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       # taz.de -- Stadtteilzentrum in Ex-Klohäuschen: Insel des Miteinander
       
       > Ein ehemaliges Klohäuschen in Hamburg-Rothenburgsort beherbergt das
       > selbstorganisierte Stadtteilzentrum „Mikropol“. Demnächst im Programm:
       > Comics.
       
   IMG Bild: Vormalige Bedürfnisanstalt, von Baustellen umringt: das „Mikropol“
       
       Hamburg taz | An einem sonnig-kühlen Frühlingsmittag sitzen etwa ein
       Dutzend Menschen vor dem eingeschossigen Backsteinhäuschen. Autoverkehr
       brandet schubweise um sie herum, umgeleitet durch eine raumgreifende
       Baustelle.
       
       Das kleine Bürgerzentrum am Billhorner Mühlenweg, im Hamburger Stadtteil
       Rothenburgsort, war mal ein Klohäuschen: Es steht auf einem
       Straßenmittelstreifen, einer sommertauglichen Erweiterung zu den 50
       Quadratmetern drinnen. Zur einen Seite hin ist eine Art Garten angelegt,
       darin steht ein Container für Spielmaterial; zur anderen, quasi der
       „Flanierseite“ hin steht ein großer Holztisch mit Bänken.
       
       Es war so etwas wie eine Notlösung, nachdem das alte Bürgerzentrum „Die
       RothenBurg“ 2017 ersatzlos geschlossen worden war. 2019 wurde das kleine
       Häuschen „umgebaut von Nachbar:innen, Freund:innen und Kompliz:innen
       zu einem selbstorganisierten Stadtteilzentrum“, so beschreiben es die
       Macher:innen; „einem Ort der Nachbar:innenschaft, des Begegnens, der
       Solidarität“.
       
       Von Anfang an gab es den Wunsch nach mehr Platz. „Das [1][Mikropol] ist
       derzeit im Prozess zu einem neuen Standort für ein Stadtteilzentrum
       eingebunden, es ist aber noch nichts spruchreif“, erklärt Lisa Zander,
       zusammen mit Marius Töpfer, Manuel Hassel und Barbara Niklas im Vorstand
       des „Mikropol e.V.“: Das könnte zu tun haben mit dem nahe gelegenen
       „Branntweinmonopol“, genauer: der Hamburger Niederlassung der
       „Bundesmonopolverwaltung für Branntwein“; [2][12.500 Quadratmeter im
       Bundesbesitz sollen eine soziale, kulturelle, produktive Nutzung erhalten.
       ]
       
       Vorerst ist der Außenraum am Häuschen also umso wichtiger: Er ist jederzeit
       zugänglich, hier kann sich jede:r niederlassen, an einer Wand ist ein
       Regal für Lebensmittelspenden angebracht. Der Ort möchte allen der etwa
       9.000 Rothenburgsorter:innen offen stehen, nicht nur den vielen hier,
       denen es an Materiellem mangelt. Hier treffen sich die Menschen auch, um
       Mietfragen zu erörtern, zum Beispiel; es wird viel saniert, abgerissen und
       gebaut in Rothenburgsort.
       
       [3][Regelmäßige Aktivitäten] drinnen sind draußen auf Plakaten angekündigt:
       „Cäffchen“, „Spielunke“, der offene Handarbeitstreff „Flotte Masche
       Mikropol“, die Diskussionsrunde „Mikropolitiken“. Neu im Programm ist die
       „Teststrecke Comics in RBO“, ein Programm für und mit grafischer Literatur,
       erst mal bis Ende des Jahres.
       
       „Es läuft super“, sagt Lisa Zander. „Seit über fünf Jahren ist das Mikropol
       ein Ort der Nachbarschaft, der durch seine Insellage immer wieder neue
       Leute anspricht und immer mehr Menschen dazu bringt, Teil zu werden und
       gemeinsam den Raum zu gestalten. Wir hoffen, dass auch das Programm von Jul
       das weiter tut.“
       
       Jul, das ist die Comiczeichnerin Jul Gordon. Sie hat zusammen mit ihrer
       Kollegin [4][Eva Müller] das Comic-Veranstaltungsprogramm kuratiert. Auch
       dafür gibt es kleine Plakate, selbstgedruckt, die nun draußen am Häuschen
       hängen – aber mehr noch an einschlägigen Stellen „in der Stadt“.
       
       ## Zeichner*innen-Projekt gegen Rassismus
       
       Es wird Ausstellungen, Lesungen, Workshops, Performances und ein
       Kinderprogramm geben, unter Titeln wie „cute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder
       „Schläfrige Schlangen“. Anwohner:innen können bei vielem davon mitmachen,
       gratis und ohne Vorkenntnisse. Die beteiligten Zeichner:innen – Mia
       Oberländer, Julia Wazinski, Erik Müller, Ayşe Klinge, Meikey To, Julia
       Huber, Jill Pastore, Helena Baumeister, Jens Cornils, Tanja Esch und Yara
       Jacobs – kommen aus Hamburg, einige leben in Rothenburgsort.
       
       Sie überschneiden sich personell mit dem Projekt „Wie geht es dir?
       Zeichner*innen gegen Rassismus, Hass und Antisemitismus“. Es bildete
       sich im Januar 2024 aus Anlass des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023. Die
       Idee: die Sprachlosigkeit zu lösen, Mitgefühl auszudrücken, Dialog zu
       eröffnen.
       
       Das scheint in Form von Zeichnungen vielschichtiger, auch friedlicher zu
       gelingen als in manchen Gesprächen: Aus 60 gezeichneten Begegnungen
       zwischen Traumatisierten und Betroffenen einerseits, Künstler:innen
       andererseits, ist ein Buch entstanden, [5][erschienen im renommierten
       Avant-Verlag]. Mit einer Buchvorstellung beginnt nun die
       [6][Comic]-„Teststrecke“ im Mikropol.
       
       Ist das von viel Wasser umgebene [7][Rothenburgsort], südöstlich des
       Hamburger Hauptbahnhofs gelegen, hinter der Hafencity, nun ein Ort, dem in
       Sachen Selbstorganisation und niedrigschwelliger Kultur auf die Beine
       geholfen werden muss? Die Gentrifizierung ist hier längst am Werk, und
       Kunstschaffende spielen eine ambivalente Rolle: In der benachbarten
       Marckmannstraße werden seit Jahren Leerstände von Kreativen genutzt – bis
       sie anderweitig benötigt werden (oder abgerissen). Da, wo früher das
       Gebäude der Firma Albert Mund Rohr- und Stahlhandel stand, wachsen nun die
       Eigentumswohnungen der Siedlung „Rodenborg“ in den Himmel.
       
       Gegenüber dem Mikropol, jenseits des Verkehrsstroms, sieht das Viertel fast
       aus wie vor 15 Jahren: Schnellrestaurants in Flachbauten, daneben
       Mietshochhäuser. Dahinter löst seit 2012 der Marktplatz die einst luftig
       aufgestellten Geschäftshäuser durch eine Art Burghof ab. Außer dem Lokal
       „Chaplin“ ist hier alles neu: Discounter, Drogeriekette, Frisörladen,
       Imbissbude, Apotheke, Bank, Seniorenresidenz – und viel Leerstand. Im
       Infokasten hängen noch die Adressen für die Coronahilfe. Und die Info, dass
       in St. Erich keine Messen stattfinden – wegen der Baustellen.
       
       2 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://mikropol.de/de
   DIR [2] /Verteilung-der-Stadt/!5565074
   DIR [3] https://www.instagram.com/mikropol_rbo/
   DIR [4] /Scheiblettenkind-von-Eva-Mueller/!5903436
   DIR [5] https://www.avant-verlag.de/comics/wie-geht-es-dir/
   DIR [6] /Comic/!t5009912
   DIR [7] /Niedergang-einer-lokalen-Oekonomie/!5957539
       
       ## AUTOREN
       
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       Gelände der ehemaligen Bundesmonopolverwaltung für Branntwein