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       # taz.de -- Seerechtsexpertin über Konzernpläne: „Dann droht Tiefseebergbau ohne Risikoabschätzung“
       
       > Die Firma TMC droht, mit einer international nicht anerkannten
       > Genehmigung der USA Erze auf dem Meeresboden abzubauen. Davor warnt Nele
       > Matz-Lück.
       
   IMG Bild: Mit einer Baby-Krabbe landete die US-Ozeanbehörde einen Internethit, nun will eine Firma mithilfe des Amts den Meeresgrund abschürfen
       
       taz: Frau Matz-Lück, das kanadische Unternehmen TMC möchte Bergbau in
       internationalen Gewässern betreiben, indem es die Genehmigung einfach in
       den USA beantragt. Der zuständigen UN-Meeresbodenbehörde ISA wirft die
       Firma vor, den Tiefseebergbau grundsätzlich verhindern zu wollen. Setzt das
       Seerechtsübereinkommen UNCLOS da keine verbindlichen Regeln?
       
       Nele Matz-Lück: Für alle 170 Vertragsparteien ist der Vertrag verbindlich.
       Auf der Grundlage des Völkergewohnheitsrechts gilt er im Wesentlichen aber
       auch für die Nichtvertragsstaaten wie die USA, die Türkei oder Israel.
       
       taz: Völkergewohnheitsrecht …?
       
       Matz-Lück: … ist ungeschriebenes Völkerrecht. Bei den großen Verträgen geht
       man über die Jahre davon aus, dass die Regelungen gewohnheitsrechtlich für
       alle gelten. Und 170 Mitgliedsstaaten sind ja schon eine Menge, UNCLOS
       gehört also zu den großen UN-Abkommen. Zum Beispiel steht die anerkannte
       Regel, dass das Küstenmeer 12 Seemeilen breit sein darf, nur im Vertrag von
       UNCLOS, nirgendwo sonst.
       
       taz: Das erkennen auch die Nicht-Mitgliedsstaaten an?
       
       Matz-Lück: Nicht zwangsläufig, die Türkei zum Beispiel ist dem Abkommen
       wegen Grenzstreitigkeiten mit Griechenland nicht beigetreten. Sie erkennen
       die 12 Seemeilen-Grenze in der Ägäis jedenfalls nicht an. Die USA haben das
       bislang aber schon getan.
       
       taz: Wie lässt sich Völkergewohnheitsrecht durchsetzen?
       
       Matz-Lück: Das wäre vor internationalen Gerichten möglich, etwa dem
       Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Allerdings nur dann, wenn sich die
       Staaten dieser Gerichtsbarkeit unterwerfen.
       
       taz: Die USA tun das nicht, also gelten die UNCLOS-Bestimmungen für sie
       nur, wenn die Regierung mitspielt?
       
       Matz-Lück: Die US-Regierungen haben in den vergangenen Jahrzehnten immer
       wieder versucht, dem Übereinkommen beizutreten, egal ob demokratisch oder
       republikanisch. Ihr Argument war, dass die USA seinen Regeln bereits
       unterworfen ist, aber keinen Zugang zu seinen Institutionen wie der
       Internationalen Meeresbodenbehörde oder dem Internationalen Seegerichtshof
       haben. Die Regierungen sind aber immer am Kongress gescheitert. Unter der
       Trump-Administration haben wir nun natürlich eine neue Situation.
       
       taz: [1][TMC, kurz für The Metals Company, hat angekündigt, bei der
       US-Ozeanbehörde NOAA eine Lizenz zum Bergbau in der pazifischen
       Clarion-Clipperton-Zone zu beantragen.] Auf welcher Rechtsgrundlage könnte
       denn eine US-Behörde, die dem Handelsministerium untersteht, eine
       Bergbaulizenz irgendwo im Pazifik vergeben?
       
       Matz-Lück: Sie wird sich darauf berufen, dass der Tiefseebergbau zur
       „Freiheit der Meere“ gehört. Das ist zumindest die Auffassung des sehr
       einflussreichen Thinktanks Heritage Foundation aus Washington. Diese
       Rechtsauffassung ist allerdings falsch und nicht durch UNCLOS gedeckt.
       
       taz: Welche Auswirkungen auf das internationale Recht befürchten Sie, wenn
       das Unternehmen sich erfolgreich an eine Nationalstaatsbehörde wendet?
       
       Matz-Lück: Ich weiß nicht, ob die zuständige Ozeanbehörde NOAA noch in der
       Lage ist, Anträge zu bearbeiten, dort wurden ja fast alle entlassen. Aber
       nehmen wir an, es gibt noch eine Behörde in den USA, die zuständig ist und
       in der noch gearbeitet wird, dann könnte sie eine Ausbeutungslizenz
       vergeben mit Vorgaben zum Umweltschutz, die nicht dem entsprechen, was seit
       Jahren bei der Meeresbodenbehörde verhandelt wird. Dann droht außerhalb des
       Festlandsockels Tiefseebergbau ohne eine entsprechende Risikoabschätzung.
       
       taz: Wäre das Seerechtsübereinkommen dann im Grunde tot?
       
       Matz-Lück: Ich glaube nicht, dass nun Staaten oder Unternehmen im ganz
       großen Stil multilaterale Regelungen umgehen. Aber eine ernsthafte Delle
       für den Multilateralismus wäre es natürlich schon. Für das erst vor zwei
       Jahren verabschiedete Hochseeabkommen BBNJ zum Beispiel würde es schwerer,
       Schutzgebiete zusammen mit der Meeresbodenbehörde zu erlassen, wenn die
       Mitgliedsstaaten sich nicht sicher sein können, dass sich alle Länder daran
       halten.
       
       Das Völkerrecht leidet gerade an allen Ecken und Enden unter den USA. Wenn
       Firmen merken, es funktioniert über die Vereinigten Staaten, dann könnte
       das Nachahmer finden. Andererseits: Welches Unternehmen investiert
       Milliarden an Dollar, wenn die Rechtsgrundlage unsicher ist? Und das wäre
       sie, wenn es das Völkergewohnheitsrecht umgeht.
       
       taz: Verfügen die ISA oder ihre Mitgliedsstaaten über irgendwelche
       Sanktionsmöglichkeiten?
       
       Matz-Lück: Letztlich nicht. Die USA tatsächlich vor ein Internationales
       Gericht zu bringen, scheint mir unwahrscheinlich. Dieser Gerichtsbarkeit
       würden sie sich nicht unterwerfen. Für Unternehmen gilt das aber so nicht,
       die könnten Konsequenzen fürchten, von anderen Staaten etwa keine Lizenzen
       mehr zu erhalten oder Sanktionen unterworfen zu werden.
       
       taz: TMC wirft dem Rat der Meeresbodenbehörde vor, er habe es in den
       vergangenen Jahren darauf angelegt, [2][das Regelwerk für den
       Tiefseebergbau zu verschleppen und ihn so letztlich zu verhindern]. Hat das
       Unternehmen da einen Punkt?
       
       Matz-Lück: Ich habe nicht den Eindruck, dass der Rat die Verhandlungen
       mutwillig verschleppt hat. Im Gegenteil, Michael Lodge, bis vergangenen
       Sommer Generalsekretär der Behörde, war immer ein Befürworter des
       geregelten Tiefseebergbaus. Die Staaten sind sich eben nicht einig. Es gibt
       Mitgliedstaaten, die den Bergbau auf dem Ozeanboden vorantreiben wollen, es
       gibt aber auch eine wachsende Menge, die sagt, wir müssen erst mehr wissen,
       mehr Forschung betreiben. Nun kann es passieren, dass es Tiefseebergbau
       ganz ohne Regeln gibt.
       
       taz: Das heißt, jetzt lieber schnell schwächere Regeln verabschieden als
       zulassen, dass die Unternehmen ganz ohne Vorgaben loslegen?
       
       Matz-Lück: Ich denke eher, dass wir eine Pause brauchen, bis wir mehr über
       mögliche Folgen des Bergbaus wissen.
       
       taz: Gibt das Abkommen Entscheidungen über ein Moratorium überhaupt her?
       
       Matz-Lück: Dazu gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen. Die eine
       besagt, dass eine internationale Organisation beschließen kann, ihre
       Tätigkeit zunächst auszusetzen. Die andere, dass eine Abbaubehörde – und
       die ISA ist eben eine Behörde, die Tiefseebergbau regeln soll – den Abbau
       auch vorantreiben muss und nicht verhindern darf. Eine ähnliche
       Auseinandersetzung gab es in der Wahlfangkonvention, die nachhaltigen
       kommerziellen Walfang ermöglichen soll. Sie hat ihre Quoten auf 0 Prozent
       gesetzt und damit de facto ein Moratorium erlassen. Das wird bis heute
       kontrovers diskutiert.
       
       4 Apr 2025
       
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