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       # taz.de -- Hundertwasser-Ausstellung in Osnabrück: Traumrecht für alle
       
       > Das Kulturgeschichtliche Museum in Osnabrück zeigt Friedensreich
       > Hundertwasser – und nutzt ihn als Plattform für einen umweltpädagogischen
       > Appell.
       
   IMG Bild: Typisches Farbglühen: Friedensreich Hundertwassers „Irinaland über dem Balkan“ (1972)
       
       Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt: Wer diesen Namen hört, hat
       wohl sinnesschmeichelndes Farbglühen vor Augen, von geheimnistiefem
       Dschungelgrün bis zu brennendem Wüstenorange; denkt an Goldglitzer und
       Spiralformen. Eine Wortfolge ist das, für sich allein schon ein wundervoll
       kryptisches Kunstwerk.
       
       Hundertwasser also: Ist das nicht dieser visionsgeladene Umweltaktivist,
       exzessive Verfasser von Manifesten, verspielte Revolutionär für eine
       Architektur ohne gerade Linien? Dieser naturmystifizierende Weltreisende,
       Schiffsbewohner und Bäumepflanzer, Protestkampierer und
       Anti-Kernkraft-Redner? Oder doch dieser freakige
       [1][Aktionskunst-Avantgardist], dessen [2][ornamental dekorative Grafiken]
       sich ins Wohnzimmer hängt, wer sich nicht stört an der Verehrung ihres
       Urhebers für die Habsburg-Monarchie?
       
       Alles richtig. Und das Kulturgeschichtliche Museum Osnabrück hätte es sich
       leicht machen können mit seiner derzeitigen, 80 Arbeiten umfassenden
       Ausstellung: ein paar hübsche Motive, ein paar exotische Biografie-Details,
       fertig. Glücklicherweise geht man im örtlichen Museumsquartier (MQ4) aber
       einen anderen Weg: „Friedensreich Hundertwasser – Paradiese kann man nur
       selber machen“ ist ein intergenerationeller Appell, ein Aufruf zur
       Entwicklung von Utopie-Hoffnung, zur Geburt und Verwirklichung von Träumen.
       Hundertwasser ist dabei nicht der Kern, sondern die Plattform. Und das ist
       gut so.
       
       Die Zielgruppe sind Kinder – als diejenigen, die ihren Eltern die Augen
       öffnen können. Ihnen wird eine Entdeckungsreise geboten durch eine Welt,
       die nicht immer nur schön ist, nicht immer nur positiv; eine, die auch
       Bedrohungen zeigt oder Fehlentwicklungen. Das Verspielte spielt uns hier
       nichts vor, das Hübsche verschleiert hier nichts. An einer Wand steht, zum
       Frieden mit der Natur: „Friedensgespräche mit der Natur müssen bald
       beginnen, sonst wird es zu spät sein“, ein Satz Hundertwassers von 1980. Er
       gilt heute mehr denn je.
       
       Wer sich auf die Reise begibt, also die Schau erkundet, erfährt Impuls auf
       Impuls: Umkehr ist nötig, Rettung, Heilung, innerer Neuaufbruch. Wie das
       gehen könnte, lässt sich gleich erproben in der realen Welt: Wer dem
       Kassenpersonal unten am Eingang, beim Museumsshop – derzeit von
       Hundertwasser-Merchandise dominiert – das Lösungswort der
       Ausstellungs-Rallye nennt, bekommt ein Tütchen Seedbombs, kleine Kugeln aus
       Erde, Tonpulver und – Blumensamen. „Das kann man ja gleich in der Stadt
       verteilen“, sagt Nils-Arne Kässens, Direktor des MQ4. Und nennt es einen
       „ziemlich subversiven Akt“.
       
       Natürlich kann man auch einfach nur von Werk zu Werk gehen, von der
       Serigrafie bis zum Architekturmodell, vom Foto bis zum Plakat. Aber die
       Ausstellung, die uns mit einer Kunstfigur konfrontiert, die sich hoch
       programmatisch von ihrem bürgerlichen Namen befreit hat, fordert mit Fragen
       heraus: „Wie lautet dein neuer Name?“, lautet eine. Hinzu kommen
       Partizipations-Stationen: Ein stilisiertes Haus etwa animiert dazu, das
       eigene „Fensterrecht“ auszuüben, auf sterilen Fassaden Kunst zu erschaffen,
       auf Armeslänge um die Fensteröffnung herum.
       
       Wer will, kann seinen „Beitrag zu einem Friedensvertrag mit der Natur“
       aufschreiben oder eigene Paradiesvorstellungen skizzieren, und an einem
       ausladenden Baum mit allen teilen. Oder auf schwarzen Tischen, die
       natürlich keine geraden Linien aufweisen, „Schönheitshindernisse“ zeichnen,
       um die Besuchenden zu verlangsamen. Denn: Wer das Leben durcheilt, dem
       entgeht es.
       
       An den teils dunkelbunten Wänden sind Denkanreize zu lesen, das Wort
       „Traumrecht“ etwa. Und wer klein ist, kann sich auf Hocker stellen, um den
       Bildern näher zu sein – zumindest ein kleines, bei manchen Hängungen eher
       symbolhaftes Bisschen.
       
       „Paradiese kann man nur selber machen“ ist eine betont pädagogische Schau.
       Sie bietet Workshops zum Bau von [3][Insektenhotels] und Rankhilfen,
       natürlich im Hundertwasser-Stil. In Schulen kommt eine „Abenteuerkiste“ zum
       Einsatz, die sich zu Hundertwassers Segelschiff „Regentag“ umbauen lässt,
       mit dem er fast überall hin reiste, vom Mittelmeer bis Tahiti.
       
       Aber bei Hundertwasser muss man Obacht geben. Nicht nur bei seiner
       Esoterik. Auch manche seiner Arbeiten wecken Skepsis: Die liebliche
       Dekorierung der Wiener Müllverbrennungsanlage Spittelau zum Beispiel, ab
       Ende der 1980er. Nicht alles, was glänzt, ist Gold, auch nicht bei
       Hundertwasser.
       
       „Lasst die Kinder sprechen“, habe der Künstler gesagt, erklärt das MQ4 zur
       Frage, was diese „Familienausstellung“ inspiriert habe. Ob sich die Kinder,
       die sie nun durchstreifen, wohl in Hundertwassers eigene, uneheliche
       Tochter versetzen können? Sie hat ihren Vater nie kennengelernt – Zeit
       seines Lebens hat er ihr das verweigert.
       
       10 Jun 2025
       
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   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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