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       # taz.de -- Reiseroman von Helge Timmerberg: Mit dem Mercedes nach Marrakesch
       
       > Einmal per Auto bis nach Marrakesch: Helge Timmerberg erfüllt sich einen
       > alten Traum, fährt los und erzählt in „Bon Voyage“ von einem grandiosen
       > Trip.
       
   IMG Bild: Mit dem Mörser bis nach Marrakesch: Die Strecke fährt nur Helge Timmerberg
       
       Berlin taz | Am Anfang sind Reisen Geschichten, die wir uns selbst
       erzählen. Bis wir endlich losfahren, kehren die Träume wieder, darin manche
       Dinge und genug Gefühle. Für [1][Journalist und Schriftsteller] Helge
       Timmerberg ist das Ziel sein alter Traum – Marrakesch, jene Wüstenstadt, in
       der er Jahre gelebt hat und in der er einen Riad besaß, ein traditionelles
       Haus. Sein anderes Ding ist ein silberner Mercedes E 220 CDI Elegance, den
       er von seinem Vater erbte, und die Gefühle sind automatisch mit an Bord.
       
       Bereits zehn Jahre ist der Vater tot und der Benz im Besitz und Gebrauch
       des Sohnes. Nichts ist hierzulande so verpönt und verkannt wie zu erben,
       dabei handelt es sich selten um unverdienten Reichtum, sondern meist um
       komplexe, emotionale Aufgaben.
       
       „Bon Voyage“, waren die letzten Worte des Vaters, dem Sohn blieb viel
       Unausgesprochenes, eine Barschaft und die Karre. Das Bare verflüchtigte
       sich, der Benz nicht. Timmerberg hat sich vor allem beim Magazin Tempo als
       Pionier um den New Journalism verdient gemacht und dem Erleben des
       [2][subjektiven Gonzo-Erzählers] ein prägnantes Gesicht gegeben.
       
       ## Ausgerechnet St. Gallen
       
       Er beginnt seinen Bericht brillant: „Wer zu spät kommt, den bestraft die
       Straße.“ Es ist bereits später Nachmittag, da steht der fast Reisebereite
       noch in der Mercedes-Niederlassung im schweizerischen St. Gallen. Er will
       einen zweiten Schlüssel, bis auf einen sind alle verloren, und er will den
       Stern zurück, aufrecht soll der stehen, auf dieser Reise. 
       
       Natürlich war er abgebrochen worden, auch im bedächtigen St. Gallen, das
       Timmerberg neben Wien inzwischen seinen Wohnsitz nennt. Der Stern ist
       günstig, 50 Franken, und geht sofort; Schlüssel-Nachmachen würde das
       Zehnfache kosten und dauern, muss also verzichtbar sein.
       
       Reisen sind stets mit Zweifeln verbunden, deshalb ist der Aufbruch der
       wichtigste und vielleicht schwierigste Teil. Timmerberg aber reist seit
       Jahrzehnten, aus dieser Sicherheit schafft er das Los. Die aufgestellten
       Regeln, nur vier Stunden pro Tag hinterm Steuer, Ankunft bei Tageslicht,
       danach ein Spaziergang, werden wenig überraschend bereits am ersten Tag
       gebrochen.
       
       ## Was sagte Konfuzius?
       
       Der Weg sei das Ziel, soll Konfuzius gesagt haben, und gemeint ist, dass zu
       lernen unterwegs wichtiger sei als die ursprünglichen Träume vom Ziel. In
       unserer heutigen Welt einen Weg zurückzulegen ist aber auch deshalb so
       wichtig, weil er uns vor der ständigen Ablenkung bewahrt.
       
       Auf dem Fahrrad zur Arbeit oder mit dem Auto quer durch Europa lassen sich
       unsere Empfindungen nicht mehr so leicht mit dem digitalen Heroin aus
       unseren Smartphones verkleistern, auf einmal fließen die Gedanken und
       Emotionen, deutlicher wird, was eigentlich ist.
       
       Noch vor dem Brenner stellt Timmerberg in Bezug auf den Vater fest: „Die
       wenigen glücklichen Erinnerungen an mein Leben mit ihm spielten alle in
       Motorfahrzeugen.“ Da war er ein Kind gewesen, das seltsam zwischen den
       getrennt lebenden Eltern stand.
       
       ## Innenansicht mit Vater
       
       Er erzählt von der Wut des kriegsversehrten Vaters, seinem Talent,
       Geschichten zu erzählen, Menschen zu beeinflussen, und seiner Unfähigkeit,
       ehrlich gegenüber der Mutter zu sein. Seinen Sohn fand er wohl zu weich und
       „ich ihn zu hart“. Dabei bemerkt Timmerberg die Ähnlichkeiten, die ihm mit
       voranschreitendem Alter, er ist nun 73, deutlicher erscheinen. „Der innere
       Vater erwacht.“
       
       Dennoch bleibt diese Geschichte in erster Linie in der Gegenwart, und die
       fordert, da ist der Reisende von Afrika noch weit entfernt. Es gibt Gegner
       von außen, die ihn überfallen, und es gibt interne Gegner, der alte Kampf
       mit dem Selbst. Stichwort Reisemüdigkeit, „sie ist die Berufskrankheit der
       Nomaden“.
       
       Auch wenn es sich im Benz bewegt „wie auf dem Sofa beim Fernsehen“,
       gemütlich mit Automatik, zudem ist es ein Raucherauto. Richtig unterwegs
       ist der Autor, als er anfängt, anderen von seinem Traum zu erzählen, etwa
       der ihn an Sophia Loren erinnernden Bararbeiterin.
       
       Nach Marrakesch, mit dem Mercedes, erzählt er, und merkt an ihrer Reaktion,
       „das ist ein Märchen“. Dabei erweist sich Helge Timmerberg, der in den
       vergangenen zwei Jahrzehnten bald jedes Jahr ein Buch veröffentlicht hat
       und sich ein treues Publikum erschreiben konnte, als angenehmer Humanist.
       „Keine Freud ohne Leid, und umgekehrt“, stellt er fest, und formt aus
       seinen Zwiespälten schillernde Sätze: „All-ein oder eins mit allem“.
       
       Im Lauf der Erzählung steigen Gäste auf den Beifahrersitz, Freunde, später
       ein Prinz. Irgendwann ist das anderthalb Tonnen schwere Sofa samt
       Passagieren in Marokko und erreicht die alten Riads von Marrakesch.
       Entsprechend den Prinzipien des Gonzo wird er dort aber nicht lange
       bleiben, sondern lieber noch etwas weiter erzählen, denn der Weg bleibt
       wertvoller als jedes Ziel. Am Ende sind gute Reisen gute Geschichten, die
       Lesern zu erzählen sind, die dann selbst auf gute Reisen gehen.
       
       4 Apr 2025
       
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