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       # taz.de -- Nachwuchs bei Schildkröten: Dem Eiland sei Dank
       
       > Im Zoo von Philadelphia kriegt eine beinahe hundertjährige
       > Galapagos-Schildkröte Nachwuchs. Warum das kein großes Wunder ist.
       
   IMG Bild: Nicht eine, vier Schildkröten sind geschlüpft
       
       Die Geschichte mit dem Hasen und dem Igel kennt man ja. Ihre Wurzeln lassen
       sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen, und doch ist sie nur ein
       modernistischer Abklatsch der eigentlichen Story vom Hasen und der
       Schildkröte. Die wurde von Äsop schon im 6. Jahrhundert vor Christi
       aufgeschrieben und geht so: Großmäuliger, arroganter, höhnischer Hase und
       Schildkröte treten zum Wettlauf an, Hase haut sich unterwegs aufs lange
       Ohr, er kann’s sich ja leisten, aber Schildkröte lässt sich nicht
       irritieren und läuft stur weiter. Als der Hase aufwacht, ist sie
       uneinholbar vorn.
       
       Wenn nun, wie vor wenigen Wochen, der Zoo von Philadelphia stolz vermeldet,
       dass seine Galapagos-Riesenschildkröte mit dem nun zutreffenden Namen
       „Mommy“ im Alter von fast 100 Jahren erstmals Eier gelegt hat und [1][vier
       Kinder geschlüpft sind], kann man zu Recht auf Äsop verweisen: Sie ist eben
       doch ans Ziel gekommen. Wobei das vermeintlich hohe Alter gar keine
       Sensationsmeldung ist. Denn Riesenschildkröten können auch gut doppelt so
       alt werden, und sie bleiben bis zum Schluss reproduktiv aktiv. Der Grund
       dafür? Das Ausbleiben von Seneszenz.
       
       Unter Seneszenz versteht man die Tatsache, dass im Alter allerlei
       Körperfunktionen nach und nach den Geist aufgeben. Das Knie knurpselt, der
       Rücken rumpelt, selbst bei bester Bioernährung macht der Blutdruck
       irgendwann seltsame Sachen. Auch die Eierstöcke stellen irgendwann ihre
       Arbeit ein, aber immerhin muss frau sich dann um Verhütung keine Gedanken
       mehr machen.
       
       ## Sie altern extrem langsam
       
       Nicht so bei Schildkröten. Die haben nämlich die Fähigkeit,
       Alterungsprozesse auszusetzen, wenn die äußeren Umstände gut sind. Der
       evolutionäre Grund dafür dürften die harschen Bedingungen sein, mit denen
       sie seit jeher konfrontiert sind. So gelangten die Vorfahren der
       Riesenschildkröten vermutlich auf wochen- bis monatelangen Irrfahrten, die
       sie auf Totholz zubrachten, auf so entlegene Stellen der Erde wie die
       Galapagosinseln.
       
       Auch auf den Eilanden gab es aufgrund ihrer vulkanischen Entstehung
       mitunter kaum brauchbare Lebensbedingungen für die Pflanzenfresser. Dank
       ihrer Zähigkeit haben die Schildkröten trotzdem überlebt – und da wäre es
       doch blöd, wenn das wegen irgendeiner Menopause umsonst gewesen wäre.
       
       So wird bis heute auch mit hundert Jahren noch munter drauf los
       geschildkrötelt, Gelege mit dutzenden Eiern sind die Folge. Und das ist
       auch die Hoffnung in Philadelphia und einer Reihe weiterer Zoos, die
       bereits erfolgreich Galapagos-Riesenschildkröten züchten. Denn [2][auf
       ihren Heimatinseln] steht es nicht gut um die Panzerträger. An ihnen selbst
       liegt’s nicht – der Mensch ist Schuld. Der hat erst Hunderttausende der
       langsamen Riesen als Lebendfleischvorrat für Segelschiffe eingesammelt, den
       Rest haben seine verwilderten Haustiere wie Ziegen, Schweine und Katzen
       erledigt.
       
       Vier von den ursprünglich fünfzehn Formen der Galapagos-Riesenschildkröten
       sind bereits ausgerottet, auch von anderen haben [3][nur wenige Exemplare
       überlebt]. Die aber immerhin haben noch die Chance, sich in Zoos und
       Zuchtstationen ordentlich zu vermehren und so ihre alte Heimat irgendwann
       neu zu besiedeln – dank des hohen Alters mit unverminderter
       Reproduktionskraft und hoher Nachkommenszahl kein abwegiges Ziel.
       
       Fruchtbarkeit pur also bis ins höchste Alter. Auch dieser Wettstreit geht
       klar an die Schildkröte. [4][Der Osterhase], der seinen Job ja diversen
       Fruchtbarkeitsmythen verdankt, ist also, man kann es nicht anders sagen,
       eine traurige Fehlbesetzung. Da kann er prahlen, höhnen und Fake-Eier
       austragen, wie er will.
       
       20 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.philadelphiazoo.org/news/four-critically-endangered-galapagos-tortoises-hatch-at-philadelphia-zoo/
   DIR [2] /Riesenschildkroeten-auf-Galapagos/!5078863
   DIR [3] /Verloren-geglaubte-Spezies-gesichtet/!5575323
   DIR [4] /Die-Wahrheit/!5923086
       
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