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       # taz.de -- Leistungssport Turnen: Ein Balanceakt
       
       > Nach Vorwürfen von Machtmissbrauch steckt das Frauenturnen in der Krise:
       > Wie das Training für den Nachwuchs an einem Leistungszentrum aussieht.
       
   IMG Bild: Fernziel Olympische Spiel: Melina Buchfink, 13, wurde 2024 Deutsche Meisterin
       
       Was ist das Schönste am Turnen? „Das Team“, sagen Melina und Clara, „und
       wenn man so in der Luft ist und sich so dreht. Also, das Gefühl, zu
       turnen.“ Ist das besser als Schule? „Ja, Turnen ist besser als Schule, weil
       man nicht so viel schreiben und nicht so viel lernen muss, lernen tut man
       ja während des Trainings und das macht meistens Spaß.“ Und wenn es mal
       keinen Spaß macht? „Wenn beim Turnen was nicht klappt, dann kann ich halt
       was anderes machen, in der Schule geht das nicht“, sind sich die beiden
       Mädchen einig.
       
       Das leere Rudi-Seiter-Turnzentrum in Karlsruhe hat etwas von einer großen
       Spielwiese: In der Mitte die zwölf mal zwölf Meter große blaue Bodenfläche,
       an der Längswand die sogenannte Akro-Bahn, eine Turnmattenbahn für das
       Training von Höchstschwierigkeiten, an deren Ende eine Grube voller
       Schaumstoffschnitzel steht, die für eine weiche Landung sorgen.
       
       Dazwischen Trampoline, dünne und dicke Weichmatten, Schwebebalken und Ringe
       hier, Stufenbarren und einzelne Holme dort. In der Halle verteilt außerdem
       viele viereckige Mattenblöcke, Sprungbretter, Kästchen und Regale voller
       Gerätschaften: Gummibänder, Gewichte, spezielle Klötze fürs
       Handstandtraining. An den Wänden hängen Poster vergangener Großereignisse:
       Bundesligafinale, Welt- und Europameisterschaften, die Olympischen Ringe.
       In der Dachkonstruktion, über die ganze Länge der Halle, eine Lichtkuppel.
       
       Das deutsche Frauenturnen ist in der Krise. Seit Dezember vergangenen
       Jahres haben zahlreiche Athletinnen über [1][massiven Machtmissbrauch
       berichtet]: Schikanen, Erniedrigungen, Drohungen, Training trotz
       Verletzungen. Im Zentrum der Vorwürfe steht der Bundesstützpunkt in
       Stuttgart, wo eine Trainerin und ein Trainer entlassen wurden. Die
       Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt wegen Nötigung.
       
       Zuletzt wurden außerdem die Bundestrainerin Nachwuchs sowie die leitende
       Bundesstützpunkttrainerin in Mannheim für vier Wochen freigestellt – auch
       hier laufen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Bereits 2020 waren
       ähnliche Schilderungen aus dem Bundesstützpunkt Chemnitz öffentlich
       geworden. In Deutschland waren und sind inzwischen also alle drei
       Bundesstützpunkte Turnen Frauen betroffen. Der Deutsche Turner-Bund (DTB)
       verspricht Aufarbeitung: „Es wird nichts unter den Teppich gekehrt“,
       erklärte Präsident Alfons Hölzl Ende Februar.
       
       Die Vorwürfe haben auch über die Turnszene hinaus Beachtung gefunden, es
       sogar bis in die „Tagesschau“ geschafft. Wie ist der Trainingsalltag für
       junge Turner*innen an einem Landesstützpunkt, wo letzten Endes vor allem
       eines zählt: Leistung?
       
       Einige Mädchen sind schon da, im Rudi-Seiter-Turnzentrum, und spielen
       Fangen. Auch Clara und Melina sind heute gleich nach der Schule hergekommen
       und vertreiben sich die Zeit bis zum Trainingsbeginn. Bald füllt sich der
       schmale Gang auf einer Längsseite mit Eltern, Großeltern und
       Geschwisterkindern. Zum Trainingsbeginn tummeln sich rund 30 kleine und
       etwas größere Mädchen in orange- oder pinkfarbenen Turnanzügen und mit
       kurzen schwarzen Hosen um sechs Trainerinnen und Trainer.
       
       Goneta Dervisholli steht an einem Kasten am Rand der Bodenfläche und klappt
       ihr Tablet auf. Sie betreut die Gruppe der Ältesten, die Mädchen sind
       zwischen 11 und 13 Jahre alt. Zur Erwärmung laufen die einen Runden auf der
       Bodenfläche, andere nehmen die restliche Halle in Beschlag. Es wirkt
       wuselig, aber offenbar gibt es eine klare Ordnung, denn keine Gruppe kommt
       einer anderen in die Quere.
       
       Dervisholli sprang erstmals mit 16 Jahren in ihrem Heimatverein als
       Trainerin ein. Mittlerweile hat die 30-Jährige ein abgeschlossenes
       Sportstudium, die Trainer-A-Lizenz und acht Jahre Erfahrung in Karlsruhe.
       Beim Zuschauen ist schnell klar, dass hier nicht nur gespielt wird:
       Rücklings krabbeln die Mädchen an der Wand hoch in einen kerzengeraden
       Handstand, führen einen Arm an die Körperlängsseite und verharren souverän
       in dieser Position. Dann wechseln sie auf die Bodenfläche und drücken sich
       kontrolliert aus der Grätsche auf Handstandklötzen in die Senkrechte. Im
       Schulsport lernt man so etwas nicht.
       
       Melina und Clara üben an fünf Tagen in der Woche. Zusammen mit zwei
       Frühtrainings bringen sie es auf sieben Einheiten. „Das Maximum sind circa
       22 Stunden pro Woche“, sagt Dervisholli: „Der Mittwoch ist komplett frei.
       Da sind wir uns alle einig, wir brauchen einen freien Tag, nicht nur die
       Athleten, auch die Trainer.“
       
       Die Mädchen wechseln derweil zum wiederholten Mal von der einen
       Handstandübung zur anderen. Melina guckt schon ein wenig müde. Ihr
       Konterfei hängt an der Wand über ihr, der Schriftzug heißt: „Unsere
       deutschen Meister“. 2024 wurde Melina Buchfink, die im Januar 13 Jahre alt
       geworden ist, deutsche Meisterin am Boden. Clara Schwertner wird im April
       zwölf Jahre alt. Sie besuchen die siebte beziehungsweise sechste Klasse
       einer Partnerschule des Zentrums. Wie weitere Turnerinnen hier gehören sie
       dem DTB-Nachwuchskader an. Mehrmals pro Jahr werden sie zu Lehrgängen des
       Verbands ins nationale Trainingszentrum nach Frankfurt am Main eingeladen.
       
       Clara sagt: „Der Kader ist schon sehr wichtig, es ist mein Ziel, in den
       höchsten Kader zu kommen, in den ich kommen kann.“ Das sieht Melina
       anders: „Mir ist das eigentlich egal, in welchem Kader ich bin, weil ich
       selber weiß, dass ich gut bin.“
       
       Die Kaderzugehörigkeit gilt als Auszeichnung: In Melinas Alterklasse zum
       Beispiel sind darin nur 16 Turnerinnen aus dem gesamten Bundesgebiet. Es
       geht auf die Bodenfläche. „Alle, die Sonntag Wettkampf haben, turnen ganze
       Übungen“, ruft die Trainerin. Die Mädchen verteilen sich auf zwei Ecken der
       Fläche und beginnen abwechselnd mit ihren akrobatischen Schwierigkeiten:
       Zuerst Radwende, Flickflack, Strecksalto. Dann wird das letzte Element
       immer schwieriger: Strecksalto mit einer zusätzlichen Drehung um die
       Körperlängsachse, genannt Schraube; dann die anderthalbfache, dann eine
       doppelte Schraube.
       
       ## Der Tonfall bleibt freundlich
       
       Dervisholli scheint jedes kleine Detail zu bemerken. „Schön!“ ruft sie der
       einen Turnerin zu. „Alles okay?“, fragt sie nach einer unglücklichen
       Landung die andere. „Du hast ganz lockere Beine!“, korrigiert sie eine
       dritte. Der Tonfall bleibt freundlich. Lob, Rückfragen, Korrekturen
       wechseln sich ab.
       
       Natürlich müsse sie ihre Schützlinge auch manchmal motivieren, betont
       Dervisholli: „Die Situation gibt es auf jeden Fall, besonders wenn sie in
       der Pubertät sind, weil da dann alle anderen Dinge wichtiger sind als das
       Training.“ Und wie erreicht sie die Mädchen dann? „Das ist total
       individuell: Manche brauchen diesen sprichwörtlichen kleinen Tritt in den
       Hintern, also dass man auch mal sagt: Los jetzt! Andere brauchen eher eine
       ruhige Ansprache: Was fehlt dir gerade? Was sollen wir machen?“
       
       Claras Doppelschraube will nicht klappen. Mehrmals fliegt sie nach der
       Landung direkt in die Weichmatte, die zur Absicherung am Ende der Diagonale
       steht. Sie steht dann langsam auf, zieht an ihren Haargummis und schaut
       fragend in Richtung der Trainerin. Zwei Schritte zurück, empfiehlt diese:
       noch mal Strecksalto, noch mal eine einfache Schraube, dann gelingt auch
       die doppelte besser.
       
       Schrauben und Salti mögen beide Mädchen: „Als ich das zum ersten Mal
       gemacht habe, das war ein komisches Gefühl und dann hat man sich ganz toll
       gefühlt“, sagt Melina. Was genau bei so einer Schraube passiert? Clara
       sagt: „Man springt ab und dann dreht man halt, irgendwie.“ Der Körper weiß,
       was er tut
       
       Melina zeigt jetzt ihre Wettkampfübung. Am Sonntag steht ein Wettkampf in
       der Oberliga an. „Das ist gut, weil es ein Teamwettkampf ist und als Team
       zu gewinnen oder zu verlieren, das ist eine wichtige Erfahrung,“ sagt
       Dervisholli. Inwieweit den jungen Mädchen Wettkämpfe Spaß bereiten, das ist
       so eine Sache, insbesondere wenn es um wichtige Kadertests oder
       Qualifikationen geht. „Das, was den Mädels am Ende Spaß macht, ist das
       Drumherum: Wir fahren zusammen hin, wir gehen nachher was essen, vielleicht
       unternehmen wir noch was – ich verknüpfe da ganz viel“, erzählt die
       Trainerin.
       
       Ihre Kollegin Anna-Lena Pfund, die auch als Lehrertrainerin an einer der
       Partnerschulen unterrichtet, wird grundsätzlich: „Ich persönlich finde,
       dass unsere Wettkämpfe nicht kindgerecht sind, aber das ist ein
       Systemproblem. Man müsste es umstellen, aber das wird nicht gemacht und
       deshalb sind die Wettkämpfe immer mit zu viel Druck behaftet.“ Im aktuellen
       System misst sich bereits die Altersklasse 9 – also Kinder, die im Laufe
       des Kalenderjahres neun Jahre alt werden – bei bundesweiten Wettkämpfen.
       Und an Kaderplätzen und Siegen hängen an vielen Orten auch Fördergelder.
       
       Nach den Bodenübungen geht es auf die Akro-Bahn: noch mal etliche Schrauben
       und Salti in die Schnitzelgrube. Die Mädchen wirken hochkonzentriert, man
       sieht ihnen die Anstrengung an. Nach einer Verschnaufpause wechselt die
       Gruppe zu den Schwebebalken. Es folgt das gleiche Prozedere: akrobatische
       Elemente, gymnastische Sprünge, Drehungen, Posen, erst einzeln, dann als
       ganze Übung. Alle Mädchen scheinen genau zu wissen, was in welcher
       Reihenfolge zu tun ist. Keine wartet auf Anweisungen oder hört auf zu üben,
       wenn die Trainerin nicht hinschaut. Mittlerweile trainiert auch eine Gruppe
       von Jungs in der Halle. Die kleinsten Mädchen, die gerade noch ein Tau bis
       unter die Hallendecke hochgeklettert sind, stehen kurz zusammen, nehmen
       eine Schluck aus riesig wirkenden Trinkflaschen und rennen schon um die
       Wette in Richtung Barren.
       
       Schon die Jüngsten hier – Sechsjährige, die bis zu drei Mal die Woche üben
       – sind in ihren ersten Vereinen als Talent aufgefallen. Die
       „Kunstturn-Region Karlsruhe“ ist eine Art Dachverband von rund 30 lokalen
       Vereinen. Das sportliche Ziel im Stützpunkt ist klar definiert: nationale
       Spitze. Unter der ehemaligen Cheftrainerin Tatjana Bachmayer, die
       mittlerweile am Bundesstützpunkt Chemnitz arbeitet, wurde Pauline Tratz
       Olympiaturnerin, Leah Grießer und zuletzt 2023 Anna-Lena König starteten
       bei Weltmeisterschaften.
       
       Ob das Talent groß genug ist, das zeigt sich meist schon in den ersten
       Jahren. Trainerin Goneta Dervisholli sagt, es sei wichtig, den
       Turnerinnen und auch den Eltern, mit denen regelmäßig Gespräche geführt
       würden, gegenüber ehrlich zu sein. In den seltensten Fällen seien es hier
       nämlich die Kinder selbst, die nicht mehr turnen möchten.
       
       ## Was ist das Beste fürs Kind?
       
       „Ich finde es immer so schade, wenn es heißt: Du bist nicht mehr gut genug.
       Dabei ist es so beeindruckend, was diese Kinder bis zur Altersklasse 9 oder
       10 schon alles gelernt haben“, sagt sie: „Aber am Ende des Tages geht es
       darum, was das Beste für das Kind ist.“ Und 22 Stunden die Woche zu
       trainieren, um dann nicht ganz oben anzukommen, das sei auf keinen Fall das
       Beste.
       
       Für die Mädchen gibt es Alternativen: Sie können weiter turnen, zum
       Beispiel in der hiesigen Regionalliga. Oder etwas Neues ausprobieren:
       Turnen gilt als gute Basis für etliche Sportarten. Aktuell gibt es eine
       Kooperation mit den „Rheinbrüdern“, dem Karlsruher Bundesstützpunkt
       Kanurennsport. So ungleich der Wechsel vom Schwebebalken ins Kanu wirken
       mag, die Fähigkeiten, die beide Sportarten abverlangten, seien letztlich
       dieselben: Du musst arbeiten, du musst fleißig sein.
       
       Clara übt den schwierigen Spreizsalto rückwärts, erst mit Dervishollis
       Führung auf einem Balken, der direkt auf der Bodenfläche steht, dann auf
       dem Wettkampfgerät: einen Meter und 20 Zentimeter hoch, zehn Zentimeter
       schmal. Mit der Angst, vor neuen Elementen umzugehen, das gehört dazu. „Was
       mir hilft, ist, bei den anderen zuzuschauen – oder einfach die Angst
       überwinden und machen“, sagt Clara: „Dann probiere ich es aus, und nach dem
       zweiten oder dritten Mal ist es besser.“
       
       Melina sitzt derweil an die Sprossenwand gelehnt auf der anderen
       Hallenseite und unterhält sich mit Lisa-Marie Schütz. Die promovierte
       Sportpsychologin kommt alle zwei Wochen in die Halle: „Manche Mädchen
       kommen auf mich zu, manchmal gehe ich auch zu ihnen hin – und wenn sie
       möchten, dann wird ganz in Ruhe geredet.“
       
       Das Vertrauensverhältnis sei zentral: Was die Mädchen ihr anvertrauen,
       erfährt niemand, sagt Schütz, nicht die Trainerinnen und auch die Eltern
       nicht. „Wenn ihr merkt, dass ihr an einer Grenze seid, dann müsst ihr auch
       mit den Trainerinnen reden, das ist eure Aufgabe“, appelliere sie auch an
       die Eigenverantwortung der Mädchen.
       
       [2][Der Fall Chemnitz] hatte den Verband 2021 veranlasst, das Projekt
       „Leistung mit Respekt“ aufzusetzen. Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit
       vielen wichtigen Fragen, darunter auch der nach kindgerechten Wettkämpfen
       oder unabhängigen AnsprechpartnerInnen und Meldestellen. Einige sahen sich
       auf einem guten Weg – hin zu einem respektvollen Umgang auf Augenhöhe mit
       den Turnerinnen.
       
       Mit der neuerlichen Welle an Vorwürfen aus Stuttgart scheint klar: Viele
       Trainer und Trainerinnen hat dieser vermeintlich Aufbruch 2021 ganz
       offenbar wenig interessiert, und einige Funktionäre haben wohl weg- oder
       nicht gut genug hingeschaut. Wie die aktuelle Krise gemeistert werden wird,
       welche Konsequenzen gezogen werden – strukturell wie personell – ist
       momentan völlig offen.
       
       Melina und Clara sagen beide, dass sie manchmal keine Lust auf das Training
       haben; aber auch, dass sich das im Laufe der Einheit oft ändert: „Das
       wendet sich dann, wenn das Training anfängt, nicht immer, aber meistens“,
       so Clara. Ehrgeizig sind sie beide. Es sei schon wichtig, „nicht ganz weit
       hinten“ zu landen bei Wettkämpfen, findet Clara: „Je nachdem, wie ich mich
       fühle und wer mitturnt, da habe ich schon ein eigenes Ziel, aber ich lasse
       mich auch überraschen.“
       
       Über das Gewinnen-Wollen sagt Melina: „Ja, also, das ist wichtig. Was jetzt
       nicht so gut wäre: Wenn ich auf dem letzten Platz wäre.“ Trainerin
       Dervisholli bleibt möglichst gelassen, auch dann, wenn ihren Schützlingen
       trotz guter Vorbereitung im Wettkampf mal alles misslingt: „Jeder wird
       irgendwann diese Erfahrung machen, jeder Mensch wird mal irgendwie
       irgendwann versagen – es kommt drauf an, was man damit macht“.
       
       Ihre Gruppe bildet jetzt Zweierteams am Rand der Bodenfläche, Dervisholli
       nimmt die Stoppuhr zur Hand. Es geht um Kondition, Kraft und
       Durchhaltevermögen. Turnerin eins hüpft auf einem Bein bis zur Markierung
       auf der anderen Seite und zurück. Abklatschen, Turnerin zwei startet. Dann
       das Gleiche auf dem anderen Bein, mit beidbeinigen Hocksprüngen und anderen
       Variationen. Die Trainerin feuert sie an. Einer Turnerin steigen die Tränen
       in die Augen, so sehr strengt sie sich an. Hinter der Zielmarkierung wirft
       sie sich kopfüber in eine der Weichmatten.
       
       Neben Kaderplätzen, Meistertiteln und anderen sportlichen Ehren geht es den
       Trainerinnen hier auch um die mündige Athletin. Es sei ein Ziel, dass
       Kinder, die in diese Halle hineinkommen, irgendwann als junge Erwachsene
       wieder hinausgehen, die es gelernt haben, ihren Mund aufzumachen und ihre
       Meinung zu vertreten. „Ich verlange auch von ihnen, dass sie sich öffnen
       und dass sie mit mir reden. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass sie das
       in diesem jungen Alter lernen“, ist Goneta Dervisholli überzeugt.
       
       In der Debatte über die Erhöhung des internationalen Startalters von 16 auf
       18 Jahre sowie entsprechende Angleichungen im Juniorenbereich und in den
       nationalen Altersklassen, hat sie eine klare Haltung: „Ich wäre sehr dafür.
       Der Druck würde dadurch rausgenommen, weil man viel mehr Zeit hätte.“ Wenn
       man erst mit 18 Jahren international auftreten darf, dann müssten auch
       nicht schon Neunjährige in einen Bundeskader. Trainerkollegin Pfund sieht
       das genauso: „Was soll denn ein zwölfjähriges Kind sagen, wenn du fragst:
       Willst du hier jetzt international mitturnen?“ Bislang verweigert der DTB
       in dieser Frage aber einen möglichen nationalen Alleingang.
       
       Über solche Dinge macht sich Melina keine Gedanken. Für sie, die an diesem
       Tag bereits dreieinhalb Stunden Frühtraining vor der Schule hatte, ist
       Feierabend. Jetzt gilt es nur noch, ihre sieben Sachen wiederzufinden, und
       dann: Tschüss! Auf Clara, die an anderen Tagen Frühtraining hat, wartet
       noch eine Einheit am Stufenbarren.
       
       Habt ihr eigentlich bestimmte Ziele als Turnerin? „Ich möchte auf jeden
       Fall Spaß haben, das ist für mich die Top-Prio, sonst würde ich das nicht
       machen. Und das Team, und gesund durch meine Turnkarriere kommen, und …“,
       fängt Clara an. Melina flüstert ihr „Olympia“ zu. Clara guckt rüber,
       lächelt und sagt: „… und in den höchsten Kader kommen und bei der Deutschen
       Jugendmeisterschaft so gut wie möglich sein.“ Melina sagt: „Mein Ziel ist
       es, einfach mal zu Olympia zu gehen. Wenn man dann eine Oma ist, kann man
       sagen: Ich war mal bei Olympia und ich war auch mal im Fernseher, und das
       ist einfach toll.“
       
       8 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
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