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       # taz.de -- Deutsch-österreichische Grenze: Kontrollen waren illegal
       
       > Ein österreichischer Dozent wehrte sich gegen eine Kontrolle kurz hinter
       > Passau. Der Münchener Verwaltungsgerichtshof gab ihm nun recht.
       
   IMG Bild: Auch die Deutsche Bahn leidet darunter: Grenzkontrolle zwischen Österreich und Bayern
       
       Berlin taz | Die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze laufen
       seit 2015. Mitte März hat der Münchener Verwaltungsgerichtshof (VGH)
       entschieden, dass die Kontrollen zumindest 2022 illegal waren. Jetzt liegt
       die schriftliche Begründung vor.
       
       Kläger war [1][der österreichische Jurist Stefan Salomon], der an der Uni
       Amsterdam lehrt und deshalb immer wieder quer durch Deutschland reisen
       muss. Am 11. Juni 2022 saß er im ICE und wurde kurz hinter Passau wie alle
       Mitreisenden von der deutschen Bundespolizei kontrolliert. Salomon zeigte
       seinen Ausweis, klagte aber gegen die Kontrollen, die er nach sieben Jahren
       längst für illegal hielt.
       
       Vor dem Verwaltungsgericht München hatte er im Januar 2024 noch keinen
       Erfolg. Das Gericht deutete zwar an, dass die Grenzkontrollen rechtswidrig
       seien, es lehnte aber Salomons Klage als unzulässig ab, weil keine
       Wiederholungsgefahr drohe. Dies sah der VGH München nun anders.
       
       Da Salomon immer wieder kontrolliert wurde und ein Ende der Grenzkontrollen
       nicht abzusehen sei, bestehe durchaus eine Wiederholungsgefahr; die Klage
       sei also zulässig gewesen. Und auch in der Sache hatte Salomons Klage
       Erfolg. Die Anordnung von Grenzkontrollen durch die deutsche
       Bundesregierung sei jedenfalls vom 12. Mai bis zum 11. November 2022 nicht
       vom Schengener Grenzkodex gedeckt und damit rechtswidrig gewesen.
       
       ## Keine neuen Gründe
       
       Wie der VGH München nun feststellte, hat die Bundesregierung im Frühjahr
       2022 die gleichen Gründe für die Grenzkontrollen vorgebracht wie ein halbes
       Jahr zuvor: Es kämen nach wie vor viele Migrant:innen an den südlichen
       und südwestlichen Außengrenzen Europas an. Damit habe die Bundesregierung
       keine „neue ernsthafte Bedrohung“ als Begründung für die Grenzkontrollen
       genannt. Es gebe auch keinen Grund, das EU-Recht einfach zu ignorieren, so
       das Münchener Gericht.
       
       Der Wegfall der Kontrollen an den EU-Binnengrenzen gilt als eine große
       Errungenschaft der Europäischen Union. Nur ausnahmsweise und nur für
       begrenzte Zeit sind sie zulässig. Diese Ausnahmen sind [2][im Schengener
       Grenzkodex], einer direkt geltenden EU-Verordnung, geregelt. Im Jahr 2022
       galt für Grenzkontrollen, die mit einer Gefahr für die innere Sicherheit
       begründet werden, eine Höchstdauer von sechs Monaten. Die Halbjahresfrist
       durfte nach Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nur überschritten
       werden, wenn es neue Gefahren für die innere Sicherheit und damit eine neue
       Begründung für die Grenzkontrollen gab.
       
       Die Münchener Richter:innen ließen keine Revision zu, weil der Fall
       keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dies liegt wohl daran, dass die
       Entscheidung nur Kontrollen an den Grenzen zu Österreich im Zeitraum von
       Mai bis November 2022 betrifft. Unter dem Eindruck eines damals neuen
       EuGH-Urteils (das ebenfalls Stefan Salomon erstritten hatte) begründete die
       Bundesregierung schon die Grenzkontrollen ab November 2022 anders und wies
       auf die laxe Visavergabe durch Serbien als „neue Bedrohung“ hin. Die
       Kontrollen der Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz wurden ohnehin
       erst im Herbst 2023 eingeführt, die Kontrollen an den übrigen deutschen
       Grenzen, etwa zu Frankreich und Dänemark, sogar erst ein Jahr später im
       Herbst 2024.
       
       Außerdem erlaubt der Grenzkodex seit einer Novelle im Sommer 2024 auch
       Verlängerungen der Grenzkontrollen auf bis zu insgesamt zweieinhalb Jahre.
       Es ist im Moment also völlig unklar, welche Kontrollen an den deutschen
       Grenzen noch legal oder schon illegal sind. Erforderlich wäre eine Vielzahl
       weiterer Klagen und Gerichtsurteile.
       
       Doch außer dem [3][umtriebigen Stefan Salomon] scheint die Rechtmäßigkeit
       der Grenzkontrollen kaum jemand zu interessieren, vermutlich weil die
       Grenzkontrollen ohnehin eher Symbolpolitik sind. In der Regel kontrolliert
       die Bundespolizei nämlich nur stichprobenartig, um den Verkehr und den
       Warenzufluss nicht allzu sehr aufzuhalten.
       
       (Az.: 10 BV 24.700)
       
       21 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://verfassungsblog.de/author/stefan-salomon/
   DIR [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EU)_2016/399_(Schengener_Grenzkodex)
   DIR [3] https://www.mmg.mpg.de/person/95945/2541
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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