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       # taz.de -- Debatte über Öffentlich-Rechtliche: Hier läuft etwas schief
       
       > Die AfD will die öffentlich-rechtlichen Medien abschaffen. Doch die
       > größte Gefahr liegt woanders. Die Sender sind von innen heraus bedroht.
       
   IMG Bild: Die Öffentlich-Rechtlichen wollten die Gesellschaft zusammenhalten. Lange her
       
       Gegen Bedrohungen von außen ist das deutsche öffentlich-rechtliche
       Rundfunksystem ganz gut abgesichert, immerhin das. Angesichts der Angriffe
       durch die AfD (Bezeichnung der öffentlich-rechtlichen Medien als
       Instrumente für „Indoktrination und Propaganda“, Forderung ihrer
       Abschaffung) haben sich neulich auf der Internetplattform
       [1][verfassungsblog.de] die Juristen Marc Bovermann und Samuel Stowasser
       Gedanken darüber gemacht, und sie können erst einmal Entwarnung geben.
       Durch einschlägige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sei der
       öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland gegen Versuche, ihn zu
       zerschlagen, „gut geschützt“, sagen sie.
       
       Anders sieht es allerdings mit Bedrohungen von innen aus.
       „Demokratiefeindliche Strömungen gehen subtil vor und versuchen,
       demokratische Institutionen mit demokratischen Mitteln von innen heraus zu
       zersetzen“, schreiben Bovermann und Stowasser.
       
       Das ist das eine. Und das andere, das man hinzufügen kann, ist: Sieht man
       sich manche Entwicklungen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender an,
       kann man zum Befund kommen, dass sie den rechten Strömungen längst ein
       Stück weit von sich aus entgegenkommen. Keineswegs unbedingt bewusst.
       Teilweise vielleicht sogar mit den besten demokratischen Absichten. Im
       Endeffekt aber ziemlich eindeutig: Eine Bedrohung von innen heraus ist da.
       
       Ulrike Demmer, die Intendantin des RBB, hat für ihren
       berlin-brandenburgischen ARD-Sender etwa ein neues Motto ausgegeben, „Vom
       Hauptstadt-Sender zum Heimat-Sender“ lautet es, ein Anlass, hellhörig zu
       werden. Denn wie ist dieser Ansatz anders beschreibbar denn als Versuch,
       mit seinen Programminhalten ins Unverbindliche zu flüchten, vom
       Journalistisch-Analytischen ins Gefühlige, Kuschelige? Hat das nicht etwas
       von Seinen-Kopf-Einziehen?
       
       ## Anschlussfähig nach rechts
       
       Die Schriftstellerin Kathrin Röggla, als Vertreterin der Berliner Akademie
       der Künste zwei Jahre lang im Rundfunkrat des RBB tätig, hat dieses Motto
       in einem auch sonst fulminanten Interview in der FAS als „anschlussfähig
       nach rechts“ bezeichnet. Damit hat sie recht. Das Motto sperrt sich
       zumindest nicht gegen einen vorauseilenden Gehorsam gegenüber einem sich
       ins Neurechte verschiebenden gesellschaftlichen Diskurs.
       
       Doch es wäre wohl falsch, die Bedrohung der öffentlich-rechtlichen Sender
       von innen nur als Reaktion auf sich verändernde politische
       Rahmenbedingungen zu beschreiben. Vielmehr sind auch fragwürdige interne
       Prozesse im Spiel, offenbar vor allem Machtverschiebungen von den
       inhaltlichen Redaktionen weg und hin zu den Leitungsebenen mit ihrer
       Gremienarbeit und ihren Beraterverträgen.
       
       Zuletzt hat es drei Aufregerthemen gegeben, an denen sich festmachen
       lässt, dass in dieser Gemengelage fragwürdige Entscheidungen getroffen
       werden. Als Erstes war da die [2][Debatte um Thilo Mischke] als zunächst
       vorgesehenen, dann doch abgelehnten Moderator von „titel thesen
       temperamente“. Es war dabei schlicht ernüchternd, zu sehen, auf welch
       niedriges Niveau die Führungsgremien der ARD die Kulturberichterstattung
       des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu senken bereit sind. Inhaltliche
       Auseinandersetzung mit den Künsten, schwierig, schwierig, was sich die
       Leitungsebenen vorstellten, war offenbar stattdessen ein populäres
       Dampfplaudertum.
       
       Dann kam [3][Dieter Hallervorden.] Die ARD hat hier nicht nur einen
       89-Jährigen das N-Wort vor einem Millionenpublikum in die Kamera sagen
       lassen, sie hat das Ganze auch als aktuell brisante Satire zu inszenieren
       versucht, als drohe in so einem Fall tatsächlich Gefängnis – wo man sich
       tatsächlich doch nur als gestrig und zutiefst unsensibel selbst outet.
       Womöglich reden sich manche in den Gremien tatsächlich ein, damit eine
       „Debatte“ ausgelöst zu haben, aber kann auch sein, dass ihnen in
       Wirklichkeit die ganze Sache selbst ziemlich peinlich ist.
       
       ## Dämonisierung von Migration
       
       Schließlich, ganz aktuell, die Sendung „Klar“ mit der Moderatorin Julia
       Ruhs. Angekündigt wurde sie mit Verve als tabubrechende Thematisierung der
       Migrationsprobleme – als ob drei Viertel des Bundestagswahlkampfs sich
       nicht darum gedreht hätten –, heraus stellte sie sich als Dämonisierung von
       Migration.
       
       Interessant der Versuch von Michael Martens in der FAZ, die Sendung zu
       verteidigen. Martens fährt selbst eine ganze Reihe Einwände gegen die
       Sendung auf, findet sie aber dann nicht so schlimm, denn, so lässt sich
       sein Argument fassen: Ein Publikum für solche Sendungen gibt es, und wenn
       es nicht die ARD macht, würden die privaten Sender es bedienen. Unter
       anderem fragt Martens angesichts der Sendung, ob es eigentlich irgendwo ein
       Gesetz gebe, „laut dem immer, wenn ein krimineller Ausländer in einer
       Reportage gezeigt wird, eine bedrohlich-dräuende Tonuntermalung einsetzen
       muss?“ Genau. Wäre es nicht wirklich besser, die ARD würde solche billige
       Demagogie den Privaten überlassen (und noch besser, auch die würden das
       lassen)?
       
       Drei ganz unterschiedliche Fälle, natürlich, aber was sie doch gemeinsam
       haben, ist ihr jeweiliger Populismus und jeweils ein Kampf gegen Popanze:
       gegen einen vermeintlich noch vorherrschenden „Samtjackett“-Feuilletonismus
       bei Thilo Mischke, eine vermeintlich an die Macht gekommene Sprachpolizei
       bei Dieter Hallervorden und eine vermeintlich linksgrün versiffte
       Meinungshegemonie bei Julia Ruhs.
       
       Der Effekt: Seinem Publikum vermittelt das öffentlich-rechtliche Fernsehen,
       dass es ruhig auf dem Sofa vor der Glotze sitzen bleiben kann, weil alles
       gut wäre, wenn nicht blöderweise immer Probleme von außen auf es zukommen
       würden, in die Welt getragen von Intellektuellen, Sprachidentitären, grünen
       Gutmenschen und Migranten. Wenn die nicht wären, wäre alles paletti. Eine
       mediale Beruhigung durch Ausgrenzung.
       
       ## Die Gesellschaft zusammenhalten
       
       Was passiert hier? Eine schleichende Öffnung nach rechts? Die Vermutung
       kann man haben. Doch das ist es nicht nur. Tatsächlich kann man sich
       darüber hinaus längst fragen, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht
       ein unaufgearbeitetes Selbstverständnisproblem hat.
       
       Gegründet wurde er im Kern mit dem Auftrag, für alle da zu sein, für die
       Gesellschaft als Ganzes, von da aus legitimierte sich auch der allen
       Bürger*innen auferlegte Rundfunkbeitrag. Über die Grundversorgung mit
       Informationen ging dieser inhaltliche Auftrag vom Selbstverständnis der
       Institution her stets hinaus. Neben den Kirchen, Gewerkschaften, Parteien
       und Vereinen verstanden sich die öffentlich-rechtlichen Medien immer als
       eine Instanz, die die Gesellschaft zusammenhält: Egal, was auch in der Welt
       geschehen mag, um 20 Uhr versammelt sich die Gemeinschaft der
       Fernsehschauenden vor der „Tagesschau“; das ist dann auch die
       gesellschaftliche Mitte.
       
       Nun braucht man aber niemandem mehr zu erzählen, dass dieses „für alle“
       längst bröckelt. Und in ihrer Panik, dadurch ihre Legitimation zu
       verlieren, scheinen die Leitungsgremien auf die Idee zu verfallen, eine Art
       Schwundstufe der gesellschaftlichen Mitte zu konstruieren und bedienen zu
       wollen – einen angenommenen Mainstream, der sich zufriedengibt mit
       abgesenkten journalistischen Ansprüchen, kulturkämpferischem Populismus
       und einer Ausbeutung gesellschaftlicher Problemlagen, die man mit dem
       Soziologen Steffen Mau als Bewirtschaftung von Triggerpunkten bezeichnen
       kann.
       
       Anders als mit solchen fragwürdigen Mitteln können sich die Leitungsebenen
       offenbar den Kampf um Aufmerksamkeit in der durch die privaten Sender und
       vor allem auch durch die sozialen Medien veränderten Medienlandschaft nicht
       vorstellen.
       
       ## Weniger Kuscheligkeit
       
       Sie könnten aber auch ganz andere Folgerungen aus der zugegeben komplexen
       Lage ziehen und sollten das auch tun. Weniger Beraterverträge, weniger
       Führungsebenen, dafür wieder mehr Aufmerksamkeit für die inhaltliche Arbeit
       der Redaktionen! Ernsthafte Kulturberichterstattung. Eine
       Politikberichterstattung, die an den gesellschaftlichen Problemlagen
       interessiert ist und nicht Politiker*innen als Matadore des
       Meinungsstreits in Talkshows vorführt. Insgesamt vielleicht ein Stück weit
       weniger Gefühl und Kuscheligkeit und mehr Sachlichkeit und Analyse.
       
       Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist und bleibt ja wichtig. Er setzt
       immer noch gesellschaftliche Wirklichkeit. Wer sollte denn überhaupt noch
       die journalistischen und auch filmemacherischen Maßstäbe hochhalten, wenn
       nicht diese dem Marktgeschehen entzogene und trotz der auf die Etats
       drückenden Pensionsansprüche mit Recherchemitteln gut ausgestattete
       Institution?
       
       Was ihre Legitimation tatsächlich bedroht, ist nicht das bröckelnde „für
       alle“, sondern der Zynismus eines populistischen Programms.
       
       20 Apr 2025
       
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