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       # taz.de -- Missbrauchsskandal in Frankreich: „Wie eine Sekte organisiert“
       
       > Die Tochter von Regierungschef François Bayrou gehört zu den
       > Missbrauchsopfern der katholischen Schule Bétharram. Ihre Aussage
       > belastet ihren Vater.
       
   IMG Bild: Premierminister Francois Bayrou traf im Februar im Rathaus von Pau Gewaltopfer des Internats Notre-Dame-de-Betharram
       
       Paris taz | Mehr als 30 Jahre lang behielt Hélène Perlant die Geschichte
       ihrer Misshandlung für sich. Erst diese Woche ging die Tochter des
       französischen Regierungschefs François Bayrou mit der Gewalt, die sie als
       Mädchen in der katholischen Schule Notre-Dame-de-Bétharram erlitten hat, an
       die Öffentlichkeit. Perlant ist eines von mehr als 200 Kindern, die in der
       Einrichtung in den vergangenen Jahrzehnten geschlagen oder vergewaltigt
       wurden. Die 53-Jährige ist damit eine wichtige Zeugin in einem der größten
       Missbrauchsfälle Frankreichs.
       
       Obwohl ihr Vater bereits damals ein bekannter Politiker war, wurde Bayrous
       Tochter bei einem von Bétharram organisierten Ferienlager von einem
       Geistlichen misshandelt. „Lartiguet zieht mich an den Haaren, schleift mich
       auf dem Boden mehrere Meter hinter sich her, prügelt mit Händen und Füßen
       auf mich ein, vor allem auf den Bauch.“ Sie habe daraufhin eingenässt und
       die ganze Nacht feucht in ihrem Daunenschlafsack gelegen. Am nächsten Tag
       sei sie voller Blutergüsse gewesen und habe ein starkes Ohrgeräusch gehabt,
       berichtete die Lehrerin und Mutter von drei Kindern der Zeitschrift Paris
       Match.
       
       Ihren Eltern habe sie nichts von dem Angriff erzählt. „Meinen Vater wollte
       ich vielleicht unbewusst schützen.“ Der 73-Jährige kommt aus der Region, wo
       er Bürgermeister von Pau ist, 30 Kilometer von Bétharram entfernt. Drei
       seiner Kinder besuchten die Schule und seine Frau Elisabeth unterrichtete
       dort Religion. Obwohl es jedes Mal viele Zeugen gegeben habe, hätten die
       Opfer nicht über die Gewalt gesprochen, sagt Perlant. „Bétharram war wie
       eine Sekte oder ein totalitäres Regime organisiert, das eine
       psychologischen Druck auf die Schüler und Lehrer ausübte, damit sie
       schwiegen.“
       
       ## Regierungschef vor Untersuchungsausschuss
       
       Bayrou erfuhr nach Aussagen seiner Tochter erst diese Woche von der
       Gewalttat. „Als Familienvater trifft mich das ins Herz“, reagierte er am
       Mittwoch. Der Regierungschef muss am 14. Mai vor einem
       Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung zu Bétharram aussagen.
       
       Als 1996 die ersten Vorwürfe laut wurden, war Bayrou Bildungsminister. Ein
       Vater erstattete damals Anzeige, weil sein Sohn so stark geohrfeigt worden
       war, dass das Trommelfell platzte. Bayrou ordnete eine Inspektion der
       Schulbehörde an, die zu dem Schluss kam, dass Bétharram keine Einrichtung
       sei, „wo die Kinder brutal behandelt werden.“
       
       Ein Jahr später, als Bayrou nicht mehr Minister war, folgten
       Vergewaltigungsvorwürfe gegen den damaligen Direktor Pierre
       Silviet-Carricart. Der Geistliche wurde festgenommen, kam aber kurz darauf
       unter juristischer Kontrolle auf freien Fuß und floh in den Vatikan, wo er
       sich im Jahr 2000 das Leben nahm.
       
       ## Hunderte Anzeigen von Opfern und ein Todesfall
       
       Als im Februar hunderte Opfer Anzeige erstatteten, [1][gab Bayrou zunächst
       vor, nichts von den Vergewaltigungen und Misshandlungen gewusst zu haben].
       Später räumte er ein, dass eine seiner Töchter ihm von Ohrfeigen berichtet
       habe. Ein ehemaliger Untersuchungsrichter und ein mit dem Fall befasster
       Polizist werfen dem Premierminister dagegen vor, sich direkt in die
       Ermittlungen zum Fall Carricart eingemischt zu haben. Hélène Perlant
       bestätigte in einem Interview mit der Enthüllungsplattform Mediapart, dass
       ihr Vater damals mit dem Untersuchungsrichter gesprochen habe.
       
       Erstmals brachte die Schwester eines Opfers die Schule am Donnerstag auch
       mit einem Todesfall in Verbindung: Der zwölfjährige Nicolas war 1980 an
       einer Meningitis gestorben. Das Kind lag eine Nacht schwerkrank im Bett,
       weil es in den Schlafsälen keine Aufsicht Erwachsener gab. Die Schwester
       von Nicolas will nun die Schule wegen unterlassener Hilfeleistung
       verklagen.
       
       26 Apr 2025
       
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   DIR Christine Longin
       
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