen. So kämpfen viele Initiativen und Projekte mit finanzieller
       Unsicherheit, auch wenn keine akuten Kürzungen bevorstehen. Förderzeiträume
       sind oft auf eine Legislaturperiode begrenzt.
       
       Ein Verein in Köln weiß davon zu berichten. Beim Shahrzad e. V, kommen
       gehörlose und schwerhörige Menschen mit Migrationsgeschichte zusammen.
       Einmal wöchentlich diskutieren sie aktuelle Nachrichten. Es geht um Fake
       News, um Israel und die Schuldenbremse. Außerdem werden die Menschen zu
       Terminen bei Behörden und zum Arzt begleitet und bei der Arbeitssuche
       unterstützt.
       
       Mitarbeiter Martin Grebenstein sagt: „Fast alle Strukturen in Deutschland
       sind schlecht aufgestellt, was Intersektionalität betrifft. Geflüchtete
       Menschen mit Behinderung fallen immer wieder aus dem Raster.“ Die
       Nachrichtentreffen seien ein wichtiger Ort für die Menschen, die besonders
       von Isolation und Diskriminierung betroffen seien.
       
       Bisher wird das Projekt durch Gelder vom Bund gefördert, das Programm läuft
       im Herbst aus. Zudem ist Shahrzad e. V. vom Ende der Förderung durch das
       Programm „Komm-An“ in Nordrhein-Westfalen betroffen, das die
       Landesregierung Ende des Jahres hatte auslaufen lassen. Wie es nach dem
       Herbst weitergeht, sei unklar, meint Grebenstein. „Für die Community
       gehörloser geflüchteter Menschen in der Region wäre das Ende dieses
       Projekts ein krasser Einschnitt.“
       
       Der Verlust von sozialen Netzwerken treffe gehörlose Geflüchtete besonders
       hart. Zudem werde die politische Teilhabe reduziert, wenn keine staatliche
       Förderung mehr existiere. „Die finanzielle Sicherheit und den politischen
       Rückhalt, den wir uns wünschen würden, gibt es nicht“, so Grebenstein.
       
       Ohne langfristige und sichere Förderung sei es schwierig, stabile
       Strukturen aufzubauen. So würden private Spenden auf Dauer wichtiger. Auch,
       um sich unabhängiger von politischen Mehrheiten zu machen.
       
       „Gesellschaftliche Verantwortung sollte auch von Unternehmen und privaten
       Spender:innen übernommen werden“, meint Andrea Walter von der Hochschule
       für Öffentliches Recht und Polizei NRW. „Davon haben die Unternehmen ja
       auch selbst etwas: Wer zum Demokratieschutz in der Region beiträgt, macht
       sich für Arbeitnehmer attraktiver.“ Staatliche Förderung könne so trotzdem
       nicht ersetzt werden.
       
       ## Massiv unter Druck
       
       Nicht nur finanziell stehen zivilgesellschaftliche Akteure massiv unter
       Druck. Die Diskussion um staatliche Förderung von Vereinen für
       Demokratieschutz ist zum Kulturkampf geworden. Von ganz rechts werden
       Initiativen seit Jahren angefeindet und bedroht.
       
       Eine Strategie der AfD ist, Vereine, die Kritik an der Partei üben, beim
       Finanzamt anzuzeigen, um für die Aberkennung ihres Gemeinnützigkeitsstatus
       zu sorgen. Dadurch verlieren Vereine Steuervorteile. Dass das zum Teil
       funktioniert, liegt am veralteten Gemeinnützigkeitsrecht: Vereine müssen
       bestimmte Kriterien erfüllen, um als gemeinnützig zu gelten.
       
       Positionieren sie sich aus Sicht des Finanzamts zu politisch, kann eine
       Aberkennung folgen. Im Koalitionsvertrag kündigen SPD und Union eine Reform
       des Gesetzes an. Ob die kommen wird, steht in den Sternen – schon die
       Ampelregierung hatte eine solche versprochen.
       
       Die Angriffe auf die Zivilgesellschaft kommen nicht nur von rechtsaußen. Im
       letzten Bundestag blockierte die FDP das Demokratiefördergesetz, das für
       eine stabilere Finanzierung von Projekten sorgen sollte. Die Liberalen
       argumentierten, dass ein solches besonders linke identitätspolitische
       Projekte unterstützen würde.
       
       Auch die Union beteiligte sich am Kulturkampf, als sie kurz nach der
       Bundestagswahl eine kleine Anfrage an die Bundesregierung stellte, in der
       sie die politische Neutralität von Organisationen infrage stellte, die zum
       Teil zu Demos gegen eine Zusammenarbeit von Union und AfD aufgerufen
       hatten.
       
       Expertin Walter meint: „Wir können eine Verschiebung im Diskurs beobachten.
       Die Wertschätzung für zivilgesellschaftliches Engagement fehlt.“ Mit der
       kleinen Anfrage habe die Union suggeriert, dass die Zivilgesellschaft Geld
       bekomme, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. „Dadurch wurde das Vertrauen
       der zivilgesellschaftlichen Akteure aufs Spiel gesetzt. Das muss jetzt
       zurückgewonnen werden.“
       
       Zivilgesellschaft ist aber kein Selbstläufer. „Wir müssen verstärkt in
       diese Strukturen investieren.“ Ansonsten sei denkbar, dass sich immer mehr
       frustriert zurückziehen würden.
       
       14 Apr 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Joscha Frahm
       
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